Interview mit Kongresspräsident Prof. Dr. Eberhard Uhl zur ANIM 2021: NeuroIntensivmediziner mit neuen Erkenntnissen
Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sind in der NeuroIntensivmedizin deutlich spürbar, sagt Prof. Dr. Eberhard Uhl, Kongresspräsident der ANIM 2021, die vom 21.-23.01.2021 zum ersten Mal digital stattfindet. Die Corona-Pandemie steht auch als aktuelles Thema im Mittelpunkt des diesjährigen Präsidentensymposiums. Auch neue Erkenntnisse zu den anderen Erkrankungen im Bereich der Neurologischen und Neurochirurgischen Intensivmedizin und Neurochirurgie stehen in der Diskussion, wenn sich Ärzte und Pflegefachkräfte zu einem umfassenden Update austauschen. Im Interview gibt Prof. Uhl erste Einblicke in Tagungsthemen, Highlights und aktuelle Entwicklungen der NeuroIntensivmedizin.
Die ANIM hat sich als eine der bedeutendsten neurologisch-neurochirurgischen Tagungen im deutschsprachigen Raum etabliert. Was sind die besonderen Herausforderungen in diesem Jahr und welche Schwerpunkte haben Sie als Kongresspräsident gesetzt?
Professor Uhl: „Die ANIM 2021 stellt in vielerlei Hinsicht einen besonderen Kongress dar. Erstmalig wird die ANIM digital stattfinden, sodass der Austausch wissenschaftlicher Expertisen in diesem Jahr nicht, wie gewohnt, in einem persönlichen Gespräch, sondern online stattfinden wird. Das wird eine besondere Herausforderung an die Kongressorganisatoren und Teilnehmer werden. Zwar hat die Corona-Pandemie die öffentlichen Medien, aber auch die medizinische Wissenschaft das letzte Jahr über beherrscht, wir dürfen aber andere Erkrankungen deshalb nicht vernachlässigen und müssen deren Behandlung auch unter den aktuell erschwerten Bedingungen unverändert aufrechterhalten. Auch im Forschungsbereich dürfen wir uns nicht nur mit COVID-19 beschäftigen. Wir haben als wissenschaftliche Themenschwerpunkte das interdisziplinare Management des zerebellären Notfalles, die minimalinvasive Therapie der intrazerebralen Blutung und die Primärversorgung des Schädel-Hirn Trauma ausgewählt. Gerade die letzten beiden Themen werden aufgrund der demographischen Entwicklung in Deutschland in den nächsten Jahren von zunehmender Bedeutung sein.“
Was bedeutet die aktuell andauernde COVID-19-Pandemie für die Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten und ihren Austausch? Welche neuen Erkenntnisse werden präsentiert?
Professor Uhl: „Die Bewältigung einer solchen komplexen Krise kann nur durch die gemeinsame Anstrengung aller im medizinischen Bereich tätigen Personen bewältigt werden, insofern ist hier ein Wissensaustausch über die Berufsgrenzen hinweg von großer Bedeutung. Insbesondere die Zuteilung von Ressourcen spielt aktuell eine große Rolle. Wenngleich die COVID-19-Pandemie die NeuroIntensivmedizin vordergründig nur indirekt tangieren mag, so sind ihre Auswirkungen dennoch deutlich spürbar. Dies betrifft vor allem die Notwendigkeit, dass auch Patienten mit neurologischen/neurochirurgischen Erkrankungen bei knapper werdenden Ressourcen im Intensivbereich weiterhin eine optimale Versorgung garantiert werden muss. Zum anderen die Erkenntnis, dass das Virus auch das Nervensystem befällt, was eventuell zu neuroIntensivmedizinischen Komplikationen führen kann. Zu diesem Thema haben wir mit der Unterstützung von Prof. Julian Bösel noch ad hoc ein Symposium auf der ANIM einplanen können. Inwieweit neurologische Langzeitschäden durch das Virus hervorgerufen werden, werden wir erst in den nächsten Jahren beurteilen können. Das Thema COVID-19 wird daher wahrscheinlich in den kommenden Jahren auf der ANIM einen größeren Raum einnehmen, da dann die ersten gesicherten Daten auch aus dem neuroIntensivmedizinischen Bereich vorliegen werden.“
Die Diskussion über Strukturen in der NeuroIntensiv- und Notfallmedizin und die Neuro-Notfallmedizin in der Zentralen Notaufnahme wird ein wichtiges Kongressthema sein. Wie kann die Versorgung von schwerkranken neurologischen und neurochirurgischen Patienten bundesweit verbessert werden?
Professor Uhl: „Aus meiner Sicht ist die Neurointensivmedizin ein elementarer Bestandteil in der Versorgung von Patienten mit zerebralen und spinalen Erkrankungen und grenzt sich in der Diagnostik und Therapie grundlegend von der allgemeinen Intensivmedizin ab. Bundesweit stehen zwar ausreichend Intensivbetten zur Verfügung, allerdings herrscht oftmals Personalnot vor allem im pflegerischen Bereich, so dass nicht alle Betten belegt werden können. Darüber hinaus werden immer mehr neurologische und neurochirurgische Intensivpatienten auf interdisziplinären Intensivstationen versorgt. Dieser Rückgang an neurologisch und insbesondere neurochirurgisch geführten Intensivstationen ist eine Tendenz, der entschieden entgegengewirkt werden muss. Problematisch ist vor allem der Mangel an qualifizierten Ärzten und Ärztinnen sowie Intensivpflegekräften. Hier müssen große Anstrengungen unternommen werden, um dieses Problem mittelfristig zu lösen und die NeuroIntensivmedizin, die mit anderen Fachrichtungen um die besten und engagiertesten Köpfe konkurriert, attraktiv zu machen. Moderne Ausbildungskonzepte, Berücksichtigung variabler Arbeitszeitmodelle auch auf den Intensivstationen, die Teilzeit und Familienplanung ermöglichen, sowie eine Verbesserung der strukturellen Arbeitsbedingungen auf den Intensivstationen müssen erarbeitet und umgesetzt werden, um wieder vermehrt junge Kolleginnen und Kollegen sowohl im ärztlichen als auch pflegerischen Bereich für die NeuroIntensivmedizin gewinnen zu können. Nur dadurch ist langfristig eine flächendeckende und adäquate neurointensivmedizinische Versorgung auf hohem Niveau zu gewährleisten.“
Die ANIM ist wieder vielfältig aufgestellt: in Kooperation mit anderen Fachgesellschaften, interdisziplinär, interprofessionell und international. Welche Kongressthemen liegen Ihnen besonders am Herzen?
