Exzellente Lehre selbst in der Pandemie
Die Gewinner der Lehrpreise 2021 der Friedrich-Schiller-Universität Jena stehen fest. Geehrt wird Dr. Nils Töpfer von der Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften für die beste Lehrveranstaltungskonzeption. Das preiswürdige Seminar heißt „Zur wissenschaftlichen Fundierung von Psychotherapie: eine etwas andere Einführung in die Wirksamkeits- und Prozessforschung“. Den Preis im Themenschwerpunkt „Umgang mit Vielfalt“ erhalten Prof. Dr. Michael Wermke, Dr. Sophie Seher und Fahed Al’Janabi für das Seminar „Kultur- und religionssensible Elternarbeit“. Die Lehrpreise sind mit je 2.500 Euro dotiert und werden am 23. November 2021 beim „Dies Legendi“ verliehen.
Das Expertengremium der Akademie für Lehrentwicklung machte sich die Kür der Sieger nicht leicht: „Alle Nominierungen weisen eine hervorragende Qualität auf und stehen für Beispiele sehr guter universitärer Lehre sowie für die hohe Einsatzbereitschaft der Lehrenden“, sagt Prof. Dr. Kim Siebenhüner, die Vizepräsidentin für Studium und Lehre der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Einmalig vergab die Jury der Akademie für Lehrentwicklung in diesem Jahr sogenannte LiP-Awards, Auszeichnungen für „Lehre in Pandemiezeiten“. Unter den insgesamt 39 Bewerbungen wurde je eine Lehrveranstaltung pro Fakultät mit der Auszeichnung geehrt. „Alle Lehrenden, die einen LiP-Award erhalten, stehen dabei stellvertretend für viele andere Lehrende, die unter Pandemiebedingungen die Lehre ad hoc und in gelungener Weise auf ein digitales Format umgestellt oder andere überzeugende Lösungen für die Realisierung der Lehre gefunden haben“, sagt Prof. Siebenhüner.
Die „Goldstandards“ gemeinsam auf den Prüfstand stellen
Mit seiner „etwas anderen Einführung in die Wirksamkeits- und Prozessforschung“ möchte Dr. Nils Töpfer seine Studierenden befähigen, Eigenverantwortung zu übernehmen, sich selbst eine fundierte eigene Haltung zu erarbeiten. „Das Seminar bietet eine Atmosphäre, die viel Raum für kritische Diskussionen lässt“, sagt der Psychologe. Dabei würden immer wieder die „Goldstandards“ der Psychoanalyse einer kritischen Prüfung unterzogen. Entwickelt hat Töpfer das Seminar vorrangig für Studierende im 5. und 6. Semester. Inhaltlich gehe es darum, die Forschung zur Psychoanalyse als Beispiel für Evaluationsforschung zu untersuchen. „Wir schauen gemeinsam, welche Konzeptionen es gibt in der Psychoanalyse, wie sie ausgestaltet werden und welchen Nutzen sie haben“, sagt Nils Töpfer. Als wenig hilfreich habe sich dabei die Metapher vom Pferderennen erwiesen: Es gehe nicht darum, welche Methode die beste ist. Ziel sei es vielmehr herauszuarbeiten, welche Merkmale allen Therapieverfahren zu eigen sind. Eine wichtige Komponente: das Therapeut-Patient-Verhältnis. In der Forschung werde meist auf Symptomveränderung geschaut, hingegen spielten Fragen nach der allgemeinen Lebenszufriedenheit, nach der Entwicklung der Persönlichkeit oder im Umgang mit Konflikten eine untergeordnete Rolle. „Die Studierenden sollen sich eine eigene Meinung bilden, denn einen Königsweg gibt es nicht“, sagt Nils Töpfer. Der 34-Jährige ist seit acht Jahren als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in Jena tätig. Studiert hat Töpfer in Jena und an der University of Cambridge. Das Seminar zur Psychoanalyse habe er nach den Vorstellungen entwickelt, die ihm im eigenen Studium zu kurz kamen, vor allem die kritischen Positionen zum eigenen Fach habe er vermisst. Der Lehrpreis 2021 ist für ihn Bestätigung, einen richtigen Weg eingeschlagen zu haben.
