Vorurteile abbauen und neugierig machen auf den Anderen: Buchprojekt beschreibt Integrationsarbeit der THGA
Tausende Menschen haben 2015 ihre Heimatländer verlassen, auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung, vor Terror und Bomben. Viele von ihnen sind nach Deutschland gekommen. Um ihnen hier neue Chancen und Perspektiven zu bieten, hat die Technische Hochschule Georg Agricola (THGA) 2016 ein einzigartiges Programm ins Leben gerufen, das die Bedürfnisse von Geflüchteten umfassend und ganzheitlich in den Blick nimmt. Wie zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer die verschiedenen Angebote erlebt haben, welche Wege sie gegangen sind, was die THGA bislang erreicht hat und was noch zu tun ist, davon erzählt das Buch „An(ge)kommen. Integration von Geflüchteten an der THGA“, das jetzt erschienen ist.
Das Besondere an der Publikation ist, dass sie die Mehrdimensionalität von Flucht aufzeigt und die individuellen Geflüchteten aus dem Bild einer großen Masse – von der in Politik und Medien häufig die Rede ist – herauslöst. „Es geht nicht nur um eine Sammlung und Darstellung von Informationen über die Lebensbedingungen von Geflüchteten in Deutschland, um ihre Erfahrungen, Einstellungen und Erwartungen“, sagt Projektleiterin Antje Azraq, die zugleich als Integrationsmanagerin an der THGA arbeitet. „Stattdessen stellen wir das Einzigartige und Besondere in jeder Lebensgeschichte heraus.“
Da ist etwa Lina Atfah, die in der Gemeinschaft deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller eine neue Heimat gefunden hat, wenngleich sie mit dem Herzen noch immer bei den Menschen in Syrien ist. Da ist Juan Suliman, der vier Jahre auf seine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland warten musste; vier Jahre, geprägt von Angst, Rückschlägen und Enttäuschungen, aber auch von neuer Hoffnung und einem starken Willen. Heute studiert er „Geoingenieurwesen und Nachbergbau“ im Master an der THGA. Da ist Mohamad Zahlan, der über das Competence Empowerment Center der Hochschule einen Praktikumsplatz bei der Vivawest GmbH bekommen hat und nun eine Ausbildung zum Elektrotechniker für Energie- und Gebäudetechnik macht. Da sind Erlebnisse, die den Leserinnen und Lesern nicht aus dem Kopf gehen, Erzählungen von Folter und dem Verlust der eigenen Heimat, von der Ankunft in Deutschland und dem Gefühl, wirklich angekommen zu sein. Da sind Menschen, die aus dem Herzen über ihr Leben sprechen und sich auf besondere Art und Weise öffnen.
Geflüchteten die Möglichkeit geben, ihr Potenzial zu entfalten
So unterschiedlich ihre Wege sind, so haben sie doch eines gemeinsam: Alle zwölf porträtierten Geflüchteten haben Station an der THGA gemacht und an den Angeboten für Menschen mit Fluchterfahrung teilgenommen. Diese Angebote sind so gestaltet, dass jede und jeder, der kommt, einen für sich passenden Weg findet, anstatt in vorgefertigte, vermeintlich massentaugliche Strukturen gezwängt zu werden. „Das Buchprojekt zeigt daher auch, was alles entstehen kann, wenn Geflüchteten wirklich die Möglichkeit gegeben wird, ihr Potenzial zu entfalten“, sagt Antje Azraq.
So hat die Hochschule bereits im Jahr 2016 – als Reaktion auf die stark ansteigende Fluchtmigration und aus ihrem Verständnis heraus, Menschen jeglicher Herkunft Chancen und Perspektiven zu bieten – das in dieser Form einzigartige Programm „Perspektive AufSTEIGER“ (PPA) ins Leben gerufen. Es bereitet Geflüchtete umfassend und ganzheitlich auf ein Studium vor, indem nicht nur die deutsche (Fach-)Sprache vermittelt wird, sondern die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zudem erste Inhalte aus Grundlagenfächern und das nötige Methodenwissen für ein erfolgreiches Studium an die Hand bekommen.