Professor Uhl: „Neben den bereits genannten Themenschwerpunkten bietet die ANIM wieder ein breites Spektrum an Themen aus dem neurointensivmedizinischen Bereich, das nicht nur die wichtigsten Krankheitsbilder umfasst, sondern auch von der präklinischen Notfallversorgung bis hin zu den ersten Rehabilitationsmaßnahmen reicht. Neben den wissenschaftlichen Symposien zu spezifischen Themen findet sich wieder ein reiches Angebot für Fort- und Weiterbildung nicht nur für Ärzte und Ärztinnen, sondern auch für die Pflegeberufe. Es freut mich auch, dass wir wieder neuroradiologische Kollegen für ein Symposium gewinnen konnten, ein Fachgebiet, ohne das eine moderne und qualitativ hochstehende NeuroIntensivmedizin nicht denkbar wäre. Ebenso wichtig sind die Sitzungen mit freien Vorträgen und E-Postern, die insbesondere dem wissenschaftlichen Nachwuchs die Möglichkeit geben sollen, ihre Forschungsergebnisse zu präsentieren und zu diskutieren.“
Ein besonderes Highlight des Kongresses ist wieder das Präsidentensymposium, das traditionell ganz persönlich und thematisch frei gestaltet wird. Welches Thema haben Sie gewählt?
Professor Uhl: „Aufgrund der Aktualität und der eingreifenden Maßnahmen, die nicht nur den medizinischen Bereich, sondern das gesamte öffentliche Leben in Deutschland betreffen, steht die Corona-Pandemie im Mittelpunkt des diesjährigen Präsidentensymposiums. Neben den politischen Entscheidungen zur Pandemiebewältigung soll auch die Problematik der Ressourcenzuteilung in der Intensivmedizin in dieser Krise beleuchtet werden. Es freut uns daher sehr, dass wir mit Bundeskanzleramtsminister Dr. Gert Helge Braun sowie Prof. Dr. Christian Karagiannidis zwei herausragende Referenten gewinnen konnten, die beide tief in diese Materie involviert sind. Wir freuen uns daher sehr auf diese Vorträge und hoffen auf eine rege und lebhafte Diskussion durch unsere Kongressteilnehmer.“
Die NeuroIntensivmedizin hat sich rasant weiterentwickelt. Welche Entwicklungen könnten mit Blick auf die nächsten Jahre zur weiteren Verbesserung beitragen?
Professor Uhl: „Die Weiterentwicklung in der NeuroIntensivmedizin ist nur interdisziplinär in enger Zusammenarbeit mit den verschiedenen Fachgebieten sowie weiteren Fortschritten im technischen Bereich denkbar. Ein Beispiel ist die Einführung der endovaskulären Thrombektomie, die zu einer deutlich verbesserten Versorgung von Schlaganfallpatienten geführt hat. Die Corona-Pandemie hat aufgezeigt, wie wichtig der Ausbau der digitalen Netzwerke für den Informationsaustausch ist, der in Zukunft im vermehrten Ausmaß auch für die telemedizinische Mitbetreuung von neurologisch/ neurochirurgisch erkrankten Patienten, die nicht auf NeuroIntensivstationen behandelt werden können, von Bedeutung sein könnte. Die digitale Vernetzung sollte auch zu einer umfassenderen Erfassung von Patientendaten in allen Stadien der Erkrankungen einschließlich der Rehabilitationsphase führen, was die Initiierung und Durchführung von multizentrischen Studien erleichtern könnten. So wurde kürzlich von der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie als Ergänzung zum bereits bestehenden Traumaregister ein deutschlandweites Datenregister zur Erfassung von Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma etabliert, die intensivmedizinisch behandelt werden. Nur durch die Analyse großer Datenmengen einschließlich der Bilddaten ist auf Dauer eine Verbesserung der Behandlungsqualität zu erwarten. Die Bildgebung muss sich dabei von der reinen anatomischen Abbildung eines aktuellen Status durch die Darstellung metabolischer und funktioneller zerebraler Vorgänge noch weiterentwickeln. Die Entwicklung von Biomarkern als Surrogatmarker zur Erstellung einer Diagnose, zur Beurteilung eines klinischen Zustandes, zur Prognoseabschätzung und zur Verlaufsbeurteilung bzw. zur Beurteilung eines Interventionserfolges kann dabei die Bildgebung ergänzen oder ersetzen. Dies sind nur einige Forschungsbereiche, die das Potential haben, in naher Zukunft wesentlich zum Fortschritt in der NeuroIntensivmedizin beizutragen.“
Herzlichen Dank für das Interview!
Weiterführende Informationen und das komplette Programm zur ANIM 2021 finden Sie auf der Kongress-Homepage unter www.anim.de
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