ZNS – Hannelore Kohl Stiftung plädiert für zusätzliche Wechselmöglichkeiten bei Kopfverletzungen im Fußball
Ein Zusammenstoß beim Kopfballduell, ein Ellbogen beim Zweikampf im Gesicht, ein Aufprall gegen den Torpfosten: Die Gefahr, eine Gehirnerschütterung zu erleiden, spielt im Fußball immer mit. Wird die Verletzung nicht erkannt oder unterschätzt, kann es lebenslange gesundheitliche Folgen haben. Die ZNS – Hannelore Kohl Stiftung begrüßt daher die Einführung von zusätzlichen Wechselmöglichkeiten im Falle von Kopfverletzungen und wirbt für eine weitere Sensibilisierung.
Wenn von Gehirnerschütterungen im Fußball die Rede ist, denken viele deutsche Fans zuerst an Christoph Kramer im WM-Finale 2014. Die Erinnerung daran dürfte bei vielen Fußball-Anhängern im ersten Spiel der deutschen Nationalmannschaft bei der laufenden Europameisterschaft wach geworden sein, als der Franzose Benjamin Pavard vom FC Bayern München nach einem Zusammenprall mit Robin Gosens zu Boden ging.
Der Rechtsverteidiger der Equipe Tricolore blieb liegen, spielte nach einer kurzen Behandlungspause jedoch weiter. „Ich habe einen höllischen Schock erlitten“, erzählte Pavard später gegenüber beIN SPORTS. „Ich war für zehn bis fünfzehn Sekunden ein wenig ausgeknockt, danach war es besser.“
Dass der Franzose weiterspielte, sorgte jedoch für Unverständnis - nicht nur bei der FIFPro, einer Spielervertretung von Profifußballern. „Pavard hätte bei einem umsichtigen Vorgehen des französischen Mannschaftsarztes nicht auf das Feld zurückkehren dürfen“, urteilte auch das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL und verwies auf die ‚UEFA EURO 2020 Concussion Charter‘, mit welcher alle 24 Teams unter anderem unterzeichneten, einen Spieler beim Verdacht auf eine Gehirnerschütterung sofort vom Platz zu nehmen.
Die Gefahr einer Gehirnerschütterung lässt sich im Sport nie komplett ausschließen; da der Fußball zudem immer athletischer wird, steigt das Risiko. Die Verbände reagieren darauf mit verschiedenen Pilotprojekten: Bei der Klub-WM in Katar im Februar sowie der U21-Europameisterschaft war jeweils eine zusätzliche Auswechselung erlaubt; in den Profiligen der USA wird aktuell die Anwendung von zwei zusätzlichen Auswechslungen im Falle einer Kopfverletzung getestet.
Bei der Europameisterschaft gibt es solch spezielle Wechsel-Regeln bei Kopfverletzungen nicht – ebenso wenig wie in Deutschland. Dabei gibt es auch über den zusätzlichen Wechsel hinaus bereits Ideen, wie betroffene Spieler während einer Partie besser untersucht bzw. versorgt werden könnten. „Medizinisch würde ich mich ganz klar dafür aussprechen, dass man einen zeitweiligen Wechsel durchführen kann, um einen Spieler genauer zu untersuchen“, urteilte Professor Claus Reinsberger bereits vor einigen Wochen gegenüber der ZNS – Hannelore Kohl Stiftung.
Der Facharzt für Neurologie ist Leiter des Sportmedizinischen Instituts der Universität Paderborn und Mitglied der Medizinischen Kommission des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Mit einem zeitweiligen Wechsel „ließe sich feststellen, ob eine Gehirnerschütterung vorliegen könnte oder nicht – und wenn nicht, kann der Spieler nach zehn, fünfzehn Minuten wieder zurück auf das Spielfeld.“
Das Problem bei der Umsetzung einer ‚temporary substitution‘: Das Regelwerk. „Es heißt immer, das wäre regeltechnisch nicht so einfach zu lösen, aber medizinisch wäre es das beste“, unterstreicht Reinsberger. „Die zusätzliche Auswechselung ist ein erster Schritt und besser als nichts, aber ich fände den flüssigen Wechsel noch sinnvoller. So könnte der Arzt in Ruhe herausfinden, was los ist - ohne, dass die Mannschaft bestraft wird, weil sie in der Zeit mit einem Spieler weniger agieren muss.“
Reinsberger weiß um die Gefahr, die von unentdeckten bzw. unterschätzten Gehirnerschütterungen ausgehen kann - und wirbt für eine Sensibilisierung. „Wenn ich als Trainer, Physiotherapeut oder Mannschaftsarzt nicht sicher ausschließen kann, dass ein Spieler oder eine Spielerin eine Gehirnerschütterung hat, sollte er oder sie ausgewechselt werden“, so der Neurologe. „Das Risiko ist einfach zu groß.“
Im Rahmen der Initiative „Schütz Deinen Kopf! Gehirnerschütterungen im Sport“ setzt sich auch die ZNS – Hannelore Kohl Stiftung für Prävention und Sensibilisierung ein. In Bonn begrüßt man die Initiativen des Fußballs. „Die ZNS – Hannelore Kohl Stiftung plädiert dafür, dass eine zusätzliche Wechselmöglichkeit bei Kopfverletzungen flächendeckend eingeführt wird - von der 1. Bundesliga bis zur Kreisklasse“, sagt Geschäftsführerin Helga Lüngen. „Ob es sich um einen zusätzlichen Wechsel oder eine ‚temporary substitution‘ handelt, spielt für uns eine untergeordnete Rolle, das sollen die Fußball-Experten entscheiden.“
Grundsätzlich begrüßt die Stiftung jedoch die zunehmende Sensibilisierung im Umgang mit Gehirnerschütterungen – und wünscht sich weiterhin eine flächendeckende Aufklärung, damit die Verletzung nicht unterschätzt wird. Lüngen: „Der Zusammenstoß von Robin Gosens und Benjamin Pavard zeigt, dass die Gefahr von Gehirnerschütterungen immer mitspielt. Dass nun über den Umgang mit dieser Situation diskutiert wird, ist ebenso wie die ‚Concussion Charter‘ der UEFA ein wichtiges Signal, denn es zeigt, dass Gehirnerschütterungen anders als vor einigen Jahrzehnten nicht mehr unterschätzt, sondern ernst genommen werden.“
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