Kleinzelliger Lungenkrebs: Wissenschaftlerinnen identifizieren zwei neue Ansatzpunkte für Therapien
Der eisenabhängige Zelltod Ferroptose und der Zelltod durch oxidativen Stress kann im kleinzelligen Lungenkrebs aktiviert und durch zwei Wirkstoffe eingeleitet werden / Publikation in „Nature Communications“
Ein Forschungsteam um die Biologin Dr. Silvia von Karstedt hat bei der Untersuchung von Proben kleinzelliger Lungentumoren zwei neue Möglichkeiten entdeckt, das Absterben der Tumorzellen herbeizuführen. Eine von zwei Untergruppen der Tumorzellen kann durch die Aktivierung von Ferroptose, den eisenabhängigen Zelltod durch oxidativen Stress, bekämpft werden. Im zweiten Subtyp kann oxidativer Stress – und damit verbunden der Zelltod – auf eine alternative Art und Weise ebenfalls herbeigeführt werden. Beide Arten von Zelltod müssen durch Medikamente zeitgleich ausgelöst werden, um weitestgehend alle Tumorzellen abzutöten. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Die Diagnose eines kleinzelligen Lungenkarzinoms bedeutet trotz vieler Fortschritte in der Behandlung eine besonders schlechte Prognose. In Deutschland kommen jährlich bis zu 8.000 neue Krebsfälle mit kleinzelligem Lungenkarzinom (small cell lung cancer – SCLC) hinzu. Wenn Krebs entdeckt wird, hat er bereits viele Schlupflöcher gefunden, um dem Immunsystem des Körpers zu entkommen. Die klassischen Zelltodmechanismen wie zum Beispiel der regulierte Zelltod durch Apoptose sind meist bereits inaktiviert. Die Tumorzellen können sich also fast unkontrolliert weiter teilen und ausbreiten.
Charakteristisch für den kleinzelligen Lungenkrebs ist eine hohe Zellteilungsrate, die zunächst ein gutes Ansprechen einer Chemotherapie verspricht. „Leider hält der Erfolg der Chemotherapie in vielen Fällen nur kurz an, da die Tumorzellen Resistenzen gegen die Therapie entwickeln. Hinzu kommt, dass ein Tumor nicht nur aus einem, sondern aus verschiedenen Zelltypen, den sogennanten Subtypen besteht, die auf unterschiedlichen Wegen versuchen, der tödlichen Therapie zu entkommen“, sagt von Karstedt, Forschungsgruppenleiterin am Exzellenzcluster für Alternsforschung CECAD, der Abteilung Translationale Genomik der Universität zu Köln und des Zentrum für Molekulare Medizin Köln (ZMMK). Hier setzt ihre Forschung an. Die Biologin versucht zu verstehen, welche Zelltodmechanismen in den Krebszellen bereits inaktiviert sind und welche noch durch eine gezielte Therapie genutzt werden können um den Tumor zu töten.
Ausgangsmaterial für die Studie waren Patientenproben, die zum Zeitpunkt der Diagnose entnommen wurden und somit den noch unbehandelten Tumor abbildeten. Um herauszufinden, welche Wege zum Zelltod noch möglich sind, verglich die Forschungsgruppe die Genaktivität zwischen Patientenzellen, die innerhalb und außerhalb des Tumors entnommen wurden. Die für die klassischen Zelltodmechanismen wichtigen Signalwege waren innerhalb des Tumors bereits zu diesem frühen Zeitpunkt vor Therapie abgeschaltet. Dagegen waren Gene, die für die Aktivierung des eisenabhängigen Zelltods durch oxidative Schäden (Ferroptose) wichtig sind, in den Krebszellen stark aktiviert.
Vereinfacht können die Zellen des kleinzelligen Lungenkrebses in zwei Subtypen eingeteilt werden: die neuroendokrinen Zellen und nicht-neuroendokrinen Zellen. In der Untergruppe der neuroendokrinen Zellen sind mehr Gene aktiv, die sonst typischerweise in Nervenzellen vorkommen, die Hormone herstellen. Die Zellen des anderen Subtypen haben diese Eigenschaft nicht und werden daher als nicht-neuroendokrine Zellen zusammengefasst. „Wir konnten in verschiedenen Experimenten zeigen, dass Zellen des nicht-neuroendokrinen Typs mit Hilfe von Buthioninsulfoximin, was Ferroptose auslöst, zum Zelltod gebracht werden können. Bei Zellen, die zum neuroendokrinen Subtyp gehören, stellten wir fest, dass sie sich mit der Produktion von Antioxidantien vor oxidativem Stress und somit vor Zelltod schützen. Durch die Zugabe des Antioxidantien-Hemmers Auranofin konnten wir jedoch auch diese Zellen abtöten“, erklärt die Doktorandin Christina Bebber, die Erstautorin der Arbeit.
Im Hinblick auf eine mögliche Anwendung dieser Erkenntnisse zur Therapie des kleinzelligen Lungenkrebses machten die Biologinnen und Biologen eine wichtige Beobachtung: Wenn sie einen Tumor, der aus Zellen beider Subtypen bestand, nur auf einem der beiden Wege angriffen – also entweder die Ferroptose anschalteten oder die Antioxidanz-Herstellung hemmten – konnten die Krebszellen der tödlichen Therapie ausweichen. Sie passten ihre Genexpression an, um in den Subtyp zu wechseln, der dem jeweiligen Angriff widerstehen kann. „Durch die Kombinationstherapie haben wir den Tumorzellen diesen Fluchtweg genommen. Das Besondere an der Studie ist ferner, dass wir Medikamente eingesetzt haben, die bereits in weitgehenden klinischen Studien untersucht oder sogar für einen anderen Anwendungsbereich zugelassen sind“, erklärt von Karstedt. Der Wirkstoff Buthioninsulfoximin, welcher die Ferroptose auslöst, wird bereits in der Krebstherapie in klinischen Studien untersucht. Das Goldsalz Auranofin, das die Bildung von schützenden Antioxidantien blockiert, ist seit Jahrzehnten für die Behandlung der rheumatoiden Arthritis zugelassen. Künftige klinische Studien einer kombinierten Therapie werden klären inwiefern diese zielgerichtete Therapiemöglichkeit die Prognose einer kleinzelligen Lungenkrebsdiagnose verbessern wird.
Inhaltlicher Kontakt:
Dr. Silvia von Karstedt
+49 221 478 84340
s.vonkarstedt@uni-koeln.de
Presse und Kommunikation:
Dr. Anna Euteneuer
+49 221 478 84043
anna.euteneuer@uni-koeln.de
Link zur Studie:
http://dx.doi.org/10.1038/s41467-021-22336-4
Link zum Wissenschaftsnachrichtenvideo (WNV):
https://youtu.be/7qD90j6VqyA