Neue Studie: Glaube in Aktion – Wie religiöse Organisationen den demografischen Wandel voranbringen
Berlin-Institut legt in Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung eine neue Studie zu den Zusammenhängen zwischen Religion und Bevölkerungsentwicklung in Westafrika vor.
Nirgendwo auf der Welt wächst die Bevölkerung so schnell wie in Westafrika. Bis 2050 soll sich die Einwohnerzahl dort von 402 Millionen auf 797 Millionen Menschen nahezu verdoppeln. Mehr Menschen werden deshalb um Jobs, gute Bildung und Gesundheitsvorsorge konkurrieren. Für viele steht damit ein selbstbestimmtes Leben auf dem Spiel. Hoffnung auf einen positiven Wandel bereitet nun die Zusammenarbeit mit Akteuren, die lange eher als Hindernis in der Familienplanung galten: die religiösen Organisationen. Ihre Vertreter:innen genießen in Westafrika hohes Vertrauen. Drei Viertel
aller Menschen dort hören bei sensiblen Themen wie Kinderzahl oder Sexualität auf den Rat ihres Priesters oder Imams.
Das Berlin-Institut hat in der neuen Studie „Glaube in Aktion – Wie religiöse Organisationen den demografischen Wandel voranbringen“ im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung in 16 westafrikanischen Ländern untersucht, wo religiöse Autoritäten oder Organisationen in demografierelevanten Arbeitsfeldern wie Geschlechtergerechtigkeit, Familienplanung und Sexualität bereits aktiv sind und für Verbesserungen und mehr Selbstbestimmung eintreten.
Religion und Familienplanung sind vereinbar
In allen religiösen Gemeinschaften in Westafrika dominiert ein traditionelles Frauenbild. Frauen werden zunächst als Mütter und Ehefrauen angesehen und Kinderreichtum in vielen Glaubensgemeinschaften positiv bewertet. Familienplanung zählt vielerorts als Tabuthema und scheint auf den ersten Blick nicht vereinbar mit vorherrschenden religiösen Überzeugungen. Doch entgegen dieser weitläufigen Annahme schließt etwa der Islam Familienplanung in seinen heiligen Schriften nicht explizit aus und auch Christinnen und Christen setzen sich vielerorts dafür ein, dass Frauen selbstbestimmt über Verhütung und Familienplanung entscheiden können. „Priester, Imame und Autoritäten indigener Gemeinschaften können fortschrittliche Lesarten ihrer heiligen Texte oder Mythen vor Ort bekannt machen und für bessere Lebensbedingungen eintreten.
Schließlich wissen sie von den Realitäten in ihren Gemeinden, von Armut, Arbeitslosigkeit und ungewollten Schwangerschaften bei Teenagern“, so Catherina Hinz, Direktorin des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Die Religionsgemeinschaften können indirekt auf die Geburtenraten einwirken, etwa indem sie Vorzüge kleinerer Familien aufzeigen. Wenn religiöse Organisationen Sexualaufklärung oder Gesundheitsdienste anbieten, können sie Anhänger:innen auch direkt erreichen und für das heikle Thema Familienplanung sensibilisieren.
Geistliche treiben bereits den Wandel in Institutionen und vor Ort voran
In vielen westafrikanischen Ländern sind bereits religiöse Organisationen, Netzwerke oder einzelne Geistliche in Arbeitsfeldern tätig, die die Bevölkerungsentwicklung nachhaltig beeinflussen. So engagiert sich etwa der Sultan von Sokoto, der geistliche Führer der rund 90 Millionen Muslim:innen in Nigeria, für Mädchenbildung. Im Jahr 2019 eröffnete er die panafrikanische Keeping Girls in School Conference. Dort diskutierten Führungspersönlichkeiten aus Islam, Christentum, indigenen Religionen sowie Vertreter:innen aus Politik und von internationalen Entwicklungsorganisationen gemeinsam mit afrikanischen Jugendorganisationen darüber, weshalb viele Mädchen nicht in die Schule gehen – über Eltern, die die Bildung ihrer Töchter nicht für wichtig halten, oder die Stigmatisierung von Mädchen, die menstruieren. Der Sultan forderte seine Amtskollegen auf, die Verantwortung zu übernehmen und aktiv darauf hinzuarbeiten, dass alle Mädchen eine Sekundarschulbildung abschließen können.
