ZNS – Hannelore Kohl Stiftung verleiht Hannelore Kohl Förderpreis
Ein bisher nie dagewesener Einblick in organische Strukturen dank transparenter Mäuse. Es sind Ergebnisse und Vorhaben wie diese, die die ZNS – Hannelore Kohl Stiftung für besonders förderungswürdig hält. Seit 1993 unterstützt die Hilfsorganisation für Menschen mit Schädelhirntrauma (SHT) exzellente Forschung und engagierte Arbeit auf dem Gebiet der Neurowissenschaften. Sie vergibt alle zwei Jahre den renommierten Hannelore Kohl Förderpreis in Höhe von 10.000 Euro an Jungwissenschaftler:innen, die neue Perspektiven eröffnen oder die Qualität der medizinischen Versorgung verbessern. Nun stehen die diesjährigen Preisträger:innen fest: Dr. Chenchen Pan und Dr. Ruiyao Cai.
Hannelore Kohl Förderpreis zu gleichen Teilen an Dr. Chenchen Pan und Dr. Ruiyao Cai
Chenchen Pan und seine Kollegin Ruiyao Cai haben während ihrer gemeinsamen Zeit an der Graduate School of Systemic Neuroscience der Ludwig-Maximilians-Universität München eine revolutionäre Technik mitentwickelt, die das Verständnis von organischen Strukturen auf ein neues Level heben könnte. Ihnen ist es gelungen, vollständige Lebewesen zumindest innerhalb der Fluoreszenz-Mikroskopie transparent zu machen, um so beliebige Organe, Gefäße oder spezifische Zellen innerhalb eines Organismus beobachten zu können; bislang experimentiert das Team mit toten Mäusen. „Wir können so ganz genau nachvollziehen, was in einem Körper vor sich geht“, erklärt Cai. „Wir wissen zum Beispiel schon, dass ein Schlaganfall nicht nur Auswirkungen auf das Gehirn haben kann, sondern auch auf andere Organe wie zum Beispiel die Leber oder auf den Darm. Jetzt aber können wir diese Verbindungen direkt innerhalb des Systems untersuchen. Ebenso sind wir in der Lage, einzelne Krebszellen zu visualisieren und nachzuvollziehen, welche von ihnen durch ein Medikament abgetötet werden und welche nicht. Die Möglichkeiten sind nahezu endlos.“
Bei der vDISCO genannten Technik werden die Mäusekörper zunächst mit Wirkstoffen durchtränkt, die Fettgewebe und Pigmente zersetzen sowie Knochen von Kalk befreien. Gleichzeitig machen sie ihn hart wie Plastik – ein Körper kann so für Jahre aufbewahrt und studiert werden. Anschließend werden fluoreszierende Nanobodies eingesetzt, die so programmiert werden können, dass sie sich an spezifische Proteine heften, die nur in einem bestimmten Zelltyp vorkommen. Diese Zellen leuchten dann unter einem entsprechenden Mikroskop. „Auf diese Weise haben wir unter anderem nach einem Hirntrauma eine Reduktion von Nervenenden in Randbereichen des Körpers wie zum Beispiel im Schulterblatt feststellen können“, führt Pan aus. „Diese Ergebnisse können mögliche motorische Beeinträchtigungen bei Patient:innen mit einer solchen Schädelhirnverletzung erklären – bislang hat man dies auf abgestorbene neuronale Zellen im geschädigten Bereich zurückgeführt.“ Gleichzeitig hat Pan neue anatomische Strukturen zwischen dem Schädelknochenmark und der Hirnhaut gefunden, über die Immunzellen nach einer Verletzung in das Gehirn eindringen können.
Zusammengenommen ergeben sich möglicherweise ganz neue Ansätze für Therapien von Patient:innen mit einer neurologischen Dysfunktion“, so Pan, der in seiner neuen Position in der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Heidelberg vDISCO weiterhin für verschiedene Studien einsetzen will. „Den Hannelore Kohl Förderpreis kann ich dabei unter anderem verwenden, um einen Rechner zu finanzieren, der die riesigen 3D-Bilder des Programms analysieren und verarbeiten kann.“ Beide betonen, dass die Auszeichnung eine große Ehre und eine Anerkennung ihrer Leistungen darstellt. „Das vDISCO-Projekt war für mich ein wichtiger Meilenstein“, erklärt Ruiyao Cai, die inzwischen an der Stanford University in Kalifornien forscht. „Es eröffnet ganz neue Möglichkeiten im Bereich der pathologischen Histologie, und viele weitere Studien werden darauf aufbauen. Ein nächster Schritt wird sicherlich sein, menschliche Organe mit vDISCO zu untersuchen. Ich freue mich, dass die ZNS – Hannelore Kohl Stiftung diese Bemühungen unterstützt, mit denen wir hoffentlich irgendwann das Leben von vielen Betroffenen einer Schädelhirnverletzung nachhaltig verbessern können.“
Prof. Dr. med. Christian Gerloff, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der ZNS – Hannelore Kohl Stiftung und Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf zu den Hintergründen bei der Auswahl der Preisträger:innen: „Zunächst ist zu sagen, dass wir auch dieses Jahr wieder exzellente Bewerberinnen und Bewerber für den Förderpreis hatten. Die Auswahl ist uns nicht leichtgefallen, und dennoch: Die Arbeiten von Chenchen Pan und Ruiyao Cai sind herausragend, weil sie einen ganz neuen Blick auf Hirnverletzungen als Systemerkrankungen erlauben. Diese technologische und konzeptionelle Innovation hat uns überzeugt.
Die feierliche Verleihung des Hannelore Kohl Förderpreises fand am 14.09.2021 in Berlin statt.