Wissenschaftsbündnis DANK: Cem Özdemir sollte Lebensmittel-Lobby klare Kante zeigen
• Wissenschaftler*innen empfehlen: Einfluss der Lebensmittelindustrie auf Ernährungspolitik begrenzen
• Ernährungskapitel des Koalitionsvertrags hat „Licht und Schatten“
• Wissenschaftsbündnis gratuliert Cem Özdemir zur Ernennung zum Bundesernährungsminister und bietet Mitarbeit bei geplanter Ernährungsstrategie an
Berlin - Das Wissenschaftsbündnis DANK erwartet vom neuen Bundesernährungsminister Cem Özdemir eine „klare Kante“ gegenüber der Lebensmittel-Lobby. Der Einfluss der Lebensmittelwirtschaft auf die Ausgestaltung der laut Koalitionsvertrag geplanten Ernährungsstrategie sollte von Beginn an begrenzt werden, um eine Verwässerung zu Lasten des Verbraucher- und Gesundheitsschutzes zu verhindern. Wirksame Maßnahmen zur Eindämmung ernährungsbedingter Krankheiten müssten trotz des zu erwartenden Widerstands aus der Branche durchgesetzt werden. Anders ließen sich die Übergewichts- und Diabetes-Epidemie mit ihren dramatischen Folgen nicht stoppen, so das Bündnis, dem 23 medizinisch-wissenschaftliche Fachorganisationen angehören.
„Die Lebensmittel-Lobby hat die letzten Jahre alles versucht, um wirksame Maßnahmen zur Förderung einer gesunden Ernährung zu verhindern – meistens mit Erfolg“, erklärt Barbara Bitzer, Sprecherin des Wissenschaftsbündnisses DANK und Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) anlässlich der für heute geplanten Vereidigung des neuen Bundesernährungsministers Cem Özdemir. „Mit dem Wechsel an der Spitze des Ministeriums erhoffen wir uns auch eine Kehrtwende in der Ernährungspolitik. Anstatt medienwirksamer aber wirkungsloser freiwilliger Selbstverpflichtungen brauchen wir verbindliche Vorgaben. Wie von internationalen Expert*innen empfohlen, sollte der Einfluss der Lebensmittel-Lobby auf die Entwicklung und Ausgestaltung der Ernährungspolitik deutlich begrenzt werden“, so Bitzer.
Zum Ernährungskapitel des Koalitionsvertrags von SPD, Grünen und FDP zieht das Wissenschaftsbündnis ein gemischtes Fazit. Der größte Fortschritt sei, dass „an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt“ künftig unterbunden werden soll. Unklar sei noch, wie weit das geplante Werbeverbot greift und ob beispielsweise auch Werbung durch Influencer*innen in sozialen Medien umfasst wird. Ebenfalls positiv bewertet DANK das Vorhaben der Ampel-Koalition, bis 2023 eine „Ernährungsstrategie“ zu entwickeln, „um eine gesunde Umgebung für Ernährung und Bewegung zu schaffen“. Als größtes Manko bezeichnet das Bündnis, dass eine Sondersteuer oder Herstellerabgabe für Süßgetränke offenbar in letzter Minute wieder aus dem Koalitionsvertrag gestrichen wurde. Eine Herstellerabgabe auf stark gesüßte Getränke – ähnlich wie in Großbritannien – ist aus Sicht der Wissenschaftler*innen überfällig, um zur Reduktion des Zuckeranteils und des Konsums der gesundheitsschädlichen Produkte beizutragen. Die Einnahmen der Abgabe könnten zur Finanzierung gesunden Schulessens genutzt werden.
„Es ist ein großer Schritt in die richtige Richtung, dass an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel unterbunden werden soll. Die Zeit der wirkungslosen freiwilligen Selbstverpflichtungen ist abgelaufen. Doch Werbeverbot ist nicht gleich Werbeverbot – hier wird es auf eine wirksame Umsetzung ankommen.“, erklärt Barbara Bitzer von DANK. „Die wissenschaftlichen Fachorganisationen stehen Minister Özdemir gerne beratend zur Seite, auch bei der geplanten Ernährungsstrategie. Nur durch ein Zusammenspiel wirksamer Maßnahmen lässt sich die Epidemie ernährungsbedingter Krankheiten aufhalten.“
Eine von der medizinischen Fachzeitschrift Lancet eingesetzte Expertenkommission, der weltweit führende Wissenschaftler*innen im Bereich der Adipositas-Prävention angehören, hat 2019 ihre umfassenden Empfehlungen im Kampf gegen die Adipositas-Pandemie vorgelegt. Eine der neun wichtigsten Empfehlungen der Kommission lautete, dass der Einfluss kommerzieller Interessen auf die Entwicklung und Ausgestaltung der politischen Maßnahmen verringert werden sollte.
Der Report der Lancet Commission on Obesity im Volltext (Registrierung benötigt):
Swinburn BA , Kraak VI, Allender S, et al. The Global Syndemic of Obesity, Undernutrition, and Climate Change: The Lancet Commission Report. Lancet. 2019; 23;393(10173):791-846. doi: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(18)32822-8