Mitbestimmung: Was sie bewirkt, wo sie bedroht ist - Rechercheservice der Hans-Böckler-Stiftung zum 1. Mai
Mitbestimmung: Was sie bewirkt, wo sie bedroht ist - Rechercheservice der Hans-Böckler-Stiftung zum 1. Mai
Dass in Deutschland Beschäftigte Betriebsräte wählen und in großen Unternehmen im Aufsichtsrat mitbestimmen können, gehört zum wirtschaftlichen Erfolgsmodell der Bundesrepublik. Aktuelle Forschung zeigt, dass mitbestimmte Unternehmen nicht nur bessere Arbeitsbedingungen bieten, sie sind auch wirtschaftlich erfolgreicher, investieren mehr und verfolgen häufiger eine innovationsorientierte Geschäftsstrategie.
Insbesondere Wirtschaftskrisen und Transformationssituationen bewältigen Unternehmen mit starker Mitbestimmung besser, zeigt beispielsweise eine großangelegte Studie von Wirtschaftswissenschaftlern der Universitäten Göttingen und Marburg (Hier geht es zu allen genannten Studien).
Trotzdem steht die demokratische Beteiligung von Beschäftigten unter Druck, und dieser hat sich zuletzt noch verschärft. Wenn Vertreter der Kapitalseite im Aufsichtsrat Konflikte eskalieren oder Kompromisse verweigern, können sie sich aufgrund ihres strukturellen Übergewichts immer durchsetzen, etwa durch das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden, analysiert Dr. Daniel Hay im Interview: „Was dieses Doppelstimmrecht für die Beschäftigten bedeutet, hat der Fall Continental sehr prominent gezeigt, wo der Arbeitgeber eine Werksschließung an den Beschäftigten vorbei durchgeboxt hat“ – auch wenn es dem Betriebsrat und der Gewerkschaft IGBCE in zähen Verhandlungen gelungen ist, die sozialen Folgen für die ArbeitnehmerInnen im Aachener Reifenwerk erheblich abzumildern.
Hay, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung, hält deshalb Regelungen wie bei der Montanmitbestimmung für zukunftsweisend, wo Konflikte durch ein neutrales Mitglied im Aufsichtsrat moderiert werden. „Die Idee der Montanmitbestimmung ist heute relevanter denn je. Es geht nicht mehr nur um Kohle und Stahl, sondern auch um Finanzmarktkapitalismus und eine sich rasant verändernde Arbeitswelt durch Technologiewandel. Vorstände orientieren ihre Entscheidungen allzu oft an den Erwartungen des Kapitalmarkts und nicht daran, was für die Beschäftigten und für eine nachhaltige Entwicklung des Unternehmens notwendig ist“, sagt Hay. Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IGBCE, beobachtete zum Auftakt des Wahljahres 2021 immerhin ein gewachsenes Problembewusstsein: „Der Blick auf offensichtlich kapitalmarktgetriebene Unternehmensentscheidungen ist kritischer geworden quer durch alle politischen Strömungen. Im Fall Conti habe ich aus allen Lagern Zustimmung erhalten. Selbst Christian Lindner hat mir geschrieben, dass das nicht in Ordnung war“, so Vassiliadis im Februar.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Schließung von Rechtslücken, durch die sich Mitbestimmung aushebeln lässt. Mindestens 2,1 Millionen Beschäftigte sind davon betroffen, so eine I.M.U.-Analyse von 2020. „Immer mehr Unternehmen entziehen sich durch juristische Tricksereien der Mitbestimmung“, sagt Daniel Hay. Das betrifft allein unter den deutschen Großunternehmen mit mehr als 2000 Beschäftigten fast 200, mehr als 100 andere ignorieren die Mitbestimmungsgesetze ganz einfach – das ist rechtswidrig, aber spürbare juristische Sanktionen gibt es bislang dafür nicht. Alle genannten Gesetzeslücken sind seit langem bekannt und wären mit geringem gesetzgeberischen
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Abteilungsleiter Öffentlichkeitsarbeit und Transfer
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