Bundesministerien: Kaum Ostdeutsche in Spitzenpositionen
Auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es nur wenige ostdeutsche Spitzenbeamte in den Bundesministerien. Eine Studie der Universität Kassel belegt nun mit Zahlen, wie drastisch das Ungleichgewicht seit Jahrzehnten ist. Auch unter der neuen Bundesregierung hat sich wenig geändert.
Demnach sucht man aus Ostdeutschland stammende Spitzenbeamtinnen und Spitzenbeamte in der gesamtdeutschen Verwaltungselite bis heute fast vergeblich: Unter Staatssekretären und Abteilungsleitern in Bundesministerien und im Kanzleramt lag der Anteil der Ostdeutschen bis zum Ende der dritten Amtszeit von Angela Merkel meist bei rund einem Prozent, in der ersten Amtszeit von Gerhard Schröder und in der ersten Amtszeit von Angela Merkel gab es schlicht überhaupt keine Ostdeutschen in diesen Positionen. Auch unter der neuen Ampelkoalition findet sich bisher nur eine im Osten Deutschlands aufgewachsene Staatssekretärin: Antje Draheim ist seit 8. Dezember 2021 Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit.
In der politischen Elite, also an den Kabinettstischen, ist der Anteil Ostdeutscher traditionell etwas höher, aktuell ist er mit rund neun Prozent aber niedriger als in den meisten Vorgängerregierungen nach 1990. In der Ampelregierung gibt es mit Clara Geywitz und Steffi Lemke zwei ostdeutsche Ministerinnen und mit Reem Alabali-Radovan, Carsten Schneider und Michael Keller drei weitere in Ostdeutschland aufgewachsene Personen unter den Parlamentarischen Staatssekretären/Staatsministern.
Diese Fakten sind Teil-Ergebnisse des groß angelegten Forschungsprojekts „Neue Eliten – etabliertes Personal?“ des Fachgebiets Public Management unter der Leitung von Prof. Dr. Sylvia Veit. Die Forscherinnen und Forscher untersuchten dafür fast 3.600 Karriere-Biographien von der Kaiserzeit bis ins gegenwärtige Deutschland. Das umfasst einerseits Mitglieder von Regierungen und andererseits hohe Beamtinnen und Beamte in Ministerien. Die zentralen Fragen: Inwiefern wurde Spitzenpersonal in zentralstaatlichen Ministerien nach politischen Umbrüchen beibehalten oder ausgetauscht? Wie setzte es sich zusammen?
Eine Teiluntersuchung widmete sich dabei der Zeit nach der Wiedervereinigung. In anderen Aspekten, so ein weiterer Befund, zeigt sich in dieser Phase durchaus Wandel in der Verwaltungselite. Beispielsweise waren die Spitzenbeamten der BRD bis Ende der 1990er Jahre fast ausschließlich männlich. In der letzten Amtszeit von Helmut Kohl betrug der Frauenanteil unter Spitzenbeamten weniger als zwei Prozent, seit Ende der 1990er Jahre kam es dann zu einem Anstieg auf rund sieben Prozent unter Gerhard Schröder bis zu mehr als 20 Prozent in der dritten Amtszeit Merkels. Unter der neuen Regierung ist der Frauenanteil unter den Staatssekretären mit deutlich über 40 Prozent so hoch wie nie zuvor. Im Laufe der Zeit ist außerdem der traditionell sehr hohe Juristenanteil etwas gesunken (von mehr als zwei Dritteln in den Adenauerjahren auf immer noch knapp 50 Prozent in den letzten Regierungsperioden) und der Anteil von Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern mit keiner oder sehr wenig Verwaltungserfahrung angestiegen. Zudem ist die Fluktuation in den Ämtern größer geworden: Spitzenbeamtinnen und Spitzenbeamte bleiben heute im Schnitt kürzer in der Verwaltungselite als in früheren Jahrzehnten.
Eine weitere Teiluntersuchung des Forschungsprojektes widmete sich der DDR. Demnach fiel der politische Neustart in Ost- und Westdeutschland nicht nur politisch, sondern auch hinsichtlich soziodemographischer Merkmale der Regierungsmitglieder höchst unterschiedlich aus. Interessant sind beispielsweise die Daten zum Bildungsniveau. Während dieses unter BRD-Regierungsmitgliedern schon immer sehr hoch war, zeigte sich in der DDR mit der Zeit eine deutliche Veränderung: In den Anfangsjahren der DDR hatte mehr als die Hälfte keinen Hochschulabschluss; das entsprach durchaus dem Ideal des Arbeiter- und Bauernstaates. Doch zum Ende der DDR hatten fast alle Regierungsmitglieder studiert und viele waren sogar promoviert.
Das von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien geförderte Forschungsprojekt „Neue Eliten – etabliertes Personal? (Dis-)Kontinuitäten deutscher Ministerien in Systemtransformationen“ lief seit 2017 und wurde nun abgeschlossen. Ausgewertet wurden für das Projekt die Biographien aller Personen, die 1913, 1920, 1927, 1934, 1939 oder 1944 sowie seit 1949 Regierungsmitglied oder Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs, der Bundesrepublik bzw. der DDR waren (Politikerinnen und Politiker) oder eine leitende Funktion in einem Ministerium der obersten staatlichen Ebene hatten (politische Beamtinnen und Beamte). Erhoben wurden soziodemographische Merkmale, der Bildungs- und Berufsweg, politische Aktivitäten sowie die Systemnähe. Besonders aufschlussreich war die Aktenarbeit an mehreren Standorten des Bundesarchivs.
Vor einiger Zeit hatte die Forschungsgruppe bereits Ergebnisse bekannt gemacht, nach denen im Politik- und Verwaltungsapparat der Adenauerzeit wenige überzeugte Nazis, aber viele Mitläufer und nur wenige Widerständler aktiv waren (https://www.uni-kassel.de/uni/aktuelles/meldung/2021/04/22/so-viel-nsdap-vergangenheit-hatte-die-bonner-elite-der-adenauerzeit?cHash=0d2e22bae0e9e30ac65d240e6e345f39).
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Sylvia Veit
Universität Kassel
Fachgebiet Public Management
E-Mail: sveit[at]uni-kassel[dot]de
Originalpublikation:
Diese und weitere interessante Studienergebnisse sind als Datenberichte unter folgendem Link frei zugänglich: https://kobra.uni-kassel.de/handle/123456789/11789
Weitere Informationen:
https://www.uni-kassel.de/uni/aktuelles/meldung/2022/01/12/bundesministerien-kaum-ostdeutsche-in-spitzenpositionen?cHash=b6164541f303838a28c3372e23bc93fe