Presseerklärung zur Bereitschaft zu Abtreibungen als Einstellungsvoraussetzung
Die DGGG und der BVF unterstützen vorbehaltlos und nachdrücklich die Forderung, Frauen in Not zu helfen. Dass ungewollte Schwangerschaften geradezu existentielle Nöte auslösen können, die zu einem Gefühl der Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und des Verlassenseins und im extremen Fall sogar zur Selbsttötung führen, erfahren unsere Mitglieder häufig ganz persönlich und hautnah in ihrem beruflichen Leben. Die gegenwärtig geführte Diskussion um Schwangerschaftsabbrüche ist nach unserer festen Überzeugung und Erfahrung aber zu einseitig, ideologisch verkürzt und eingeengt und lässt oft die differenzierte Auseinandersetzung vermissen.
Wir fordern dazu auf, alle folgenden Aspekte ernsthaft zu berücksichtigen.
Grundsätzlich muss die Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch von dem Wissen und der Überzeugung ausgehen, dass kein Embryo oder Fetus gegen die Mutter gerettet werden kann. Man muss die Schwangere gewinnen, ihre Notlage lösen, um einen Schwangerschaftsabbruch zu verhindern. Das ist nicht mit Verboten möglich, sondern nur mit verständnisvollen, empathischen und nachhaltigen Hilfsangeboten, welche der teilweise als existentiell empfundenen Bedrohung der Frauen gerecht werden. Ein Schwangerschaftsabbruch ist leider in manchen Fällen die nötige Lösungsmöglichkeit für einen bestehenden Schwangerschaftskonflikt, aber er wird nie etwas anderes sein als eine von mehreren schlechten Optionen. Viele betroffene Frauen zahlen dafür oft lebenslang einen hohen psychischen und in Einzelfällen auch physischen Preis.
Das GBCOG fordert nachdrücklich dazu auf, bei der Diskussion um Schwangerschaftsabbrüche diesen Aspekt mit der nötigen Ernsthaftigkeit zu berücksichtigen.
Wenn das Ringen um alternative Hilfen von allen Beteiligten mit dem gleichen Engagement geführt würde wie das um das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch, wäre es leichter einen tragenden gesellschaftlichen Konsens zu erreichen und die Option des Schwangerschaftsabbruchs ausreichend zugänglich zu machen.
Nach deutschem Recht ist ein Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig, der bestraft wird, sofern er nicht genau den im Gesetz definierten Vorgaben folgt. Dies ist auch Ausdruck des gesellschaftlichen Ringens zu diesem Thema und der gegensätzlichen Positionen, welche die Gesetzgebung mit einem Kompromiss befriedigen und würdigen will. Die Ärzteschaft ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, auch hinsichtlich der persönlichen Einstellung zum Schwangerschaftsabbruch. Die Wertschätzung für unterschiedliche ethisch-moralische Positionen zu diesem Thema steht allen Teilen der Gesellschaft zu, auch den medizinischen Berufsgruppen.
Die Entscheidung, an einem Schwangerschaftsabbruch teilzunehmen, stellt das medizinische Personal vor große ethische Herausforderungen. Dies kann nicht auf ÄrztInnen begrenzt werden, immer ist auch Assistenzpersonal, z. B. die OP-Pflege, erforderlich. Für diese Professionen ist die Hilfe für die Gesundheit anderer Menschen und der Erhalt von Leben zentraler und definierender Bestandteil ihres beruflichen Selbstbildes und ihrer Ethik. Eine Abtreibung ist zumindest nach Überzeugung Vieler die Beendigung eines Lebens. Das muss jede(r) Beteiligte vor seinem/ihrem Gewissen rechtfertigen. Gefahr für Leben und Gesundheit der Schwangeren, auch für die soziale und psychische Gesundheit, können eine Rechtfertigung sein, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken. Jedes Individuum wird bei dieser Abwägung zu einer persönlichen Entscheidung kommen. Aber diese Abwägung muss nach dem Wertesystem, auf das sich unser Staat bezieht, jedem einzelnen Menschen in freier Entscheidung möglich sein. Das gilt für ÄrztInnen genauso wie für das Pflegepersonal oder alle anderen Beteiligten.
