Studie: Starker Anstieg der Neuinfektionen an Weihnachten, private Kontaktverfolgung könnte Ausbreitung effektiv bremsen
Die Zahl der tatsächlichen Covid-19-Neuinfektionen wird über Weihnachten und den Jahreswechsel voraussichtlich stark ansteigen, auch wenn sich der Effekt in den gemeldeten Fallzahlen erst zeitverzögert niederschlagen wird. Laut aktuellen Simulationen eines Ökonomenteams vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) und der Universität Bonn hängt die weitere Entwicklung Anfang Januar entscheidend vom eigenverantwortlichen Handeln der Menschen ab: Über 200.000 Neuinfektionen könnten sich verhindern lassen, wenn bei Infektionsverdacht sofort alle privaten Kontakte informiert werden und ihre eigenen Kontakte entsprechend reduzieren.
Das neu entwickelte Simulationsmodell der Bonner Forscher unterscheidet sich von anderen Modellen dadurch, dass es Kontakte zwischen Menschen in unterschiedlichen Bereichen des Lebens und deren jeweilige Infektiosität in den Mittelpunkt stellt. Dadurch lassen sich auch starke Veränderungen im Verhalten gut abbilden, wie sie rund um Weihnachten zu erwarten sind, wenn es zu weniger Begegnungen im Arbeitsumfeld kommt und mehr Familienfeiern stattfinden.
So lässt sich anhand des Modells berechnen, was es für das Infektionsgeschehen bedeutet, wenn die Menschen den Freiraum der Coronaschutzverordnungen voll ausnutzen und sich über die Feiertage mit wechselnden Personenkreisen treffen. Gegenüber der empfohlenen Beschränkung auf den engsten, gleichbleibenden Familienkreis würden sich die Fallzahlen um rund zwölf Prozent erhöhen.
Die Forscher betrachten außerdem verschiedene Szenarien mit unterschiedlich starken Kontaktreduktionen im Anschluss an die Feiertage. Im pessimistischen Szenario mit häufigeren privaten Kontakten pendelt sich die tatsächliche Inzidenz schon Ende Dezember bei etwa dem doppelten Wert der Vorweihnachtszeit ein. Nach Einschätzung der Experten lassen diese Zahlen kaum Hoffnung auf ein schnelles Ende des Lockdowns.
Angesichts der um Weihnachten stärker begrenzten Möglichkeiten von Arztpraxen, Testzentren und Gesundheitsämtern sei entscheidend, dass die Menschen ihre Kontakte im Familien- und Freundeskreis bei Symptomen oder positiven Tests sofort informieren. Wenn diese daraufhin ihre Kontakte einschränken, könnten sich der Simulation zufolge die tatsächlichen Neuinfektionen in der ersten Januarwoche um bis zu 230.000 reduzieren, was etwa 70.000 weniger gemeldeten Fällen in der Woche entspräche.
Funktionierende private Netzwerke seien somit ein effektiver Weg, die Infektionsketten über Weihnachten nachhaltig zu unterbrechen. „Eine Textnachricht an Freunde und Verwandte ist schnell geschrieben. Wer erst aufs Gesundheitsamt wartet, lässt wertvolle Zeit verstreichen“, sagt Hans-Martin von Gaudecker, Wirtschaftsprofessor an der Universität Bonn und Leiter des IZA-Forschungsteams Strukturelle Politikevaluation. Außerdem beträfe die freiwillige Kontaktreduzierung nur ungefähr fünf Prozent der Menschen und sei mit relativ geringen Verhaltensänderungen verbunden, solange Schulen, Kitas und viele Betriebe ohnehin geschlossen blieben.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Hans-Martin von Gaudecker
Tel.: +49 228 73-9357
E-Mail: hmgaudecker@uni-bonn.de
Originalpublikation:
Janos Gabler, Tobias Raabe, Klara Röhrl, Hans-Martin von Gaudecker:
Die Bedeutung individuellen Verhaltens über den Jahreswechsel für die Weiterentwicklung der Covid-19-Pandemie in Deutschland
IZA Standpunkte Nr. 99, Dezember 2020 -- https://www.iza.org/publications/s/99/
Weitere Informationen:
https://newsroom.iza.org/de/archive/research/individuelles-verhalten-entscheidend-fuer-das-weitere-infektionsgeschehen/ -- Längere Textfassung mit Grafiken