Sind Menschenrechte ein Qualitätsmerkmal deutscher Entwicklungspolitik?
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat den Schutz und die Förderung von Menschenrechten als ein Qualitätsmerkmal und Leitprinzip der deutschen Entwicklungspolitik definiert. Das Deutsche Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit (DEval) hat diesen Menschenrechtsansatz des BMZ untersucht. Die Evaluierung kommt zu dem Ergebnis, dass er größtenteils relevant ist, es jedoch Verbesserungspotenziale bei der Umsetzung gibt.
1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Seitdem hat sich die Menschenrechtssituation vielerorts verbessert. In etlichen Ländern lassen sich aber in jüngerer Zeit Einschränkungen von Freiheitsrechten und Handlungsräumen der Zivilgesellschaft beobachten. Humanitäre, wirtschaftliche und ökologische Krisen sowie Regierungsmaßnahmen im Zuge der Covid-19-Pandemie verstärken menschenrechtliche Herausforderungen.
Das BMZ hat sich zum Ziel gesetzt, durch Entwicklungszusammenarbeit (EZ) die Verwirklichung der Menschenrechte zu fördern. Grundlage hierfür bildet der 2011 formulierte Menschenrechtsansatz der deutschen Entwicklungspolitik.
Breiter Ansatz – Lücken in Bezug auf Digitalisierung
Die Evaluierung hat die Relevanz des deutschen Menschenrechtsansatzes bewertet. Dazu wurde er mit den entsprechenden Strategien anderer Länder verglichen und vor dem Hintergrund aktueller globaler Tendenzen untersucht.
Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass Deutschland mit seiner Entwicklungspolitik international betrachtet ein wichtiger menschenrechtlicher Akteur ist und mit dem Menschenrechtsansatz auf die meisten aktuellen Herausforderungen reagiert. Beispielsweise werden Menschenrechtsverletzungen im Kontext humanitärer Krisen ebenso thematisiert wie die Situation strukturell besonders benachteiligter Gruppen in Partnerländern.
Es existieren jedoch auch Lücken. „Ein Beispiel sind Menschenrechtsverletzungen im Kontext der Digitalisierung“, so Teamleiter Dr. Jan Tobias Polak. „Da geht es etwa um digitale Überwachung oder Internetabschaltungen. Ein weiterer Punkt, der im Menschenrechtsansatz nicht angesprochen wird, sind Beschränkungen bürgerlich-politischer Menschenrechte, die im Kampf gegen Terrorgruppen und organisierte Kriminalität entstehen können.“
Umsetzung des Ansatzes – Gute Verfahren und Prozesse, aber Verbesserungspotenzial in anderen Handlungsfeldern
Das BMZ und die Durchführungsorganisationen der deutschen EZ setzen Verfahren um, die Menschenrechte in Partnerländern schützen und fördern sollen. Die Durchführungsorganisationen beziehen diese zudem in das Wissensmanagement und in Mitarbeitendenschulungen mit ein. Die meisten anderen Handlungsfelder des Menschenrechtskonzepts werden allerdings nur teilweise umgesetzt.
In ihren Empfehlungen bezieht sich die Evaluierung auf die vier Wirkungsstränge des Menschenrechtsansatzes:
• Integration von Menschenrechten als Querschnittsthema: Das BMZ gibt vor, dass menschenrechtliche Aspekte bei der Planung jedes EZ-Vorhabens beachtet werden sollen, unter anderem damit Maßnahmen nicht unbeabsichtigte Menschenrechtsverletzungen verursachen. Eine Untersuchung der Planungsdokumente von Entwicklungsprojekten zeigt indes, dass häufig nur einzelne Aspekte des Menschenrechtsansatzes enthalten sind. Verbesserungspotenzial gibt es beispielsweise in den Sektoren nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und Energie. Darüber hinaus geht nur aus wenigen Projektdokumenten hervor, dass Beschwerdemechanismen eingerichtet wurden. Die Evaluierung empfiehlt deshalb, die existierenden Prozesse zur querschnittlichen Verankerung von Menschenrechten in der EZ praxisnah und entsprechend einheitlichen Qualitätsstandards weiterzuentwickeln und ein kohärentes, unabhängiges Beschwerdesystem einzurichten.
