Neue Methoden zur Netzwerkvisualisierung ermöglichen Perspektiven- und Ansichtswechsel
Die Forschungsgruppe von Jörg Menche, Adjunct Principal Investigator am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Professor an der Universität Wien sowie Forschungsgruppenleiter an den Max Perutz Labs, entwickelte eine neue Methode zum Generieren von Netzwerklayouts, die es ermöglichen, unterschiedliche Informationen eines Netzwerks im zwei- und drei-dimensionalen virtuellen Raum zu visualisieren und aus verschiedenen Perspektiven zu erkunden. Die Ergebnisse könnten zukünftig auch die Erforschung von seltenen Erkrankungen durch vielseitigere, nachvollziehbare Darstellung komplexer Protein-Interaktionen erleichtern.
Die visuelle Darstellung von Netzwerken ermöglicht es, Beziehungen zwischen einzelnen Datenpunkten zu erkunden. Je komplexer und größer allerdings die Netzwerke, desto schwieriger wird es, die gesuchten Informationen zu finden. Mangels geeigneter Layouts entstehen sogenannte „hair balls“, die zwar eng verknüpfte Daten-Komplexe sichtbar machen, eine detaillierte Interpretation der beobachteten visuellen Muster aber nicht mehr ermöglichen. WissenschaftlerInnen der Forschungsgruppe von Jörg Menche an CeMM und Max Perutz Labs (ein Joint Venture der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien), entwickelten eine Methode, die es möglich macht, bereits im Vorhinein festzulegen, welche Netzwerkeigenschaften und Informationen visuell repräsentiert werden sollen, um diese interaktiv zu erforschen. Die Ergebnisse wurden nun in Nature Computational Science publiziert.
Reduktion der Komplexität
Für die Studie nutzte Erstautorin Christiane V. R. Hütter, PhD Studentin der Forschungsgruppe von Jörg Menche, die neuesten Techniken zur Reduktion der Dimensionalität, die es ermöglichen, Visualisierungen für Netzwerke mit Tausenden von Punkten innerhalb kurzer Zeit auf einem herkömmlichen Laptop zu berechnen. „Grundlage unserer Forschung war die Idee, für große Netzwerke verschiedene Ansichten zu entwickeln, um die Komplexität zu erfassen und einen umfassenderen Einblick zu erhalten und sie visuell verständlich darzustellen – ähnlich wie der Blick auf Landkarten der gleichen Region mit unterschiedlichem Informationsgehalt, Detailansichten und Perspektiven.“ Die WissenschafterInnen des Menche Labs entwickelten vier unterschiedliche Netzwerk-Layouts sowie zwei- und dreidimensionale Visualisierungen, die jeweils unterschiedlichen Regeln folgen und damit neue Perspektiven der Ausgangsdaten erschließen. Jedes Merkmal und jede Eigenschaft innerhalb des Netzwerkes können damit kodiert und visualisiert werden, zum Beispiel die strukturelle Bedeutung eines bestimmten Punktes, aber auch funktionale Merkmale. User können zwischen verschiedenen Ansichten wechseln, um ein umfassendes Bild zu erhalten. Projektleiter Jörg Menche erklärt: „Mithilfe der neuen Layouts können wir jetzt vorab festlegen, dass wir beispielsweise die Anzahl von Verbindungen eines Punktes innerhalb des Netzwerkes repräsentiert sehen wollen, oder ein bestimmtes funktionales Merkmal. In einem biologischen Netzwerk kann ich zum Beispiel der Frage nachgehen, welche Gene mit einer bestimmten Krankheit assoziiert sind oder welche Eigenschaften sie teilen“.
Das Zusammenspiel der Gene
Einen Proof of Concept führten die WissenschafterInnen sowohl an einfachen Modellnetzwerken als auch an dem komplexen Interaktom-Netzwerk durch, das sämtliche Proteine des menschlichen Körpers und ihre Interaktionen abbildet. Dieses besteht aus mehr als 16.000 Punkten und über 300.000 Verbindungen. Christiane V.R. Hütter erklärt: „Mittels unserer neuen Layouts sind wir nun in der Lage, verschiedenste Merkmale von Proteinen und deren Verbindungen visuell darzustellen, wie zum Beispiel die enge Beziehung zwischen der biologischen Bedeutung eines Proteins und seiner Zentralität innerhalb des Netzwerks. Außerdem können wir Verbindungsmuster zwischen einer Gruppe von Proteinen, die mit derselben Krankheit in Verbindung stehen, visualisieren, die mit herkömmlichen Methoden schwer zu entschlüsseln sind.“
Maßgeschneiderte Lösungen
Die Flexibilität des neuen Frameworks ermöglicht es Usern, Netzwerkvisualisierungen für eine bestimmte Anwendung maßzuschneidern. Die StudienautorInnen konnten beispielsweise 3D-Interaktom-Layouts speziell für die Untersuchung der biologischen Funktionen von bestimmten Genen entwickeln, deren Mutationen im Verdacht stehen, seltene Krankheiten zu verursachen. Jörg Menche ergänzt: „Um die visuelle Darstellung und auch Analyse von großen Netzwerken wie dem Interaktom zu erleichtern, können unsere Layouts außerdem in eine Virtual-Reality-Plattform integriert werden.“
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Jörg Menche studierte Physik in Leipzig, Recife und Berlin. Er promovierte am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam und war Postdoc an der Northeastern University und am Center for Cancer Systems Biology am Dana Farber Cancer Institute in Boston. 2015 kam er als Forschungsgruppenleiter an das CeMM. 2020 übernahm Menche eine Professur am Institut für Mathematik der Universität Wien sowie an den Max Perutz Labs, einem Joint Venture der Universität Wien sowie der Medizinischen Universität Wien. Am CeMM ist Jörg Menche weiterhin Adjunct Principal Investigator.
Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter wissenschaftlicher Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen, sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Institutes befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien. www.cemm.at
Die Max Perutz Labs sind ein Joint Venture der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien. Das Institut betreibt herausragende, international anerkannte Forschung und Lehre auf dem Gebiet der Molekularbiologie. WissenschaftlerInnen der Max Perutz Labs erforschen grundlegende, mechanistische Prozesse in der Biomedizin und verbinden innovative Grundlagenforschung mit medizinisch relevanten Fragestellungen. Die Max Perutz Labs sind Teil des Vienna BioCenter, einem führenden Hotspot der Lebenswissenschaften in Europa. Am Institut sind rund 45 Forschungsgruppen mit mehr als 450 MitarbeiterInnen aus 40 Nationen. www.maxperutzlabs.ac.at
Originalpublikation:
Die Studie „Network Cartographs for Interpretable Visualizations “ erschien in Nature Computational Science am 24.02.2022. DOI: 10.1038/s43588-022-00199-z