Integration bedeutet Annäherung von beiden Seiten
„Wenn Eltern kein Selbstvertrauen haben, überträgt sich das auf ihre Kinder“, sagt Prof. Dr. Michael Wermke. Der Religionspädagoge wird gemeinsam mit Dr. Sophie Seher und Fahed Al’Janabi für das Seminar „Kultur- und religionssensible Elternarbeit“ ausgezeichnet. Das Seminar entstand in Kooperation mit dem Fachdienst Jugend und Bildung der Stadt Jena und dem Projekt „Uns Miteinander Stärken“, das vom Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz gefördert wird. Im Mittelpunkt steht ein Gesprächskreis mit arabischsprechenden Müttern und Studierenden im Jenaer Stadtteil Lobeda-Ost. Moderiert werden die Gespräche gemeinsam mit Schulsozialarbeiterinnen. Das Spannende dabei sei die Begegnung sozialer, religiöser und kultureller Prägungen, die alle Beteiligten dazu bewegen sollen, die je eigenen Vorstellungen von Normalität kritisch zu bedenken, sagt Dr. Sophie Seher. So würden die meist aus Syrien stammenden Frauen Erziehung als Aufgabe der Gemeinschaft ansehen. Sie ziele darauf ab, Kindern und Jugendlichen als Teil dieser Gemeinschaft gegenseitige Unterstützung und Verantwortung zu vermitteln. Das Konzept entspreche nicht der im deutschen Bildungswesen vertretenen Idee einer starken Autonomieorientierung. Fahed Al’Janabi ergänzt, das Selbstverständnis der Frauen als Erzieherinnen werde in der neuen Umgebung zum Teil infrage gestellt, wenn etwa ihre Kinder als Mittler zwischen Elternhaus und Schule agieren müssen. Wie Prof. Wermke erläutert, arbeiten die Mütter und Studierenden in den Workshops häufig mit Fallbeispielen, die aus dem Erziehungsalltag der Mütter stammen: „Damit versuchen wir, die Erziehungskompetenzen der Mütter zu stärken und gemeinsam unsere Wertvorstellungen und Prägungen zu bedenken.“ Ein Fallbeispiel bezieht sich auf den Kleidungsstil von Mädchen: Mit bauchfreiem Top in der Schule – ja oder nein? Während die Studierenden einen solchen Kleidungsstil ohne Weiteres tolerieren, sei es für die muslimischen Frauen eine Herausforderung, nicht zuletzt wegen der Reaktionen innerhalb ihrer Community. „Es geht bei solchen Fragen stark um Normalitätserwartungen, die zu diskutieren für alle Beteiligten sehr anregend ist“, sagt Fahed Al’Janabi. Ein gegenseitiges Verständnis für die unterschiedlichen religiös und kulturell bedingten Einstellungen stelle einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer Integration als beiderseitige Annäherung dar. „Das Seminar bietet den Studierenden die Chance, sich in der persönlichen Begegnung mit zugewanderten Müttern Methoden und Einsichten einer kultur- und religionssensiblen Elternarbeit anzueignen“, resümiert Prof. Wermke. Im Wintersemester 2021/22 soll das Seminar erneut angeboten werden.