Dieses Recht einer persönlichen Entscheidung kann nicht als Voraussetzung für einen Arbeitsvertrag entzogen werden. Das gilt auch für Menschen, welche an einer Universitätsklinik arbeiten wollen oder eine akademische medizinische Laufbahn anstreben. ÄrztInnen den Zugang zu dieser Karriere verwehren zu wollen, weil ihre Gewissensentscheidung die Teilnahme an einem solchen Eingriff nicht zulässt, ist unerhört. ÄrztInnen das Recht zuzugestehen, frei und fallbezogen zu entscheiden, hat nichts mit einer Einschränkung der Selbstbestimmung der Schwangeren zu tun, sondern vielmehr mit dem Recht auf die eigene Selbstbestimmung. Das Verbot, Menschen aufgrund ihrer Religion oder Weltanschauung zu benachteiligen, gilt auch für ÄrztInnen. Wir wollen niemals in einem Staat leben, der das Recht aushebelt, nach bestem Wissen und Gewissen handeln zu können.
Die DGGG wurde aufgefordert, sicherzustellen, dass im Rahmen der Weiterbildung auch die Fertigkeit vermittelt wird, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Das ist ohnehin sichergestellt, denn die Technik eines solchen Eingriffs ist identisch mit der Entleerung der Gebärmutter bei gestörten, nicht entwicklungsfähigen Schwangerschaften – sogenannten Fehlgeburten. Jeder Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe erlernt diese Techniken im Rahmen seiner Ausbildung. Speziell sind jedoch die rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen, da im Falle eines Schwangerschaftsabbruchs ein vitaler Embryo aus der Gebärmutter entfernt wird. Bereits während des Medizinstudiums werden im Rahmen des vorgegebenen Gegenstandskataloges allen Studierenden die rechtlichen und medizinischen Grundlagen des Schwangerschaftsabbruches vermittelt.
Das Ziel, jeder Frau, die wegen einer ungewollten Schwangerschaft in Not ist, den Zugang zu Hilfe zu ermöglichen, ist nicht nur legitim, sondern eine Verpflichtung, der unsere Gesellschaft gerecht werden muss. Das schließt aber nicht nur die Option Schwangerschaftsabbruch ein, sondern auch das Recht auf alternative Hilfsangebote. Der ungehinderte und diskriminierungsfreie Zugang zu Beratungsstellen muss daher ebenso garantiert werden wie der Zugang zu Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Dies bedeutet, dass die Konfrontation von hilfesuchenden Frauen durch Gegner dieses Rechts vor Beratungsstellen verhindert werden muss. Genauso müssen Frauen leichten Zugang zu Informationen über Einrichtungen haben, welche diesen Eingriff vornehmen. Es ist absurd, ÄrztInnen öffentliche Hinweise darauf zu verbieten, dass sie bereit sind, Frauen mit Schwangerschaftskonflikten zu betreuen. Dies als Werbung zu werten, zeigt auch ein Versagen der Gesellschaft, der politischen Willensbildung und der Kompromissfähigkeit der gesetzgebenden Institutionen auf.
Wenn das Vornehmen von Schwangerschaftsabbrüchen als Hilfe für Frauen in Not verstanden wird, und nur dann sind diese aus unserer Sicht ethisch vertretbar, dann darf dies auch nicht als gesellschaftlicher Makel gesehen werden. Dass die Politik dabei versagt, dies zu gewährleisten, zeigt der aus unserer Sicht unwürdige rechtliche Konflikt zum „Werbeverbot“. Es ist nur zu verständlich, dass es nur wenige ÄrztInnen und Institutionen gibt, die es aushalten, als „Abtreibungsklinik“ oder „Abtreibungspraxis“ gebrandmarkt zu werden. Daher appellieren wir, dass die Gesellschaft und der Gesetzgeber sich dazu bekennen, dass Schwangerschaftsabbrüche in der in Deutschland gesetzlich erlaubten Form eine notwendige Voraussetzung dafür sind, geltendes Recht umzusetzen. Das wäre ein geeigneterer Weg, Frauen in Not einen flächendeckenden Zugang zu Einrichtungen, die ihnen helfen, zu garantieren als die Missachtung der ethischen Selbstbestimmung von ÄrztInnen.
Abschließend ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass ungewollte Schwangerschaften meistens ein Versagen der, so niederschwellig wie noch nie zuvor zugängigen, Verhütung ist. Als GBCOG wünschen wir uns mehr Aufklärung in Schulen über die weibliche Biologie und die Möglichkeiten, ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden, sowie eine größere Sensibilisierung hinsichtlich der Versagerrate „natürlicher“ Verhütungsmethoden und eine höhere Sorgfalt bei der Berichterstattung über die hormonelle Verhütung („Pille“).
Prof. Dr. med. Anton J. Scharl
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V.
Dr. med. Christian Albring
Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte e.V.
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