Genetik des Wirts bestimmt Zusammensetzung von Viren-Gemeinschaften
Pflanzen können von mehreren Viren gleichzeitig befallen werden. Die Zusammensetzung der Erreger ist jedoch unterschiedlich, auch wenn die Individuen zur selben Art und Population gehören. Ökologinnen der Universität Zürich haben nun gezeigt, dass diese Unterschiede in erster Linie auf genetische Variation zwischen den Wirten zurückzuführen sind. Der Verlust der genetischen Vielfalt könnte Arten somit anfälliger für Infektionen und Artensterben machen.
Viren sind allgegenwärtig im Tier- und Pflanzenreich – auch wenn die meisten davon der Wissenschaft noch nicht bekannt sind. Erst seit kurzen verfügen Forschende über bessere analytische und statistische Methoden, um die Aufklärung einer Schlüsselfrage in Angriff zu nehmen: Warum sind einige Individuen anfälliger für Viren, während andere unversehrt bleiben?
Die Kombination von Krankheitserregern ist wichtig
Es ist bereits bekannt, dass genetische Unterschiede Tiere oder Pflanzen resistenter gegen ein bestimmtes Virus machen können. Es wird jedoch zunehmend klarer, dass die meisten Organismen nicht nur einen Krankheitserreger beherbergen, sondern komplexe, aus verschiedenen Mikroben bestehende Gemeinschaften.
«Diese Infektionsvielfalt muss berücksichtigt werden, um die Dynamik von Krankheiten und die Kosten einer Infektion für den Wirt zu verstehen und vorauszusagen», sagt Professor Anna-Liisa Laine vom Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften der Universität Zürich. So könnte beispielsweise ein zuerst vorhandener Erreger eine Resistenz gegen einen zweiten bewirken. Bislang ist jedoch wenig über die Faktoren bekannt, die die Zusammensetzung der Viren-Gemeinschaften bestimmen.
Mit ihrem Forschungsteam an den Universitäten Zürich und Helsiniki und durch Fördermittel des Europäischen Forschungsrates (ERC) unterstützt, hat Laine nun gezeigt, dass genetische Unterschiede einen grossen Einfluss auf die Vielfalt der Virusgemeinschaft haben, die jedes individuelle Lebewesen besiedelt.
Identische Pflanzen in unterschiedlicher Umgebung
Als Untersuchungsobjekt wählte das Team den Spitzwegerich (Plantago lanceolata). Die Pflanze kann durch Teilung der Wurzeln geklont werden, was zu genetisch identischen Nachkommen führt. Mit dieser Methode generierten die Forscherinnen jeweils 80 Klone von vier genetisch verschiedenen Spitzwegerich-Varianten und platzierten diese zwischen Populationen von natürlich vorkommendem Spitzwegerich an vier Orten auf den Åland-Inseln in der Ostsee. Die geklonten Pflanzen wurden so dem Angriff von Viren unter natürlichen Bedingungen ausgesetzt. «Indem wir identische Pflanzen an verschiedenen Orten platzierten und alle anderen Faktoren konstant hielten, konnten wir die Rolle der Genetik präzise testen», erklärt Laine.
Nach zwei, beziehungsweise sieben Wochen sammelten die Forscherinnen Blätter der Klone ein und stellten fest, mit welchen von fünf häufig vorkommenden Pflanzenviren sie infiziert waren. Es stellte sich heraus, dass etwa zwei Drittel der Pflanzen mit mindestens einem Virus infiziert waren, während fast ein Viertel davon mehrere Viren in sich trugen. Insgesamt fanden sich 17 verschiedene Kombinationen, mit jeweils zwei bis fünf Viren pro Pflanze.
Erbliche Faktoren von grösster Bedeutung
Ausgeklügelte statistische Modelle ermöglichten, den Einfluss der verschiedenen Faktoren – Genetik, Standort, Grösse der Pflanze, Schäden durch Pflanzenfresser und Interaktion zwischen den Viren – auf die Zusammensetzung der Virusgemeinschaften auseinanderzudividieren. Die Ergebnisse zeigten, dass sich der Grossteil der beobachteten Variation durch genetische Unterschiede zwischen den Wirtpflanzen erklären lässt. «Obwohl wir vermutet hatten, dass der Genotyp eine Rolle spielt, waren wir sehr überrascht, dass er sich als wichtigster Faktor herausstellte», sagt Laine. Ebenfalls von Bedeutung war die lokale Umgebung, während andere Faktoren wie Grösse und Pflanzenfresser nur einen geringen Effekt hatten. «Dies zeigt erstmals, dass genetische Unterschiede, höchstwahrscheinlich in den Immungenen, entscheidend dafür sind, wie sich diese verschiedenen Gemeinschaften von Krankheitserregern innerhalb der Wirte zusammensetzen», so Laine.
Genetische Vielfalt macht Arten stärker
Die Resultate unterstreichen die Bedeutung von genetischer Vielfalt innerhalb einer Art. Der Verlust dieser Vielfalt macht Arten anfälliger für Virusinfektionen − mit weitreichenden Folgen für die Biodiversität. Schon jetzt dezimiert die Zerstörung natürlicher Lebensräume durch den Menschen zunehmend die genetische Vielfalt von natürlichen Populationen.
Laut Laine könnten die Erkenntnisse auch in der Landwirtschaft Anwendung finden, um bei Nutzpflanzen die Resistenz gegen Krankheitserreger zu verbessern: «Die genetische Vielfalt sollte als nachhaltige Methode zur Schädlingskontrolle in Ackerbausysteme mit einbezogen werden. Nicht nur für einzelne Schädlinge, sondern für ganze Gemeinschaften von Krankheitserregern.»
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Anna-Liisa Laine
Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften
Universität Zürich
Tel. +41 44 635 48 04
E-Mail: anna-liisa.laine@ieu.uzh.ch
Originalpublikation:
Suvi Sallinen, Anna Norberg, Hanna Susi and Anna-Liisa Laine. Intraspecific host variation plays a key role in virus community assembly. Nature Communications. 5 November 2020. DOI: 10.1038/s41467-020-19273-z
Weitere Informationen:
https://www.media.uzh.ch/de/medienmitteilungen/2020/Virengemeinschaften.html