RLI zum Start von Redispatch 2.0: Redispatch muss auch Verbrauchsseite einbeziehen
Das Reiner Lemoine Institut (RLI) begrüßt das heutige Inkrafttreten des „Redispatch 2.0“ als ersten wichtigen Schritt bei der Umstellung des Energiesystems auf dezentrale Erneuerbare Energien, sieht jedoch langfristig noch Ergänzungsbedarf.
Mit dem heutigen Wirksamwerden der Novelle des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes (NABEG 2.0) – wenn auch vorerst in Form einer Übergangslösung – sind alle Energieerzeugungsanlagen mit einer installierten Leistung ab 100 kW dazu verpflichtet, am Redispatch teilzunehmen. Die Verbrauchsseite fehlt allerdings noch völlig. Ohne sie wird eine langfristige Umstellung des Energiesystems auf 100 Prozent Erneuerbare Energien nicht gelingen.
Redispatch ist ein Verfahren, mit dem das Stromnetz stabil gehalten wird. Bislang konnten nur Übertragungsnetzbetreiber Redispatch-Maßnahmen anordnen – sie fordern Kraftwerke dazu auf, mehr oder weniger Strom zu erzeugen, um die regionale Balance von Einspeisung und Verbrauch zu halten. Mit Redispatch 2.0 wird diese Regelungsaufgabe auf Verteilnetzbetreiber und kleinere Kraftwerke, inklusive Erneuerbare-Energie-Anlagen und Stromspeicher ausgeweitet.
Die Ausweitung ist ein wichtiger Schritt im Umbauprozess des Stromnetzes hin zu dezentraler Erzeugung durch Erneuerbarer Energien. Durch ihren steigenden Anteil verändern sich Lastflüsse innerhalb des Netzes, Redispatch-Maßnahmen werden immer häufiger durchgeführt. Daher ist es sinnvoll, auch Anlagen auf niederen Spannungsebenen in dieses Verfahren miteinzubeziehen. Erneuerbare-Energie-Anlagen liegen durch ihre verteilten Standorte zudem oft näher an den jeweiligen Netzengpässen und können diese effizienter beseitigen als zentral gelegene konventionelle Kraftwerke.
Was verändert das neue Gesetz? Bisher waren nur etwa 80 Erzeugungsanlagen in ganz Deutschland Teil des Redispatch-Systems, heute dürfte sich diese Zahl auf einen Schlag etwa vertausendfachen – das Stromnetz wird flexibler. Dadurch kommt den Verteilnetzbetreibern eine ganz neue Rolle zu, ihre Verantwortung wird gestärkt und ihr Handlungsspielraum vergrößert. Dies ist auch deswegen wichtig, weil auf Verteilnetzebene so gut wie alle stromverbrauchenden Anlagen und Haushalte angeschlossen sind – diese bergen ebenfalls ein riesiges Potenzial, Netzengpässe und Ungleichgewichte auszugleichen. Da allerdings die Verbrauchsseite durch Redispatch 2.0 noch nicht angetastet wird, wird es hier langfristig einer weiteren Vereinheitlichung bedürfen.
Das RLI hat durch zahlreiche Forschungsprojekte, wie etwa das BMU-geförderte Projekt „Netz_eLOG" (https://reiner-lemoine-institut.de/intelligente-netzintegration-e-mobilitaet/), gezeigt, dass der Umfang möglicher Redispatch-Aufrufe von Anfang an gering gehalten werden könnte, wenn Stromverbraucher wie etwa E-Autos als Flexibilitätsoption genutzt würden. Netzbetreiber könnten perspektivisch große elektrische Fahrzeugflotten in ihre Prognoseprozesse einbinden und die Elektromobilität auch in der langfristigen Netzausbauplanung berücksichtigen. Noch erlaubt es der Rechtsrahmen nicht, den Endnutzenden entsprechende Anreize für eine spontane Lasterhöhung anzubieten, wenn die Erzeugung aus Wind- und PV-Analgen lokal sehr hoch ist. Die Devise könnte dann sein: Anreize für Lasterhöhung vorsehen und Abschaltung sowie Entschädigung vermeiden. Es wäre sinnvoll, die gesetzlichen Rahmenbedingungen im nächsten Schritt so anzupassen, dass dies möglich wird: Redispatch 3.0 sollte auch die Verbrauchsseite beinhalten.
Das Reiner Lemoine Institut ist ein unabhängiges, gemeinnütziges Forschungsinstitut, das sich für eine Zukunft mit 100 Prozent Erneuerbaren Energien einsetzt. Unsere drei Forschungsbereiche sind „Transformation von Energiesystemen“, „Mobilität mit Erneuerbaren Energien“ und „Off-Grid Systems“. Wir forschen anwendungsorientiert mit dem Ziel, die langfristige Umstellung der Energieversorgung auf Erneuerbare Energien wissenschaftlich zu unterstützen.