Expertenbefragung der PFH Göttingen zu Instore Navigation
"Digitalisierung des Kundenerlebnisses im Einzelhandel steckt noch in den Kinderschuhen"
Der stationäre Handel muss angesichts des Siegeszuges des Online-Handels um jeden Kunden kämpfen. Auch nach dem Ende der Pandemie wird er entlang der sogenannten Customer Journey nach neuen Konzepten suchen müssen, um für die Kunden weiterhin relevant zu sein. Mit der Expertenbefragung "Instore Navigation im deutschen Einzelhandel" legt die PFH Göttingen eine Untersuchung darüber vor, welchen Beitrag digitale Kundenkarten und damit verbunden eine Instore Navigation leisten können.
"Nicht erst seit der Diskussion um Corona-Apps zur Nachverfolgung des Infektionsgeschehens spielt die Digitalisierung des stationären Einzelhandels eine Rolle", sagt Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof, Professor für Internationales Marketing an der PFH und einer der Autoren der Studie. Mit der Befragung von Managern aus dem Einzelhandel wollten die Autoren der Studie untersuchen, ob die Instore Navigation im großflächigen stationären Handel einen Beitrag leisten kann, um einen digitalen Dialog mit den Kunden vor Ort aufzubauen, ihnen die Produktsuche zu erleichtern und strategisch wichtige Einsichten für das eigene Geschäftsmodell zu gewinnen. Knapp die Hälfte (46 %) der von den Forschern befragten Unternehmen haben bereits digitale Kundenkarten umgesetzt, weitere 11 Prozent planen sie. Den meisten Unternehmen geht es damit vorrangig darum, den Kunden das Einkaufserlebnis angenehmer zu gestalten. "Location-Based Marketing und -couponing, Kundenbefragungen direkt am Ort des Geschehens und ähnliche Funktionen, die digitale Kundenkarten auch bieten, scheinen aus Sicht der befragten Manager demgegenüber eine nachrangige Rolle zu spielen" sagt Riekhof.
Chance auf Zusatzumsätze am Regal werden verschenkt
Lediglich jeweils rund ein Viertel sehen in Kundenbefragungen über die App (26 %) oder Produktsuche im Markt und Turn by Turn-Navigation zum gesuchten Produkt (24%) mögliche Funktionen der digitalen Kundenkarten. Die Location-basierte Zusendung von Coupons direkt am Regal in der Filiale wird nur von 8% der Befragten in Betracht gezogen. "Damit verschenken die Unternehmen Chancen, denn gerade das sind die digitalen Werkzeuge, um direkt am Regal Zusatzumsätze, Cross Selling-Effekte wie auch Up Selling-Strategien zu verwirklichen", so Riekhof.
Ein Drittel plant die Umsetzung von Instore Navigation
Um Verbesserung des Einkaufserlebnisses auf der Fläche geht es auch bei der Instore Navigation. Sie ist gerade bei großflächigen Betriebsformen und in Shopping Malls eine der Optionen, um Kunden beim Einkauf im Stationärhandel auf digitalen Kanälen zu unterstützen. Dazu muss die Kundin oder der Kunde in der Regel eine App des Unternehmens auf seinem Smartphone installieren. Mit Hilfe dieser App können Kunden durch das Geschäft navigieren, um gesuchte Produkte schnell und ohne Umwege zu finden. "Rund drei Viertel der befragten Manager haben sich bereits in Form von Pilotprojekten und Business Cases mit der Instore Navigation befasst, jedoch planen erst 32% die Umsetzung einer Instore Navigation in den Filialen ihres Unternehmens", sagt Leon Reutel, einer der Mitautoren der Studie.
Instore Navigation entlastet das Personal
Ein betriebswirtschaftliches Argument für die Instore Navigation ist die Entlastung des Personals auf der Fläche. "Mehr als 40 Prozent der Befragten sehen eine Entlastung ihres Personals", so Reutel. Die Schätzungen liegen zwischen 5 und 20%. "Diese Zeit könnte das Personal für wertschöpfendere Tätigkeiten einsetzen als für die Unterstützung der Kunden bei der Produktsuche", sagt Leon Reutel.
Positive Effekte auf Aufenthaltsdauer und Durchschnittsbon
Diejenigen der Befragten, die sich mit der Instore Navigation befassen, erwarten zu 81% eine höhere Kundenzufriedenheit, weil Kunden gesuchte Produkte besser und schneller finden, weitere 51 % der Befragten rechnen mit einer Entlastung des Personals. "Unsere Befragung zeigt deutlich, dass die Unternehmen keine Befürchtungen hegen, dass sich die Aufenthaltsdauer in der Filiale verringert", sagt Mathieu Grünklee, ebenfalls Mitautor der Studie. "Im Gegenteil, knapp 38% der Befragten gehen davon aus, dass sich die Aufenthaltsdauer im Store um mehr als 10% erhöht", erläutert Grünklee. Insofern finden die Autoren es auch nicht überraschend, dass auch von einer positiven Veränderung des Durchschnittsbons ausgegangen wird: Genau ein Drittel der Befragten rechnen mit mehr als 10% Zuwachs im Bon, ein Viertel sehen den Zuwachs zwischen 5 und 10%.
