Entwicklung nachhaltiger und energieautonomer Kühlcontainersysteme für afrikanische Krankenhäuser
Internationales Forschungskonsortium unter Federführung der Hochschule Karlsruhe (Die HKA) wird von der EU über vier Jahre mit 8 Mio. Euro gefördert
Am heutigen Dienstag, 12. Oktober 2021, trafen sich an der Hochschule
Karlsruhe (Die HKA) Vertreter der 13 Projektpartner zum offiziellen Start
des internationalen Forschungsprojekts "SophiA", die aus diesem Anlass von
Dr. Frank Mentrup, Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe, und Prof. Dr.-
Ing. Franz Quint, Prorektor für Forschung, Kooperationen und
Qualitätsmanagement der HKA, begrüßt wurden. Neben der federführenden HKA
sind aus Deutschland das Steinbeis-Europa-Zentrum, die
Nichtregierungsorganisation Operieren in Afrika sowie die Unternehmen
MARTIN Systems GmbH, Simply Solar GbR und RAACH Solar beteiligt, das
französische International Institute of Refrigeration, die Hochschule für
Angewandte Wissenschaften der Ostschweiz, die Makerere University in
Uganda, das Institut International d'Ingénierie de l'Eau et de
l'Environnement in Burkina Faso, das Ministerium für Öffentliche Gesundheit
in Kamerun sowie die südafrikanischen Unternehmen Everflo und Kovco.
Unterstützt wird das Projekt zudem von weiteren nationalen Ministerien,
Gesundheitsbehörden und Krankenhäusern sowie von namhaften
Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen.
Als eines von zwei Leuchtturmprojekten, die in der Ausschreibung
Accelerating the green transition and energy access Partnership with Africa
(TOPIC ID: LC-GD-2-3-2020) bei der Evaluation die volle Punktzahl
erreichten, zählt das Projekt unter 150 Einreichungen zu den vier
ausgewählten Projekten und wird von der EU für eine Laufzeit von vier
Jahren mit 8 Mio. Euro gefördert.
"SophiA steht für "Sustainable off-grid solutions for pharmacies and
hospitals in Africa" (,Nachhaltige netzunabhängige Lösungen für Apotheken
und Krankenhäuser in Afrika'), so Projektleiter Prof. Dr.-Ing. habil.
Michael Kauffeld, der an der HKA das Institut für Kälte-, Klima- und
Umwelttechnik leitet und an der Fakultät für Maschinenbau und Mechatronik
lehrt. "Ziel unseres Projekts ist die Entwicklung nachhaltiger und
energieautonomer Kühl- und Wasseraufbereitungscontainersysteme für
afrikanische Krankenhäuser, die diesen eine stabile Kühlung von Wasser,
Medikamenten, Blutplasma, Seren und Impfstoffen im Temperaturbereich von +6
°C bis -70 °C erlauben, und diese vor Ort in vier unterschiedlichen
afrikanischen Klimazonen im realen Einsatz zu testen."
Obwohl das globale Phänomen der Verstädterung auch in Afrika zu beobachten
ist, leben die meisten Menschen dort nach wie vor in ländlichen und
abgelegenen Gebieten mit schlechter Infrastruktur und geringen
Wachstumsmöglichkeiten. Ländliche Gemeinden in Afrika leiden unter einem
schlechten Zugang zu Gesundheitsversorgung, Schulen und Infrastruktur, was
auch zu Armut und Krankheiten führt. Schlechte und unzuverlässige
Stromversorgung sowie der fehlende Zugang zu sicherem und sauberem
Trinkwasser sind häufig anzutreffen und die Hälfte der Menschen südlich der
Sahara hat keinen Zugang zu Elektrizität.
In den afrikanischen Subsaharagebieten gibt es etwa 98.700 bis 120.000
(öffentliche) Gesundheitseinrichtungen (22.000 Krankenhäuser und 98.000
Gesundheitsstationen), von denen etwa ein Viertel keinen Zugang zu
Elektrizität haben und nur knapp mehr über eine zuverlässige
Stromversorgung verfügen. Außerdem haben in vielen Regionen bis zur Hälfte
dieser Einrichtungen keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser. Auf dem
afrikanischen Kontinent wird zwischen 2015 und 2050 mehr als die Hälfte des
weltweiten Bevölkerungswachstums erwartet, was verdeutlicht, wie wichtig es
ist, sich mit der Gesundheit der Bevölkerung zu befassen - auch als
Voraussetzung für eine gute sozio-ökonomische Entwicklung. Dabei muss die
medizinische Versorgung gerade in den abgelegenen ländlichen Gebieten mit
schlechter Strom- und Wasserversorgung zurechtkommen, also insbesondere
kleine lokale medizinische Versorgungszentren oft mit verunreinigtem
Wasser, ohne Kühlung (von Medikamenten), ohne Klimaanlage und mit
mangelhaften sanitären Einrichtungen.