Neben diesem notwendigen Erwerb von Sprach- und Fachkenntnissen nimmt das THGA-Angebot – anders als viele andere – auch die berufliche Integration in den Blick: Im Competence Empowerment Center (CEC) der Hochschule werden Menschen mit Fluchterfahrung durch geeignete Maßnahmen bei der Orientierung auf dem deutschen Arbeits- und Ausbildungsmarkt unterstützt, z. B. durch die Vorbereitung von Bewerbungsgesprächen und die Vermittlung von Praktika. In Anbetracht der teilweise traumatischen Erfahrungen, die die Geflüchteten gemacht haben, ist nicht zuletzt die dritte Komponente der THGA-Aktivitäten von entscheidender Bedeutung: Ein in Deutschland einzigartiges Integrationsmanagement flankiert die Aktivitäten von PPA und CEC. In kultur- und traumasensiblen Beratungen unterstützt Integrationsmanagerin Antje Azraq die Geflüchteten dabei, Ängste zu reduzieren und ihre innere Sicherheit zu stärken. Immer wieder greift sie bei emotional stark belastenden Themen auch auf Arabisch, die Herkunftssprache der meisten ihrer Klientinnen und Klienten, zurück, um ihnen die Beratungssituation zu erleichtern; Englisch und Französisch gehören ebenfalls zu ihrem Repertoire. In interkulturellen Gesprächskreisen haben die Geflüchteten darüber hinaus die Möglichkeit, sich einer Gruppe zu öffnen, Verständnis für den Anderen zu entwickeln und damit auch emotional und sozial im neuen Land anzukommen – denn erst dann kann Integration vollständig gelingen.
Buch beleuchtet Engagement und Herausforderungen
„Menschen mit Fluchterfahrung in unsere Hochschule und die Gesellschaft zu integrieren, ist für uns eine wichtige soziale und bildungspolitische Aufgabe, der wir uns mit großem Engagement stellen“, betont THGA-Präsident Prof. Dr. Jürgen Kretschmann. Das Buch beschreibe dabei nicht nur den großen Einsatz und die große Sorgfalt, die für die Integration nötig waren und sind, sondern auch die Herausforderungen, mit denen sich die Hochschule konfrontiert sieht. Doch gerade durch die persönlichen Lebensgeschichten verdeutliche es auch, „dass wir Menschen, die all ihrer Chancen in ihren Heimatländern beraubt wurden, Hoffnung auf eine gute Zukunft bieten konnten – wo immer sie sein, wie immer sie aussehen wird“, so Kretschmann weiter. Gefördert werden die THGA-Maßnahmen durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. Auch Kooperationspartner aus der Wirtschaft, Jobcenter und Arbeitsagenturen im Ruhrgebiet und die RAG-Stiftung unterstützen die Hochschule maßgeblich beim Erreichen ihrer Ziele.
Das Buch „An(ge)kommen“ ist auf Basis von vertrauensvollen und tiefgehenden Beratungsgesprächen und weiterführenden Interviews entstanden, die Integrationsmanagerin Antje Azraq während ihrer Arbeit mit den Geflüchteten geführt hat. „Es soll neugierig machen auf den individuellen geflüchteten Menschen in der Nachbarschaft oder im sonstigen persönlichen Lebensumfeld. Es soll dabei helfen, Vorurteile gegenüber Migranten abzubauen. Es soll Mut machen, offen aufeinander zuzugehen. Da, wo noch Sprachlosigkeit und Unsicherheit herrschen, kann es ein Kennenlernen fördern und einen Austausch anregen“, ist Antje Azraq überzeugt.
Weitere Informationen:
http://Bei Interesse an dem Buch können Sie sich per Mail an Antje Azraq wenden (antje.azraq@thga.de), die Ihnen gerne kostenlos ein Exemplar zusendet.