Neue MIDEM-Studie zeichnet differenziertes Stimmungsbild über die Einschätzung der Covid-19- Maßnahmen in Sachsen
Erste repräsentative Studie zu den sozialräumlichen und politisch-kulturellen Rahmenbedingungen von Corona in Sachsen: Starke Verbreitung von Impfskepsis, Regierungskritik und Verschwörungsdenken. Deutliche Unterschiede zwischen Nord-, Südwest und Ostsachsen.
Seit anderthalb Jahren wird Sachsen von der Pandemie bestimmt und zählte im Winter 2020/2021 zu einer der Regionen Deutschlands mit den höchsten Inzidenzwerten. Vor diesem Hintergrund wurde vielfach vermutet, dass gerade in Sachsen bestimmte sozialräumliche und politisch-kulturelle Faktoren die Infektionslage zusätzlich verschärft haben. Ist Sachsen also das ‚Kernland der Querdenker‘ mit einer ‚renitenten‘ Bevölkerung?
Dieses Bild ist zurückzuweisen. Die Einstellungen der Sächsinnen und Sachsen zur Corona-Politik unterscheiden sich insgesamt nicht grundlegend von denen in Gesamtdeutschland. Allerdings ist gerade in Sachsen das Lager der Corona-Kritiker stark ausgeprägt. Knapp die Hälfte der Bevölkerung ist mit dem staatlichen Corona-Management unzufrieden. 30 Prozent der Sächsinnen und Sachsen bewerten die seit Anfang 2020 ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus als „nicht sinnvoll“. 42 Prozent zeigen Verständnis für die Corona-Proteste, 20 Prozent wollen sich „eher nicht“ oder „auf keinen Fall“ gegen COVID-19 impfen lassen, 22 Prozent neigen gar einem Corona-bezogenem Verschwörungsdenken zu.
Zu diesem Ergebnis kommt die vom Mercator Forum Migration und Demokratie und dem Zentrum für Verfassungs- und Demokratieforschung durchgeführte Studie über die Einschätzung der Bürgerinnen und Bürger zu den Corona-Maßnahmen im Bundesland.
Ziel der Untersuchung war es, die bereits bestehenden Forschungsergebnisse aus den Bereichen Medizin und Gesundheitswissenschaft um den Einfluss der soziodemographischen und sozialräumlichen Rahmenbedingungen des Pandemiegeschehens in Sachsen zu ergänzen.
Die Ergebnisse zeichnen ein gespaltenes Bild, erklärt der Studienleiter und MIDEM-Direktor Prof. Dr. Hans Vorländer: „Auf der einen Seite zeigt sich eine knappe Mehrheit mit dem Corona-Management von Bundesregierung und sächsischer Landesregierung zufrieden. Rund die Hälfte der Sächsinnen und Sachsen bedauert es gar, dass die Politik bei der Bekämpfung der Pandemie ‚nicht härter durchgegriffen‘ hat. Eine überwältigende Mehrheit von 74 Prozent der Befragten findet es außerdem gut, wenn ‚die Politik in der Krise vorrangig dem Rat etablierter Wissenschaftler und Experten folgt‘.“
Vorländer führt weiter aus: „Auf der anderen Seite ist ein großer Teil der Bevölkerung kritisch. Die Hälfte der Sachsen glaubt etwa, dass die Gefahr, die vom COVID-19-Virus ausgeht, in den Medien übertrieben wird. 44 Prozent vermuten, dass die Regierung ‚aus Rücksicht auf die Pharmalobby […] mögliche Nebenwirkungen und Langzeitschäden der Corona-Impfstoffe‘ verschweigt. 35 Prozent sind der Meinung, die Regierung nutze die Pandemie als Vorwand, ‚um die Überwachung der Bürger voranzutreiben‘.“
Bemerkenswert ist, dass die Urteile über Corona-Maßnahmen, Impfung und Regierungshandeln je nach Region, sozialer Gruppe und politischer Orientierung höchst unterschiedlich ausfallen. Insbesondere Ost- und Südwestsachsen zeigen hier deutliche Auffälligkeiten: „In allen Bereichen der Ablehnung oder Kritik der Corona-Maßnahmen wiesen die Befragten insbesondere in den Landkreisen Görlitz, Bautzen und Erzgebirge besonders hohe, in den Landkreisen Leipzig, Nordsachsen und Vogtland besonders niedrige Werte auf“, so der Co-Autor der Studie, Maik Herold.
Für die Erhebung wurden in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut dimap insgesamt 1.008 Personen über 18 Jahre im Zeitraum vom 10. bis 15. Mai 2021 befragt. Die Ergebnisse wurden repräsentativ für Sachsen sowie vier Regionen Sachsens erhoben (Nordsachsen, Ostsachsen, Südwestsachen sowie die sächsischen Großstadtregionen) und nach Alter, Geschlecht, Bildung und Population gewichtet.
Die Studie „COVID-19 in Sachsen. Sozialräumliche und politisch-kulturelle Rahmenbedingungen des Pandemiegeschehens.“ liefert erstmalig repräsentative Ergebnisse zur Einstellung der sächsischen Bevölkerung zu den Corona-Schutzmaßnahmen und gibt Aufschluss über die Bedeutung der sozialräumlichen Verteilung und der politisch-kulturellen Faktoren in der Einschätzung und Bewertung des Pandemiegeschehen und der Maßnahmen zu deren Eindämmung.
Eine öffentliche Vorstellung der Studie im Rahmen eines Fachgesprächs mit der Sächsischen Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt Petra Köpping und dem Infektiologen Prof. Christoph Lübbert (Uniklinik/ St. Georg Klinik, Leipzig) findet am 16.06.2021 in digitaler Form statt.
Das Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM) ist ein interdisziplinäres Forschungszentrum der Technischen Universität Dresden, gefördert durch die Stiftung Mercator. Es fragt danach, wie Migration demokratische Politiken, Institutionen und Kulturen prägt und zugleich von ihnen geprägt wird. Untersucht werden Formen, Instrumente und Prozesse politischer Verarbeitung von Migration in demokratischen Gesellschaften –in einzelnen Ländern und im vergleichenden Blick auf Europa. Weitere Informationen über MIDEM können Sie gerne unserer Website entnehmen.
Informationen für Journalisten:
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Kommunikations- und Transfermanagerin
Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM)/ Zentrum für Verfassungs- und Demokratieforschung (ZVD)
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