Digitale Lehrveranstaltungen in Zeiten der Pandemie ausgezeichnet
Mit einem LiP-Award für Lehre in Pandemiezeiten werden ausgezeichnet: Dr. Susanne Kochs (Theologische Fakultät) für den Sprachkurs „Griechisch 1“, Junior-Professorin Dr. Anika Klafki (Rechtswissenschaftliche Fakultät) für das Examensrepetitorium „Öffentliches Recht“, Prof. Dr. Armin Scholl (Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät) für mehrere Vorlesungen, Dr. Britta Hövelbrinks (Philosophische Fakultät) für das Seminar „Sprachstandserhebungen in Deutsch als Zweitsprache“, Dr. Julia Dietrichs (Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften) für die Vorlesung „Lernen, Entwicklung und Sozialisation: Eine Einführung“, Benjamin Hinrichs (Fakultät für Mathematik und Informatik) für die Vorlesung „Analysis 2“, Prof. Dr. Gerhard G. Paulus (Physikalisch-Astronomische Fakultät) für die Vorlesung „Experimentalphysik 2“, Prof. Dr. Alexander Brenning (Chemisch-Geowissenschaftliche Fakultät) für mehrere Lehrveranstaltungen der Geoinformatik, Dr. Maren Godmann und PD Dr. Christian Kosan (Fakultät für Biowissenschaften) für das biochemische Praktikum für Biochemiker sowie PD Dr. Alexander Pfeil (Medizinische Fakultät) für das Praktikum „Rheumatologie“.
Die Lehrpreise der Universität Jena und die LiP-Awards werden beim diesjährigen „Dies Legendi“, dem „Tag der Lehre“, am 23. November überreicht.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Katja Hüfner
Akademie für Lehrentwicklung der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Fürstengraben 1, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 9401210
E-Mail: ale@uni-jena.de
Korrekturen
22.10.2021 08:51
Korrektur:
Im Abschnitt über den Lehrpreisträger Dr. Nils Töpfer haben wir versehentlich mehrfach von Psychoanalyse geschrieben, richtig ist hier Psychotherapie. Dr. Töpfer untersucht die Psychotherapie, die Psychoanalyse ist lediglich eines der Verfahren der Psychotherapie. Außerdem muss es Therapeut-Patienten-Beziehung heißen.
Korrekt heißt der Abschnitt also:
Mit seiner „etwas anderen Einführung in die Wirksamkeits- und Prozessforschung“ möchte Dr. Nils Töpfer seine Studierenden befähigen, sich selbst eine fundierte Haltung zu erarbeiten. „Das Seminar bietet eine Atmosphäre, die viel Raum für kritische Diskussionen lässt“, sagt der Psychologe und angehende Psychoanalytiker. Dabei würden immer wieder die „Goldstandards“ und vorherrschenden Forschungsparadigmen der Psychotherapieforschung einer kritischen Prüfung unterzogen. Entwickelt hat Nils Töpfer das Seminar vorrangig für Studierende im 5. und 6. Semester. Inhaltlich gehe es darum, die Psychotherapieforschung als Beispiel für Evaluationsforschung zu untersuchen. „Wir schauen gemeinsam, wie Forschungsmethoden systematisch angewandt werden können, um die Konzeption, die Umsetzung und den Nutzen von Psychotherapie zu bewerten“, sagt Nils Töpfer. Als wenig hilfreich habe sich dabei die Metapher vom „Pferderennen“ erwiesen: Es gehe nicht darum, welches Psychotherapieverfahren „das einzig Wahre“ ist. Ziel sei es vielmehr, herauszuarbeiten, welche Merkmale alle wirksamen Therapieverfahren teilen. Eine wichtige Komponente: die Therapeut-Patient-Beziehung. In der Forschung werde meist auf Symptomveränderung geschaut, hingegen spielten Fragen nach der allgemeinen Lebenszufriedenheit, nach der Entwicklung der Persönlichkeit oder im Umgang mit Konflikten eine untergeordnete Rolle. „Die Studierenden sollen sich eine eigene Meinung bilden, denn einen Königsweg gibt es nicht“, sagt Nils Töpfer. Der 34-Jährige ist seit acht Jahren als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in Jena tätig. Studiert hat Töpfer in Jena und an der University of Cambridge. Das Seminar zur wissenschaftlichen Fundierung von Psychotherapie habe er nach den Vorstellungen entwickelt, die ihm im eigenen Studium zu kurz kamen, vor allem die kritischen Positionen zum eigenen Fach habe er vermisst. Der Lehrpreis 2021 ist für ihn Bestätigung, einen richtigen Weg eingeschlagen zu haben.