Ich mag, was du isst: Liegt der Schlüssel zum Schutz der Lemuren im Zusammenspiel zwischen Böden und Darm?
Kürzlich wurde eine transdisziplinäre Forschung über die Interaktionen zwischen Böden und Darm-Mykobiom (Pilze und Hefen) der Indri-Indri-Lemuren veröffentlicht. Durchgeführt wurde sie von einem Konsortium italienischer Universitäten, italienischen und madagassischen Forschungszentren und dem Natura Viva Park in Bussolengo (VR). Die Studie verglich die vom Tier aufgenommene Erde mit seinem Darm-Mykobiom und wies das Vorhandensein von Pilzen, Hefen und Mineralien nach, die für Wohlbefinden und Überleben der Lemuren von grundlegender Bedeutung sein könnten. Ein Teil der chemischen und mikrobiologischen Bodenanalysen wurde von Forschern der Agrarchemie an der unibz durchgeführt.
Mit Geophagie wird der Umstand bezeichnet, Erde zu essen, eine Praxis, die verschiedenen Tierarten und dem Menschen gemein ist. In manchen Kulturen Afrikas oder im Nahen Osten finden beispielsweise schwangere und eisenarme Frauen im Boden jene Mineralien, die in anderer Form nicht verfügbar ist. Ähnlich verhält es sich für die Indri, die größte Lemurenart Madagaskars. Auch sie ernährt sich von Erde, weil sie jene Mineralien vorfindet, die als Ergänzung zu ihrer Ernährung aus Blättern, Früchten und Samen dient.
Eine italienisch-madagassische Forschungsarbeit mit dem Titel „I Like the Way You Eat It: Lemur (Indri Indri) Gut Mycobiome and Geophagy" wurde dazu in der Zeitschrift Microbial Ecology veröffentlich. Sie untersucht die Beziehung zwischen Geophagie, Bodeneigenschaften im Lebensraum und Darmpilzen einschließlich Hefen, die in Indri, einer stark gefährdeten Tierart (gemäß Klassifizierung der Umwelt-NGO IUNC - International Union for Conservation of Nature) zu finden ist. Ziel der Studie war es, das geophagische Verhalten von Primaten zu entwirren und wurde von einem Team von Forschern mehrerer italienischer Universitäten und Forschungszentren mit Unterstützung des Zentrums der Universität Turin in Madagaskar durchgeführt. Beteiligt waren Mikrobiologen, Bodenchemiker und Ethologen, darunter für die Freie Universität Bozen ihr Forschungsteam der Agrarchemie mit den Professoren Tanja Mimmo und Stefano Cesco sowie Forscher Luigimaria Borruso.
Die ursprüngliche Hypothese, die durch die Ergebnisse der chemischen und mikrobiologischen Analysen bestätigt wurde, war, dass Lemuren Erde aufnehmen, weil sie wesentlicher Bestandteil ihrer Nahrung ist. Die Analyse von Bodenproben, die in den Wäldern Madagaskars genommen wurden – speziell in Maromizaha im nordöstlichen Teil der Insel - und von den Fäkalien der Tiere wies jeweils Pilze, Hefen und Mikronährstoffe nach, was die ursprüngliche Hypothese bestätigen würde. „Die aufgenommenen Pilze scheinen eine Rolle bei der Verdauung der Zellulose und damit der Blätter zu spielen, von denen sich die Lemuren ernähren", erklärt Luigimaria Borruso, Forscher an der Freien Universität Bozen. „Es liegt die Vermutung nahe, dass die Indri sie für Verdauungswecke nutzen. Andere gefundene Komponenten wie Mangan oder Eisen könnten für die arttypischen physiologischen Prozesse nützlich sein, wobei Erde auch als Entgiftungsmittel wirken könnte.“
Neben der chemischen und mikrobiologischen Analyse von Erde und Kot umfasste das Projekt auch einen ethologischen Teil, bei dem das Verhalten der Indri bei der Aufnahme von Erde beobachtet wurde. Die Gruppe der Primaten bewegt sich normalerweise in Richtung eines bestimmten Ortes. Nach der Identifizierung - meist in der Nähe eines verrottenden Baumes oder eines Erdrutsches - beginnt ein Mitglied der Gruppe Erde zu fressen, während die anderen die Umgebung beobachten und überprüfen. Wenn der erste fertig ist, wird er von einem anderen Mitglied abgelöst, bis die ganze Gruppe dieses Bedürfnis befriedigt hat. Später, um sich auszuruhen oder weiter zu füttern, wählt die Gruppe einen anderen Ort. Die Affen nehmen die Erde direkt mit dem Mund auf oder nehmen sie mit einer Hand auf und führen sie in die Mundhöhle ein.
Möglicherweise hat diese Entdeckung eine sehr wichtige Bedeutung für die Erhaltung der Art. Bisher haben Protokolle, die entwickelt wurden, um isolierte Gruppen in veränderten Umgebungen - und damit vor Pilzen, Hefen und Mikronährstoffen, die im Boden, von dem sie sich ernähren, enthalten sind - zu bewahren, kein gesundes Überleben von Indri-Exemplaren ermöglicht. „Weitere Forschung ist notwendig, aber die Ergebnisse unserer Studie lassen uns über die Notwendigkeit nachdenken, intakte Lebensräume und die Biodiversität im Boden zu erhalten", sagt Borruso. „Auch der Tierschutz hängt von der Erhaltung der Biodiversität im Boden ab, was nur durch den Kampf gegen die Zerstörung der Wälder geschehen kann. Der Boden ist keine erneuerbare Ressource, und wir müssen daran denken, dass wir, wenn wir ihn schützen, auch uns selbst und alles Leben schützen, das von ihm abhängt, einschließlich der Pflanzen, die dort wachsen".
vic/24.02.2021
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39100 Bozen
Originalpublikation:
https://link.springer.com/article/10.1007/s00248-020-01677-5
Weitere Informationen:
https://www.springer.com/journal/248