• Umsetzung spezifischer Menschenrechtsvorhaben: Spezifische Menschenrechtsvorhaben unterstützen Menschenrechtsakteure in Partnerländern, beispielsweise Menschenrechtsgerichtshöfe oder Menschenrechtsaktivist*innen. Während die finanziellen Mittel für diese Projekte insgesamt leicht gestiegen sind, stagniert ihr relativer Anteil am Gesamtportfolio des BMZ seit Verabschiedung des Menschenrechtskonzepts. Die Evaluierung empfiehlt deshalb, die Integration dieser Vorhaben in Länderportfolios zu erleichtern.
• Verankerung von Menschenrechten im Politikdialog und menschenrechtliche Konditionalität: In Regierungsverhandlungen werden menschenrechtliche Themen nur teilweise explizit und umfassend angesprochen. In Bezug auf Konditionalität, also die Mittelvergabe in Abhängigkeit von der Menschenrechtslage im Partnerland, lässt sich festhalten, dass meist kein eindeutiger Zusammenhang existiert. Es gibt jedoch auch prominente Ausnahmen, wie etwa das Aussetzen der EZ mit Myanmar, nachdem die muslimische Minderheit der Rohingya schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt war und vertrieben wurde.
• Menschenrechtliche Kohärenz von nationalen und internationalen Politiken: Menschenrechtliche Kohärenz kann erreicht werden, wenn alle Bundesministerien Menschenrechte in ihrer Arbeit durchgehend und miteinander abgestimmt berücksichtigen. Das jüngst verabschiedete Lieferkettengesetz ist ein Beispiel hierfür. Die Evaluierung empfiehlt dem BMZ, sich weiterhin für ressortübergreifende Vorgaben einzusetzen, damit Menschenrechte in Partnerländern gewährleistet werden.
Zweiter Evaluierungsteil in Arbeit
Die Evaluierung von Menschenrechten in der deutschen EZ besteht aus zwei Teilen. Im zweiten Teil wird die Wirksamkeit der deutschen Entwicklungspolitik mit Blick auf die Verwirklichung von Menschenrechten in Partnerländern untersucht. Ein Schwerpunkt liegt dabei im Bereich der Privatsektor- und Finanzsystementwicklung. Unter anderem wird der Frage nachgegangen, welche Beiträge die EZ leistet, um das Recht auf Arbeit und auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Da die Realisierung des Menschenrechtsansatzes oftmals auch mit Kosten für durchführende Organisationen von EZ-Vorhaben verbunden ist, werden zudem die Umsetzung und die Relevanz menschenrechtlicher Prüfverfahren sowie mögliche negative Wirkungen von Vorhaben der EZ analysiert.
Über das DEval
Das Deutsche Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit (DEval) ist vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mandatiert, Maßnahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit unabhängig und nachvollziehbar zu analysieren und zu bewerten. Mit seinen strategischen und wissenschaftlich fundierten Evaluierungen trägt das Institut dazu bei, die Entscheidungsgrundlage für eine wirksame Gestaltung des Politikfeldes zu verbessern und Ergebnisse der Entwicklungszusammenarbeit transparenter zu machen. Das Institut gehört zu den Ressortforschungseinrichtungen des Bundes und wird von Prof. Dr. Jörg Faust geleitet.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Martin Bruder
Abteilungsleiter
Zivilgesellschaft, Menschenrechte
Tel.: +49 228 33 69 70-970
E-Mail: martin.bruder@DEval.org
Originalpublikation:
Polak, J. T., L. Smidt, L. Taube (2021), Menschenrechte in der deutschen Entwicklungspolitik. Teil 1: Das Menschenrechtskonzept und seine Umsetzung, Deutsches Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit (DEval), Bonn.
https://www.deval.org/de/publikationen/menschenrechte-in-der-deutschen-entwicklungspolitik