Ein oft vernachlässigter und häufig unterschätzter Bereich ist die Kühlung
in abgelegenen ländlichen Gesundheitseinrichtungen (Krankenhäuser,
Gesundheitsposten und Apotheken), da sie auf mehreren Niveaus benötigt
wird. Krankenhäuser benötigen typischerweise für den Operationssaal und die
Intensivstation (z. B. gekühltes Wasser bei +6 °C), zur Kühlung von
Medikamenten (+5 °C), von Blutplasma (-30 °C) und Impfstoffen (für einige
bis zu -70 °C, z. B. einzelne Covid-19 oder Ebola Impfstoffe). Viele
Medikamente und Salben sowie Erythrozytenkonzentrate (aus roten Blutkörpern
bestehende Konserve zur Bluttransfusion) müssen um +5 °C gekühlt werden und
verderben ansonsten schnell. Bei -30 °C lässt sich Blutplasma zwei Jahre
lang aufbewahren. Ist es nicht im entscheidenden Moment verfügbar, kann
dies zu weiteren Erkrankungen oder sogar zum Tod führen. Als Reaktion auf
die Ebolavirus-Epidemie 2014-2015 in Westafrika hatten Forscher die
Entwicklung von Ebola-Impfstoffen beschleunigt. Aufgrund des frühen
Entwicklungsstadiums und der begrenzten, kritischen Stabilitätsdaten musste
der Impfstoff bei -60 °C oder kälter gelagert werden. Geeignete Kühlzentren
bzw. -ketten waren während der Ebola-Krise nicht verfügbar und sind es auch
jetzt während der Covid-19-Pandemie nicht.
Neben der Bereitstellung von sicherem und sauberem Trinkwasser ist der
Zugang zu Energie ist eine entscheidende Voraussetzung für den Einsatz
zeitgemäßer medizinischer Technologie und damit auch ein zentraler Faktor,
damit grundlegende Gesundheitsdienste erbracht werden können. Der
afrikanische Kontinent verfügt über ein enormes Potenzial an erneuerbaren
Energien, aber beispielsweise Photovoltaik (PV) wird bis heute nur in
geringem Umfang genutzt. Sie wird jedoch in naher Zukunft eine praktikable
Option darstellen, da die Brennstoffkosten steigen und die Kosten für PV-
Paneele drastisch gesunken sind. Darüber hinaus können mit PV betriebene
Systeme erheblich zur Verringerung der CO2-Emissionen beitragen.
Eigenständige dieselbetriebene Generatoren erzeugen mehr als 1 kg CO2/kWh,
während PV-Solarsysteme im Durchschnitt weniger als 250 g CO2 erzeugen.
Über SophiA soll nun eine nachhaltige, netzunabhängige Versorgung für
ländliche und abgelegene Gesundheitseinrichtungen in Afrika bereitgestellt
werden und den Zugang zu Energie und Gesundheitsleistungen für alle
ermöglichen. SophiA wird vor Ort innovative, erschwingliche und effiziente
solarbetriebene Geräte entwickeln um folgende Aspekte sicherzustellen:
- Stromversorgung bei Netzausfällen
- Sicheres und sauberes Trinkwasser
- Heißes Wasser; bei Bedarf Dampf
- Kühlung von Operationssälen oder Intensivstationen
- Kühlung von Medikamenten bei +5 °C; eventuell Kühlung von Lebensmitteln
- Tieftemperaturlagerung von Blutplasma bei -30 °C
- Ultratieftemperatur-Lagerung von empfindlichen Medikamenten (z. B. einige
Covid-19- oder Ebola-Impfstoffe) bei -70 °C
Dazu werden PV-Paneele, solarthermische Module, Ultrafiltration in
Kombination mit UV-Lampen und kapazitiver De-Ionisierung sowie natürlichen
Kältemitteln mit niedrigem Treibhauspotenzial (low GWP) in einem
dreistufigen Kaskadenkältesystem mit hocheffizienter thermischer
Energiespeicherung eingesetzt. Darüber hinaus werden PV MedPorts, eine
einfache und zu 100 % solarbetriebene Lösung, entwickelt und in kleinen
abgelegenen Gesundheitsstationen in vier verschiedenen afrikanischen
Klimazonen in Burkina Faso, Kamerun, Uganda und Malawi getestet und
demonstriert.
Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Feldtestinstallationen wird nach
Abschluss des Projekts eine modulare Containerversion verfügbar sein. Dazu
wird ein Leitfaden erstellt, der es lokalen Unternehmen ermöglicht,
ähnliche Systeme vor Ort zu bauen.
"Langfristig soll SophiA immer mehr Menschen in Afrika den Zugang zu
solarer Energie für Strom, Heizung und Kühlung von Lebensmitteln und
Medikamenten sowie zu sicherem und sauberem Trinkwasser ermöglichen und so
die Lebensqualität auf nachhaltige Weise verbessern", so Prof. Dr.-Ing.
habil. Michael Kauffeld, der gemeinsam mit Prof. Dr.-Ing. Jan Hoinkis das
Projekt leitet. "Eine breite Einführung von SophiA-Systemen wird
ökologische, wirtschaftliche, soziale und insbesondere gesundheitliche
Vorteile mit sich bringen, um vor Ort nachhaltige, dem afrikanischen
Kontext angemessene Lösungen zu bieten. SophiA wird in Afrika so einen
Beitrag zu einem nachhaltigen Entwicklungswachstum leisten können."
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr.-Ing. habil. Michael Kauffeld
Institut für Kälte-, Klima- und Umwelttechnik
Hochschule Karlsruhe
Moltkestraße 30, 76133 Karlsruhe
Tel. +49 (0)721 925-1843
E-Mail: michael.kauffeld(at)h-ka.de
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