Einarbeitung neuer Mitarbeiter mit Augmented Reality
Lemgoer Wissenschaftler erhalten Auszeichnung für exzellente Forschung im Bereich Mensch-Technik-Interaktion
Augmented Reality (AR), also die computergestützte Erweiterung der Realität, verspricht nicht nur in der Gaming-Welt viel Spaß und außergewöhnliche Erlebnisse, sondern wird mittlerweile auch als wichtige Komponente in der Industrie und Wirtschaft genutzt. Handarbeitsplätze in der Fabrik der Zukunft sind mit einer interaktiven Oberfläche ausgestattet, welche den Mitarbeiter per Handtracking und Projektion durch den Montageprozess eines Produktes führt. Inwieweit eine Einarbeitung neuer Mitarbeiter mit Hilfe dieser Assistenzsysteme funktioniert, wurde nun am Institut für industrielle Informationstechnik (inIT) untersucht.
In Kooperation mit der TU Clausthal wurde eine Studie mit insgesamt 33 Probanden durchgeführt. Es wurde beobachtet, wie die Probanden den Montageprozess über mehrere Tage mithilfe eines AR-Assistenzsystems lernen und wie schnell Wissen aufgebaut wurde. Verglichen wurde dies mit einer Probandengruppe, die den Prozess per Papieranleitung lernt und einer Probandengruppe, die den Prozess per Anleitung eines Vorarbeiters gelehrt bekommt. Die Ergebnisse fasst Sebastian Büttner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am inIT, in seinem Paper „Augmented Reality Training for Industrial Assembly Work – Are Projection-based AR Assistive Systems an Appropriate Tool for Assembly Training?” zusammen. „Am ersten Tag konnten wir zunächst keine Unterschiede zwischen den drei Gruppen feststellen. Zu Beginn des zweiten Tages zeigte sich jedoch, dass die Gruppe, bei der eine Einarbeitung durch einen Vorarbeiter geschah, noch deutlich mehr über den Montageprozess wusste, als die beiden anderen Gruppen. Folglich war die Einarbeitungszeit dieser Gruppe am zweiten Tag und auch insgesamt am kürzesten. Die durchschnittliche Einarbeitungszeit mittels AR-Assistenzsystem lag zwischen der Einarbeitungszeit durch einen Vorarbeiter und der Gruppe, die mit einer Papieranleitung lernte. Allerdings zeigte die Assistenzsystem-Gruppe keine signifikanten Zeitunterschiede zu einer der anderen beiden Gruppen. Nach einer Woche haben wir erneut das Wissen der Probanden geprüft. Hier zeigte sich, dass der Wissenserhalt unabhängig von der eingesetzten Lernmethode war. Weiterhin konnten wir feststellen, dass bei der Nutzung der Papieranleitung mehrere Probanden systematisch etwas falsch gelernt hatten. Bei der Einarbeitung mit unserem AR-Assistenzsystem konnte dies vermieden werden, da durch das Handtracking potenzielle Fehler direkt vom System erkannt werden und der Mitarbeiter darauf aufmerksam gemacht wird. Er erhält so bereits vor der Fehlerbegehung einen Hinweis, dass der zu tätigende Schritt ein anderer sein muss“, gibt Büttner einen Einblick in die Ergebnisse.
Büttner und seine Co-Autoren Professor Michael Prilla von der TU Clausthal und Professor Carsten Röcker vom inIT, reichten ihr Paper bei der renommiertesten Konferenz im Bereich Mensch-Computer-Interaktion, der „ACM Conference on Human Factors in Computing Systems (CHI)“, ein und wurden mit dem „Honorable Mention Award“ ausgezeichnet. Damit gehören sie zu den besten 5 % der insgesamt 3.126 eingereichten Publikationen. Aufgrund der Corona-Pandemie konnte die Konferenz allerdings nicht wie geplant vom 25. bis zum 30. April in Honolulu, Hawaii, stattfinden. Dennoch wurde das Paper Ende Mai im Rahmen der „Virtual German CHI Week 2020“ präsentiert. Auf dieser virtuellen Konferenz wurden in dreiminütigen Videos alle Beiträge, die an deutschen Forschungseinrichtungen verfasst wurden und eigentlich auf Hawaii hätten präsentiert werden sollen, vorgestellt und diskutiert.
„Natürlich ist es sehr schade, dass die Konferenz nicht wie geplant stattfinden konnte. Dennoch freuen wir uns sehr über diese Auszeichnung und sind stolz auf unsere Arbeit“, freut sich Sebastian Büttner. Für ihn und sein Team ist die Studie damit abgeschlossen.
Nun schließt sich allerdings die Forschungsfrage an, wie man solche Assistenzsysteme weiterentwickeln kann, sodass diese zur Einarbeitung eines Mitarbeiters geeigneter sind und wie sich das System besser auf den Menschen einstellen und Wissen vermitteln kann. „An diesem Thema werden wir weiter forschen mit dem Ziel, die Systeme so adaptiv wie möglich zu gestalten“, wirft Büttner einen Blick in die Zukunft.