Der Angriff Russlands auf die Ukraine stellt die LNG Schifffahrt vor sehr große Herausforderungen
Seit dem Beginn der russischen Invasaion der Ukraine kommt es zu enormen Herausforderungen auf dem Fracht- und Chartermarkt im Segment der flüssigen Massengüter und im Schiffbau. Vor allem im Gastankergeschäft deuten die Zeichen ebenfalls auf starkes Wachstum.
Wie wir in der ersten Ausgabe von SSMR in diesem Jahr berichteten, hat das weltweite Seehandelsvolumen nach Angaben von Clarkson Research Services wieder das Niveau von vor der COVID-19-Pandemie erreicht und hat von 2020 bis 2021 um 3,6 % zugenommen. Auch für 2022 wird ein Wachstum von etwa 3,4 % erwartet. Die Aussichten für die einzelnen Warengruppen sind jedoch sehr unterschiedlich, insbesondere seit dem Beginn des russischen Einmarsches in der Ukraine. In diesem Zusammenhang kommt es zu enormen Herausforderungen auf dem Fracht- und Chartermarkt im Segment der flüssigen Massengüter und im Schiffbau. Vor allem im Gastankergeschäft deuten die Zeichen ebenfalls auf starkes Wachstum.
Folglich steigen die Preise nicht nur für Neubauten, sondern auch auf dem Second-Hand-Markt nach einem starken Rückgang im Jahr 2021 seit Anfang 2022 wieder steil an. Der Neubaupreis für einen VLCC-Tanker hat sich seit April letzten Jahres von 65 Mio. US$ auf fast 120 Mio. US$ fast verdoppelt.
Mit Blick auf die Gasversorgung in Europa wird deutlich, wie groß der Anstieg der Transport- und Produktionskapazitäten sein muss, um auf (russische) Pipelinetransporte weitgehend verzichten zu können.
Laut dem BP Statistical Review of World Energy wurden im Jahr 2020 167,7 Milliarden Kubikmeter Gas per Pipeline von Russland nach Europa exportiert. Um die gleiche Menge per Schiff aus anderen Märkten wie den USA oder Katar zu importieren, wären zusätzliche Transportkapazitäten für ca. 280 Millionen Kubikmeter LNG erforderlich. Bei der heutigen Standardgröße von 174.000 qbm pro Tanker und einer Transportleistung von ca. 10 Fahrten pro Jahr würde dieser Bedarf einen Flottenzuwachs (rein fiktiv) von etwa 160 Einheiten bedeuten. Bei einem Baupreis von aktuell 220 Mio. US$ pro Tanker wäre das eine Investition von rund 35 Mrd. US$.
Zur Erinnerung, derzeit sind weltweit 680 LNG Tanker mit einem Transportvolumen von 103 Millionen Kubikmetern in Fahrt, weitere 182 LNG Tanker sind bestellt und werden bis 2025 die LNG-Flotte ergänzen.
Um einen möglichen Lieferstopp von russischem Erdgas, das vor allem über Pipelines nach Europa exportiert wird, zu kompensieren, gibt es nicht nur im Schiffsbereich Bewegung im Markt, sondern auch beim notwendigen Ausbau von zusätzlichen Hafenumschlags-anlagen. In Europa gibt es derzeit 36 LNG-Terminals, an denen Flüssiggas per Schiff angeliefert und regasifiziert werden kann. So sind allein in Deutschland – bisher ohne LNG-Terminal – zwei neue LNG-Umschlagplätze im Gespräch.
Mittelfristig wird der mögliche Boykott des russischen Erdgases aber auch die Förderung und Entwicklung alternativer Energiequellen beschleunigen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Reinhard Monden und Dieter Stockmann