Wasserstoff als Lösung für die Energiewende?
Experte Prof. Dr. Enno Wagner setzt sich in einem Statement mit den Chancen und Grenzen neuer Zukunftstechnologien auseinander und fordert mehr Realismus: "Den Umbau unseres Energiesystems für eine umweltfreundliche Wirtschaftsweise gibt es nicht zum Nulltarif"
Wasserstoff wird gegenwärtig – nicht nur im Bundestagswahlkampf – eine Schlüsselrolle für die Energiewende zugeschrieben. Das vom Weltklimarat IPCC ausgegebene Ziel, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, kann nur erreicht werden, indem die weltweiten Kohlendioxidemissionen bis zum Jahr 2030 halbiert werden und bis spätestens 2050 eine globale CO2-Neutralität erreicht ist.
Ist Wasserstoff als Alternative zu fossilen Energieträgern das Element der Zukunft?
Prof. Dr. Enno Wagner, Professor für Mechatronische Konstruktion und Technische Mechanik an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS), erklärt in seinem Statement die Chancen und Grenzen der Wasserstoff-Technologie. Er fordert mehr Realismus: „Das Umdenken für eine nachhaltige Energiewende wird sehr viel einschneidender sein, als sich das heute manche politischen und wirtschaftlichen Entscheider schönreden. Wir stehen vor der größten technologischen Herausforderung seit Beginn der Industrialisierung. Es geht um nicht weniger als den vollständigen Umbau der gesamten weltumspannenden Industriemaschinerie.“
Als eine Lösung wird grüner, also klimaneutral erzeugter Wasserstoff lanciert, der als neuer und nachhaltiger Energieträger in unterschiedlichsten Bereichen eingesetzt werden kann. In einem Zukunftsszenario soll in sonnenreichen Gegenden, etwa in Saudi-Arabien oder Chile, mit riesigen Solarkraftwerken zunächst günstiger Strom erzeugt werden, aus dem mittels Elektrolyse (durch Spaltung von reinstem Wasser) Wasserstoff produziert wird. Dieser kann in Tankschiffen nach Europa transportiert werden, wo er als nachhaltiger Brennstoff in der Industrie, im Verkehr oder in Wohngebäuden eingesetzt wird. Denn mittels Brennstoffzellen kann man aus Wasserstoff wieder elektrischen Strom erzeugen. „Für den Aufbau dieser Technologie sind allerdings immense Investitionen erforderlich“, so Wagner. „Und es kommen Fragen auf: Sind die hierfür erforderlichen riesigen Geldmittel auch rentabel eingesetzt? Ist die gesamte Wasserstoff-Technologie überhaupt sinnvoll? Und wie steht es um ihre Effizienz?“
Zunächst muss einmal klargestellt werden, dass Wasserstoff keine primäre Lösung sein kann, da dieser auf der Erde nicht frei verfügbar ist, sondern immer erst aufwendig hergestellt werden muss.
„Unsere eigentliche nachhaltige Energiequelle ist die Sonne. In Form von hochwertiger Solarstrahlung trifft jede einzelne Stunde eine Energiemenge auf die Erde, die dem Jahresbedarf der gesamten Menschheit entspricht“, erklärt der Wissenschaftler. „Die erste Aufgabe muss also die großtechnische Erschließung der Solarenergie im globalen Maßstab sein. Hocheffiziente Solarzellen, solarthermische Kraftwerke, aber auch die Solarchemie (zur direkten Wasserstofferzeugung aus Sonnenlicht) gilt es technisch zu entwickeln. Im zweiten Schritt erfolgt die direkte Nutzung des Solarstroms über Stromnetze, die hierzu massiv ausgebaut werden müssen. Erst im dritten Schritt erfolgt dann die Energiespeicherung, weil diese immer verlustbehaftet ist.“
Für die kurzfristige Speicherung zum Beispiel über Nacht oder für die leichte Elektromobilität sind Lithium-Ionen-Akkus heute die erste Wahl. Sie speichern mit einem Wirkungsgrad von rund 90 Prozent und sind daher äußerst effizient. „Nachteilig ist, dass der Strom hier an spezielle Metalle wie Lithium, Cobalt und seltene Erden gebunden wird, deren Gewinnung oft in ärmeren Ländern unter schlechten Bedingungen erfolgt, und dass hierbei auch maßgeblich CO2 freigesetzt wird“, gibt Wagner zu bedenken. „Für die Speicherung über längere Distanzen sind sie daher ökologisch nicht verantwortbar.“
Ab einer Speicherkapazität von rund 50 Kilowattstunden ist es ökologisch vorteilhafter, Wasserstoff und Brennstoffzellen einzusetzen, obwohl die Energiewandlung hierbei mit höheren Verlusten einhergeht. Dafür können mit verhältnismäßig kleinen Elektrolysegeräten sehr große Gasmengen erzeugt werden. „Die saisonale Energiespeicherung für dunkle und kalte Wintermonate ergibt also praktisch nur mit Wasserstoff wirklich Sinn. Auch LKW, Lokomotiven und Schiffe, die lange Strecken zurücklegen, werden in Zukunft vermutlich Wasserstoff tanken und Brennstoffzellen für die Stromerzeugung an Bord haben. Synthetische Treibstoffe haben eine noch viel schlechtere Energiebilanz als Wasserstoff, so dass sie vermutlich eher in Nischen, zum Beispiel für den Flugverkehr, zum Einsatz kommen“, prognostiziert der Wissenschaftler.
