Parasiten als Jungbrunnen: Infizierte Ameisen leben länger
Lebenserwartung von Ameisen mit einer Bandwurminfektion ist wesentlich höher als von nicht parasitierten Nestgenossinnen
Ameisen, die mit einem Bandwurm infiziert sind, leben wesentlich länger als ihre nicht infizierten Nestgenossinnen. Normalerweise wirkt sich ein Befall mit Parasiten in der Tierwelt schädlich aus – aber es gibt Ausnahmen. Wie eine mehrjährige wissenschaftliche Studie ergab, zeigen Arbeiterinnen der Ameisenart Temnothorax nylanderi bei einer Bandwurminfektion außergewöhnlich hohe Überlebensraten. „Die Lebenserwartung der infizierten Ameisen ist deutlich verlängert. Die Arbeiterinnen haben nach unseren Beobachtungen eine Überlebensrate, die denen von Königinnen gleicht“, erklärt die Studienleiterin Prof. Dr. Susanne Foitzik von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Königinnen können bei dieser Art bis zu 20 Jahre alt werden, während Arbeiterinnen selten das zweite Lebensjahr vollenden. Ein Grund für die höhere Lebenserwartung liegt in einer durch den Parasiten veränderten Physiologie und einer besseren Versorgung der infizierten Tiere.
Versorgung der Tiere im Nest spielt eine Rolle für längere Lebensdauer
Das Geheimnis der Langlebigkeit stellt sich gerade bei Ameisen in besonders drastischer Weise dar: Viele Ameisenköniginnen erreichen eine Lebensspanne von mehreren Jahrzehnten. Sie verbringen fast ihr gesamtes Leben im sicheren Nest, wo sie von den Arbeiterinnen, ihren Töchtern, umsorgt werden. Im Gegensatz dazu leben Ameisenarbeiterinnen nur einige Wochen bis Monate oder selten wenige Jahre. Die unfruchtbaren Arbeiterinnen übernehmen alle Aufgaben im Nest, zunächst in der Brutpflege und dann mit höherem Alter bei der riskanteren Futtersuche außerhalb der Kolonie. Die hohe Lebenserwartung der Königinnen ist mit einer geringen Sterblichkeit durch ihre gute Versorgung, ihrer sicheren Umgebung und der Aktivierung physiologischer Reparaturmechanismen zu erklären.
Diese Gründe könnten auch für die ausgesprochen hohen Überlebensraten von Temnothorax-nylanderi-Arbeiterinnen, die mit einem Bandwurm befallen sind, eine Rolle spielen. Die Ameise kommt in Mitteleuropa häufig vor und bildet hier kleine Kolonien auf dem Waldboden, in Eicheln oder dem Totholz von Bäumen. Die Tiere sind mit einer Körperlänge von zwei bis drei Millimetern relativ klein. Dem Bandwurm Anomotaenia brevis dienen sie als Zwischenwirt, wobei eine einzelne Ameise von bis zu 70 parasitären Larven befallen werden kann. Die Parasiten überdauern in der Hämolymphe, der Körperflüssigkeit von Insekten. Sie vollenden ihren komplexen Lebenszyklus, sobald sie von einem Specht aufgenommen werden, der sich von den Ameisen ernährt.
Das Forschungsteam um Susanne Foitzik hat sich mit den langfristigen Folgen der Parasitierung befasst und dazu Ameisenkolonien aus den Wäldern um Mainz gesammelt und im Labor beobachtet. „Wir haben die Überlebensrate von Arbeiterinnen und Königinnen sowohl in infizierten als auch in nicht infizierten Ameisenkolonien über drei Jahre verfolgt, bis mehr als 95 Prozent der nicht infizierten Arbeiterinnen gestorben waren“, erklärt Susanne Foitzik. Zu diesem Zeitpunkt lebten von den parasitierten Arbeiterinnen noch deutlich mehr als die Hälfte – die Überlebensrate weist damit praktisch keinen Unterschied zu den langlebigen Königinnen auf. „Es ist außerordentlich spannend, dass ein Parasit eine so positive Veränderung in seinem Wirt auslösen kann. Die Verlängerung der Lebenspanne ist sehr ungewöhnlich“, sagt die Evolutionsbiologin von der JGU.
Infizierte Arbeiterinnen unterscheiden sich im Aussehen, im Verhalten und physiologischen Merkmalen
Zunächst fallen die infizierten Ameisen durch eine hellere Farbe auf, weil ihre Kutikula weniger pigmentiert ist als bei den braungefärbten Nestgenossinnen. Sie sind außerdem weniger aktiv und lassen sich im Nest von anderen Arbeiterinnen versorgen. „Die infizierten Tiere erhalten mehr Aufmerksamkeit, werden besser gefüttert, geputzt und umsorgt. Sie erhalten sogar etwas mehr Fürsorge als die Königin des Nests“, bemerkt Susanne Foitzik. Die Untersuchungen ergaben weiter, dass parasitierte Ameisen ähnliche Stoffwechselraten und Fettanteile aufweisen wie junge Tiere. Es scheint so, als würden die Ameisen infolge der Infektion dauerhaft in einem Jugendstadium verharren. Dazu beitragen dürfte, dass die Bandwurmlarven Proteine mit Antioxidantien in die Hämolymphe der Ameisen abgeben und die Aktivität von Ameisengenen, die das Altern beeinflussen, verändern.
Auch wenn das Rätsel ihres langen Lebens noch nicht vollständig geklärt wurde, so scheint das Verhalten der infizierten Ameisen selbst nicht den Ausschlag zu geben: Das Forschungsteam, an dem auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Biologie des Alterns und der Universität Tel Aviv beteiligt sind, hat keine Hinweise gefunden, dass die Tiere aktiv betteln würden, um besser versorgt zu werden. Allerdings förderten chemische Signalstoffe auf der Kutikula parasitierter Ameisen die Zuwendung ihrer Nestgenossen. „Die infizierten Tiere leben im Schlaraffenland, aber die gute Versorgung alleine kann die hohe Lebenserwartung nicht erklären“, so Foitzik. Welche Faktoren insbesondere auf molekularer und epigenetischer Ebene eine Rolle für das Methusalem-Alter der parasitierten Arbeiterinnen spielen, soll in weiteren Forschungsarbeiten untersucht werden.
Bildmaterial:
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Zwei Ameisen der Art Temnothorax nylanderi: Die hellere Ameise ist mit Larven des Bandwurms Anomotaenia brevis (rechts unten) infiziert, was eine Farbänderung der Kutikula, vor allem aber auch eine wesentlich längere Lebensspanne zur Folge hat.
Foto/©: Susanne Foitzik / JGU
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Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Susanne Foitzik
Verhaltensökologie und Soziale Evolution
Institut für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
55099 Mainz
Tel. +49 6131 39-27840
Fax +49 6131 39-27850
E-Mail: foitzik@uni-mainz.de
https://evo.bio.uni-mainz.de/foitzik-susanne-prof-dr/
Originalpublikation:
Sara Beros et al.
Extreme lifespan extension in tapeworm-infected ant workers
Royal Society Open Science, 19. Mai 2021
DOI: 10.1098/rsos.202118
https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rsos.202118