Netzwerke wie die seit 2011 aktive Ouagadougou-Partnerschaft , die für die Nutzung von
Verhütungsmitteln wirbt, arbeiten von Beginn an mit Priester:innen und Imamen zusammen. So ist in den frankophonen Ländern Westafrikas eine Allianz religiöser Autoritäten entstanden, die miteinander kooperieren und sich austauschen. Ihre Erfahrung zeigt, welche Ansätze besonders gut funktionieren. „So ist ein Fundus für gute Praxis entstanden, der das Potential hat, auch in anderen Ländern oder Regionen einen Wandel hin zu mehr Akzeptanz für Familienplanung anzustoßen“, erläutert Catherina
Hinz.
Säkulare Organisationen müssen eine Sprache finden, die den Glauben der Menschen respektiert
Damit der gesellschaftliche Wandel gelingt, sollten die religiösen Verbände sowie die Geistlichen vor Ort die Bibel oder den Koran geschlechtergerecht lesen, Fehlinterpretationen entkräften und tradierte Rollenbilder hinterfragen. Ihre säkularen Partner:innen in Regierungen, Gesundheitsbehörden und der Zivilgesellschaft sollten sie dabei unterstützen. Sie sollten nach der richtigen Sprache suchen, um langfristig mit Religionsgemeinschaften zusammenzuarbeiten, und ihr Potenzial erkennen und nutzen:
Mithilfe von Geistlichen können sie Geschlechtergerechtigkeit, sexuelle Selbstbestimmung und die Akzeptanz von Familienplanung erhöhen und mittelfristig dazu beitragen, das Bevölkerungswachstum in Westafrika zu verlangsamen.
Die Studie „Glaube in Aktion – Wie religiöse Organisationen den demografischen Wandel voranbringen“ steht Ihnen als Download zur Verfügung unter:
https://www.berlin-institut.org/studien-analysen/detail/glaube-in-aktion
Bei Rückfragen helfen wir Ihnen gerne weiter:
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
Ansprechpartnerinnen:
Catherina Hinz, hinz@berlin-institut.org, Tel.: 030-22 32 48 45
Lilian Beck, beck@berlin-institut.org, Tel.: 030-31 01 73 24
Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
Ansprechpartner:
KAS-Pressestelle, pressestelle@kas.de
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung ist ein unabhängiger Thinktank, der sich mit Fragen regionaler und globaler demografischer Veränderungen beschäftigt. Das Institut wurde 2000 als gemeinnützige Stiftung gegründet und hat die Aufgabe, das Bewusstsein für den demografischen Wandel zu schärfen, nachhaltige Entwicklung zu fördern, neue Ideen in die Politik einzubringen und Konzepte zur Lösung demografischer und entwicklungspolitischer Probleme zu erarbeiten. In seinen Studien, Diskussions- und Hintergrundpapieren bereitet das Berlin-Institut wissenschaftliche Informationen für den politischen Entscheidungsprozess auf. Weitere Informationen, wie auch die Möglichkeit, den kostenlosen regelmäßigen Newsletter „Demos“ zu abonnieren, finden Sie unter www.berlin-institut.org.
Regionalprogramm Politischer Dialog Westafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung
Seit über 25 Jahren wirkt das Regionalprogramm Politischer Dialog Westafrika (PDWA) der Konrad-Adenauer-Stiftung auf die Etablierung und Konsolidierung demokratischer Strukturen und das Erreichen einer demokratischen Bewusstseinshaltung in der Bevölkerung Westafrikas hin. Neben der Verdeutlichung rechtsstaatlicher Grundsätze hat sich die Konrad-Adenauer-Stiftung zum Ziel gesetzt, zur Funktionsfähigkeit rechtsstaatlicher Institutionen sowie zur qualitativen Verbesserung von Parlaments- und Parteiarbeit beizutragen. Weitere zentrale Anliegen sind zudem die Förderung einer aktiven Zivilgesellschaft sowie die Verbesserung wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen. Vom Programmsitz in Abidjan aus betreut das Regionalprogramm die Schwerpunktländer Côte d'Ivoire, Benin und Togo. Weite Infos finden Sie unter https://www.kas.de/de/web/westafrika.
Originalpublikation:
https://www.berlin-institut.org/studien-analysen/detail/glaube-in-aktion