Wagner warnt vor falschen und zu hohen Erwartungen. „Den Umbau unseres Energiesystems für eine nachhaltige und umweltfreundliche Wirtschaftsweise gibt es nicht zum Nulltarif. So wird beispielsweise der Industrie suggeriert, dass der grüne Wasserstoff künftig nur 1 bis 2 Euro pro Kilogramm kosten wird, womit er vergleichbar mit Erdgas wäre. Regional in Deutschland erzeugter grüner Wasserstoff kostet aber momentan eher 6 bis 8 Euro pro Kilogramm. Großtechnische Erzeugungsanlagen in Wüstengegenden versprechen zwar einen sehr viel niedrigeren Preis – sie bergen aber ein erhebliches Risiko. Bilden sich durch den Klimawandel plötzlich Tiefdruck- und Regengebiete über den ehemaligen Wüstenregionen, könnte das die Wirtschaftlichkeit schnell zunichtemachen. Es wird also kaum möglich sein, dass wir die technischen Strukturen und Berechnungsmodelle der fossilen Industriewirtschaft einfach übernehmen und auf erneuerbare Energien ummünzen.“
Es existieren heute gewaltige Geldmengen in den Händen weniger Superreicher, die nur investieren, wenn das eingesetzte Geld nach zweieinhalb Jahren zurückgespielt ist. Augenblicklich stehen aber Investitionen an, die erst nach zehn und mehr Jahren einen ROI (Return of Invest) haben. Es ist leicht vorstellbar, dass mit fossilem Öl, das jetzt praktisch umsonst aus dem Boden sprudelt, sehr viel schneller Geld zu verdienen ist, als wenn man den Treibstoff erst mühsam selbst herstellen muss.
Wagner fordert daher ein Umdenken auch beim Thema Investitionen. „Wenn die Energiewende gelingen soll, müssen wir die prallgefüllten Geldkonten aus dem fossilen Industriezeitalter sinnvoll re-investieren: in Bildung, Forschung und Entwicklung, Start-Ups, Kultur und eine neue flexible und nachhaltige Infrastruktur, die Raum und Gestaltungsmöglichkeiten für qualitatives Wachstum gibt. Auf diese Weise werden künftig die unterschiedlichen Energiesysteme über smarte Netzwerke zusammenspielen: Solarzellen, Batterien, Brennstoffzellen und Geräte, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Nur so werden wir das nächste Wirtschaftswunder erleben – in einem neuen intelligenten Solarzeitalter.“
Zur Person:
Prof. Dr. Enno Wagner lehrt seit 2019 als Professor für Mechatronische Konstruktion und Technische Mechanik an der Frankfurt UAS hauptsächlich das technische Zeichnen und die Konstruktionslehre. Sein Anliegen ist es u.a., die Mechatronik (Schnittmenge aus Mechanik, Elektronik und Informatik) um die Fächer Thermodynamik und Elektrochemie zu erweitern, woraus die „Thermotronik“ wird, eine Ausbildung, der in Bezug auf die Energiewende große Bedeutung zukommt. Wagner baut derzeit ein Wasserstoff- und Brennstoffzellenlabor an der Hochschule auf. Aktuelles Projekt ist die Entwicklung eines smarten Wasserstoff-Tankgeräts für Privathaushalte.
In der Grundlagenforschung konzentriert er sich auf die Entwicklung hocheffizienter Brennstoffzellen. Ein weiterer fachübergreifender Forschungsschwerpunkt dreht sich um die Syntropie-Kennzahl, mit deren Hilfe die Güte von nachhaltigen Energiesystemen oder Systemstrukturen bestimmt werden kann.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Frankfurt University of Applied Sciences, Fachbereich 2: Informatik und Ingenieurwissenschaften, Prof. Dr. Enno Wagner, Telefon: +49 69 1533-2737, E-Mail: enno.wagner@fb2.fra-uas.de
Weitere Informationen:
http://www.frankfurt-university.de/fb2 (Informationen zum Fachbereich Informatik und Ingenieurwissenschaften)