Lerntechnologien und Mathematikdidaktik gemeinsam entwickeln
Algebra lernen mit allen Sinnen: Dies ermöglicht ein System, das Informatiker*innen und Mathematikdidaktiker*innen der Universität Bremen gemeinsam entwickelt haben. Viele Erkenntnisse lassen sich auf andere Lernbereiche übertragen.
Das „Rechnen mit Unbekannten“ – die elementare Algebra – ist ein besonders wichtiger Baustein auf dem Weg zum erfolgreichen Schulabschluss: Fast alle folgenden mathematischen Konzepte bauen darauf auf. Da die Algebra vielen Schülerinnen und Schülern jedoch erhebliche Probleme bereitet, haben Mathematikdidaktiker*innen und Informatiker*innen der Universität Bremen gemeinsam ein System entwickelt, das den Lernprozess neu gestaltet.
Im Verbundprojekt „Multimodal Algebra Lernen“ (MAL) wurden unter Federführung des Technologie-Zentrums Informatik und Informationstechnik (TZI) der Universität Bremen
neueste Erkenntnisse aus der Mathematikdidaktik mit technischen Innovationen zusammengeführt. „Ziel des Projekts war es, ein Lernsystem zu entwickeln, das Konzepte der Algebra interaktiv und körperlich erfahrbar vermittelt“, erklärt TZI-Direktor Prof. Rainer Malaka. Eine Besonderheit dabei war, dass die Entwicklung des Demonstrators von Beginn an disziplinübergreifend erfolgte und die zukünftigen Nutzergruppen – Lehrer*innen und Schüler*innen – regelmäßig mit einbezog.
Systeme für zu Hause und für den Klassenraum
Ebenfalls ungewöhnlich war das Ziel, ein skalierbares System zu entwickeln, das an verschiedene Nutzungsszenarien angepasst werden kann. Das Resultat ist ein Demonstrator, der verschiedene Interaktionsmöglichkeiten anbietet. Beispielsweise unterstützt das mobile MAL-System auf einem mobilen Endgerät die Einzelnutzung zuhause oder unterwegs, während im schulischen Umfeld auch die Schultisch-Variante eingesetzt werden kann – sie besteht aus einem Tablet-PC und physischen Objekten in verschiedenen geometrischen Formen, die für bestimmte Werte oder Variablen stehen können und eine Gleichung somit handlungsorientierter lösbar machen. Diese Objekte sind auch als „Smart Objects“ in elektronischer Form entwickelt worden. Sie können automatisch kleine Hilfestellungen leisten, beispielsweise durch farbiges Lichtfeedback. Smart Objects lassen sich am besten mit einem Multi-Touch-Tisch kombinieren, also einem Tisch mit interaktiver Oberfläche. So können etwa mathematische Operationen durch passende Gesteninterkationen körperlich erfahrbar und Aufgaben auch kollaborativ bearbeitet werden. Um die Attraktivität des Lernsystems für Schülerinnen und Schüler weiter zu erhöhen, setzt MAL auf „Gamification“ – die spielerische Vermittlung der Inhalte.
Didaktische Erkenntnisse auf andere Projekte übertragbar
Die AG Mathedidaktik der Universität Bremen hat die didaktischen Grundlagen des MAL-Systems entwickelt und die Einbettungsmöglichkeiten in den Unterricht gemeinsam mit dem Westermann-Verlag, der ebenfalls am Projekt beteiligt war, untersucht. Prof. Angelika Bikner-Ahsbahs und ihr Team haben dabei das Zusammenwirken von Technologie, Design und Aufgabenstellung konkret für das Algebra-Lernen betrachtet – mit Ergebnissen, die sich auf andere Anwendungsfelder übertragen lassen. Dazu gehören beispielsweise wichtige Erkenntnisse zur Präsentation von Feedback: „Wir haben gelernt, dass leistungsstarke Schülerinnen und Schüler das Feedback oft ignorieren“, berichtet Bikner-Ahsbahs. „Leistungsschwache Schülerinnen und Schüler müssen dagegen erst lernen, Feedback zu verstehen und umzusetzen.“ Ein wichtiges Ergebnis war darüber hinaus die Entwicklung eines Schichtenmodells des Lernprozesses, das in vier Schritten vom Erlernen des Systems bis zur Emanzipierung von ihm führt.
Schülerinnen und Schüler begeistert
Die Entwicklung des Systems wurde von zahlreichen Evaluationsstudien begleitet und in einer abschließenden Gesamtevaluation von Mathematik-Lehrkräften online bewertet, unter anderem auf Basis von Videos. „Die Rückmeldungen waren fast durchgehend signifikant positiv“, so Bikner-Ahsbahs. Nur die Frage nach der kognitiven Belastung der Lernenden sei differenzierter beantwortet worden – Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf könne das MAL-System in seiner aktuellen Form beim Denken auch belasten anstatt zu entlasten. „Schulgruppen, die das System ausprobiert haben, waren bis jetzt aber stets begeistert“, berichtet sie. Um das MAL-System tatsächlich in den Unterricht zu bringen, werde nun ein Unternehmen benötigt, das die kommerzielle Weiterentwicklung der Prototypen übernimmt.
Förderung durch das BMBF
Neben den genannten Partnern waren auch Wissenschaftler*innen des Kompetenzzentrums für Klinische Studien der Universität Bremen und des ifib - Institut für Informationsmanagement Bremen GmbH sowie die Firmen xCon/Ubimax und Westermann Verlag an dem interdisziplinären Projekt beteiligt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung förderte MAL im Rahmen des Förderschwerpunkts „Erfahrbares Lernen“ mit knapp 1,4 Millionen Euro; das gesamte Projektvolumen belief sich auf 1,8 Millionen Euro.
Weitere Informationen:
http://mal-projekt.de/ Projektwebsite
https://youtu.be/UO5t5UfLPsI Video zum Projekt