Domäne der Pädiatrie: Arzneimittel für neuartige Therapien
DGKJ zu ethischen und arzneimittelrechtlichen Kriterien für den Einsatz von ATMP
Arzneimittel für neuartige Therapien, die mittels Gentransfer und genmodifizierten Zellen vorgehen, gewinnen insbesondere in der Kinder- und Jugendmedizin an Bedeutung. Ihre Zulassung und ihr Einsatz unterliegen anderen Kriterien als herkömmliche Arzneimittel. Zu den Chancen und Herausforderungen der ATMP (Advanced Therapy Medicinal Products) hat die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) nun Stellung bezogen.
Die Task Force Arzneimittel für neuartige Therapien hält in ihrer aktuellen Publikation in der „Monatsschrift Kinderheilkunde“ fest, dass die ATMP zu einer „Domäne der Kinder- und Jugendmedizin“ werden und bei einzelnen angeborenen genetischen Krankheiten ein hohes therapeutisches Potenzial erwarten lassen.
Prof. Dr. Wolfgang Rascher, Vorsitzender der AG, erläutert die aus dieser Chance erwachsende Herausforderung an die Diagnostik: „Da die ATMP nicht in der Lage sein werden, bereits eingetretene Organschäden aufzuheben, ist die frühestmögliche Diagnostik unabdingbar für den Nutzen der neuartigen Arzneimittel. Sie muss deutlich früher als bisher vorliegen, um irreversible Schäden verhindern zu können, und das erfordert auch neue Screeningmethoden.“
Auch die Zulassung der ATMP unterliegt anderen Kriterien als herkömmliche Arzneimittel, die in randomisierten kontrollierten Studien geprüft werden konnten. Ein direkter Vergleich zur Standardtherapie mit Erkenntnissen zum Nutzen-Risiko-Verhältnis kann bei der Freigabe von ATMP nicht herangezogen werden und eine Behandlung muss daher unter strengen Auflagen in spezialisierten Behandlungszentren erfolgen. Der Aufwand für Behandlung und Dokumentation ist sehr hoch, die ethischen und arzneimittelrechtlichen Anforderungen ebenfalls.
Bislang hat die Europäische Arzneimittelagentur 10 neuartige Arzneimittel zugelassen, von denen 6 überwiegend in der Kinder- und Jugendmedizin auftretende Erkrankungen betreffen. Ein Beispiel ist das Mittel Zolgensma®, dessen Einsatz bei spinaler Muskelatrophie große Aufmerksamkeit erhalten hat – und das durch eine angedachte Lotterie für die Zuteilung des Medikaments in Härtefallen (compassionate use) heftige Kontroversen auslöste.
Prof. Dr. Ulrike Schara, Sprecherin der Task Force, betont: „Die Indikation für eine Behandlung mit ATMP muss immer aufgrund wissenschaftlicher und klinischer Kriterien gestellt werden, und die Familien brauchen eine umfassende Aufklärung, gerade auch über Risiken des neuartigen Arzneimittels! Wir brauchen dafür ein konzertiertes Vorgehen zwischen Gesellschaft, Betroffenen, Kostenträgern, Behörden und Industrie – und behandelnden Ärztinnen und Ärzten.“
In naher Zukunft werden weitere Meilensteine bei der Behandlung anderer angeborener genetischer Erkrankungen gesetzt, erwartet DGKJ-Präsidentin Prof. Dr. Ingeborg Krägeloh-Mann, Mitverfasserin der Stellungnahme.
Eine erfolgreiche Anwendung aber, so das Fazit der DGKJ, setze neue Versorgungsstrukturen voraus, die dem hohen Aufwand der Behandlung auch gewachsen seien. Eine adäquate Vergütung sei unabdingbar, um den Verlauf der Erkrankung unter Therapie und die Erfassung möglicher Nebenwirkungen systematisch, d.h. mit anwendungsbegleitender Datenerhebung in Registern und Netzwerken, im Langzeitverlauf und im Vergleich zu anderen Therapien, wissenschaftlich auswerten zu können.
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Originalpublikation:
https://doi.org/10.1007/s00112-020-01056-x