Analytische Chancen werden noch nicht vollständig erkannt
"Ein essenzieller Bestandteil jeder Digitalisierungsstrategie im stationären Handel ist die personalisierte und individualisierte Kommunikation mit den Kunden. Dies setzt aber voraus, dass Kundenprofile auch im Laden verfügbar sind, idealerweise kombiniert mit einer Identifikation einzelner Kunden, wenn diese sich im Geschäft aufhalten", so Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof. Zwar wollen insgesamt 66% der Befragten die Auswertung der Laufwege der Kunden zur Optimierung der Filialgestaltung und Warenplatzierung nutzen. Jedoch ergab die Expertenbefragung auch, dass nur 22% der Befragten planen, die Instore Navigation mit dem CRM-System des Unternehmens zu verbinden. "Das legt die Vermutung nahe, dass manche Handelsunternehmen die in einem integrierten Big Data-Ansatz steckenden analytischen Chancen auf der Basis digitaler Kundenkarten noch nicht zu erkennen scheinen", schlussfolgert Riekhof.
Instore Navigation rechnet sich
Die befragten Manager im Einzelhandel, die sich bereits mit dem Thema befassen, gehen davon aus, dass sich die Instore Navigation durchaus auch wirtschaftlich rechnet. 33% der Befragten rechnen mit einer Amortisation innerhalb von ein bis zweieinhalb Jahren, 40% gehen von einer Amortisation innerhalb von zweieinhalb bis fünf Jahren und weitere 27% jenseits von fünf Jahren aus. "Die Rechnung sieht noch sehr viel positiver aus, wenn die Instore Navigation mit dem Location-Based Marketing kombiniert wird. Denn daraus entstehen die Kaufimpulse und auch Cross-Selling-Effekte", erläutert Riekhof.
Konsequente Digitalisierung der Abläufe erforderlich
"Der digitale Konsument erwartet heute personalisierte Ansprachen, extrem schnelle Reaktionszeiten und möchte mit einem hervorragenden Service verwöhnt werden", so Riekhof. Besonders im Fokus stehen dabei innovative Technologien wie Instore Navigation, die Kunden zu Produkten oder Regalen leiten und ihnen zeigen, welche Produkte wo verfügbar sind. "Der Stationärhandel muss die eigenen Aktivitäten strategisch neu ausrichten, um Marktanteile verteidigen zu können. Dazu gehört auch eine konsequente Digitalisierung der Abläufe im Store und auf der Fläche", sagt Prof. Riekhof. Von hoher Bedeutung ist seiner Einschätzung nach ferner die persönliche, digitale Kundenkommunikation über das Smartphone direkt am Ort des Geschehens. "Digitale Kundenkarten als unternehmenseigene App und damit verbunden eine Instore Navigation können hier wichtige Beiträge leisten. Sie generieren strategisch wichtige Einsichten." Insgesamt zeigt die Expertenbefragung, dass der Instore Navigation überwiegend sehr positive Effekte auf das Kundenverhalten zugeschrieben werden. "Die Umfrage zeigt allerdings auch, dass die Bemühungen der Unternehmen noch deutlich gesteigert werden können, um den Herausforderungen und Anforderungen der Digitalisierung zu begegnen." Die Autoren der Studie erwarten, dass viele Unternehmen mit digitalen Kundenkarten starten, um später weitere Lösungen für die mobilen Endgeräte der Kunden umzusetzen. "Letztlich sollten sich alle Beteiligten vergegenwärtigen, dass die Digitalisierung der Such- und Kaufprozesse im stationären Handel erst am Beginn steht", schlussfolgert Riekhof.
Zielsetzung und Methodik der Expertenbefragung
Die Expertenbefragung "Instore Navigation im deutschen Einzelhandel" wurde im Rahmen des EFRE-geförderten Projektes "DeepNav" der PFH Private Hochschule Göttingen durchgeführt. Für die Befragung wurde von den Autoren ein standardisierter Fragebogen mit 27 Fragen entwickelt, der an 147 Experten aus dem Einzelhandel versendet wurde. Die Erhebung fand vom 01.03.2021 bis zum 04.04.2021 statt. Insgesamt haben 66 Personen an der Umfrage teilgenommen; allerdings konnten nicht alle Antworten ausgewertet werden, weil manche Fragen unbeantwortet blieben. Damit kann und soll diese Erhebung in keiner Weise den Anspruch auf Repräsentativität erheben. In die Befragung wurden fast ausschließlich filialisierte Einzelhändler einbezogen, fast zwei Drittel der befragten Unternehmen haben mehr als 40.000 Artikel auf der Fläche. Zwei Drittel der befragten Unternehmen verfügen über Flächen von im Durchschnitt mehr als 5.000 qm. An der Befragung haben vorwiegend Führungskräfte und Experten teilgenommen. Die PFH plant weitere empirische Studien, in denen das Thema Location-Based Marketing Instore Navigation aus Kundensicht betrachtet wird. Hier werden gerade Pilotprojekte vorbereitet.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof, riekhof@pfh.de