Sehen im Vergleich – Persische und Westeuropäische Bildkulturen
Kunsthistorikerin Prof. Dr. Vera Beyer vergleicht in ihrem Buch persische und
westeuropäische Buchmalerei
„Aber es gibt doch gar keine Malerei im Islam“ – mit solchen und ähnlichen Vorurteilen wird Prof. Dr. Vera Beyer, Professorin für Kunstgeschichte an der Universität Regensburg, oft konfrontiert seit sie sich mit nahöstlicher Buchmalerei beschäftigt. In ihrem Buch Sehen im Vergleich. Transformationen von Blicken in der persischen und westeuropäischen Buchmalerei, das im Frühjahr 2020 im Dietrich Reimer-Verlag und nun als Open Access Online-Version bei arthistoricum.net erschienen ist, untersucht die Kunsthistorikerin, inwiefern das Bild eines „bilderfeindlichen“ Nahen Osten und eines „bilderfreundlichen“ Westen tatsächlich aufrechtzuerhalten ist.
Durch Zufall kam Prof. Dr. Vera Beyer zur persischen Buchmalerei. Beim Blättern in einem Katalog stolperte sie über zwei Malereien, die sie faszinierten. Später studierte sie ein Semester in New York bei Priscilla P. Soucek, einer Spezialistin für persische Buchmalerei. Schließlich entschloss sich Prof. Dr. Beyer dazu, dem Stereotyp einer bilder- oder gar kunstlosen islamischen Kunst in einem Vergleich zwischen nahöstlichen und westeuropäischen Kunstwerken entgegenzuarbeiten.
Sehen im Vergleich behandelt Buchmalerei aus dem persischen und westeuropäischen Raum zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert. Bei den ausgewählten Malereien geht es jeweils um das Thema des Sehens. Dabei vergleicht die Kunsthistorikerin Geschichten und Vorstellungen, die in beiden Kulturen rezipiert wurden, um zu sehen, „was macht der eine Kontext, was macht der andere Kontext aus der gleichen Geschichte“. So zeigt das Buch beispielsweise, dass der begehrliche Blick der Frau des Potifar auf die Schönheit des alttestamentlichen Josefs in den beiden Kontexten sehr unterschiedlich beurteilt wird. Dabei zeigen die Abbildungen des alttestamentlichen Josefs nicht nur auf, dass biblische Figuren auch in nahöstlicher Kunst auftauchen, sondern brechen auch mit der Wahrnehmung eines körperfreundlichen Europas im Gegensatz zu einem körperfeindlichen Nahen Osten: In europäischen Abbildungen gilt es für Josef
den verführerischen Blicken der Frau des Potifar zu widerstehen, wohingegen die persische Buchmalerei Josefs Schönheit als etwas Göttliches begreift, wodurch die Beiden am Ende der Geschichte heiraten können. An anderen Beispielen stellt sich etwa die Frage, wie man sich in beiden Kontexten die Schau Gottes vorgestellt hat, wann die Verehrung von Bildern zur Götzenanbetung wird und inwiefern eine Frau einen Mann durch die Konfrontation mit seinem eigenen Bild einen Mann zur Einsicht bringen kann.
So hinterfragt das Buch in seinen Analysen von gemeinsamen Traditionen die Annahme eines Gegensatzes von einer bilderfreundlichen europäischen und einer bilderfeindlichen islamischen Kultur.
Sehen im Vergleich von Vera Beyer ist im Dietrich Reimer-Verlag (ISBN 978-3-496-01623-6) erschienen sowie als Online-Version bei arthistoricum.net (https://doi.org/10.11588/arthistoricum.590) erhältlich.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Vera Beyer
Institut für Kunstgeschichte
Universität Regensburg
Telefon: +49 (0)941 943-3705
E-Mail: vera.beyer@ur.de
Originalpublikation:
Beyer, Vera: Sehen im Vergleich: Transformationen von Blicken in der persischen und westeuropäischen Buchmalerei, Heidelberg: arthistoricum.net, 2022.
https://doi.org/10.11588/arthistoricum.590