TH OWL bringt die Digitalisierung der Lehre voran
Virtual und Augmented Reality in der Hochschullehre. Professor Dr. Martin Oldenburg und Katharina Pilar von Pilchau vom Fachbereich Umweltingenieurwesen und Angewandte Informatik an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe haben im Rahmen des Projektes DIGIWATER eine Virtual und Augmented Reality Anwendung entwickelt, die Studierenden lehrreiche Exkursionen vom heimischen Rechner aus ermöglicht. Ein wichtiger Schritt für die Digitalisierung der Hochschullehre.
Plötzlich steht er da, mitten im Wohnzimmer, ein lebensgroßer Tiger, dreidimensional und in Farbe. Eintauchen in virtuelle Welten oder das Erkunden ferner Orte: Solche Szenarien werden häufig lediglich mit Videospielen in Verbindung gebracht. Dabei sind „Virtual Reality“ und „Augmented Reality“, also das Streifen durch virtuelle Umgebungen und das Einblenden virtueller Objekte in die reale Umgebung, längst mehr als nur eine Spielerei. „Ich bin überzeugt, dass diese Form der Digitalisierung auch in der Hochschullehre stark zunehmen wird“, sagt Professor Dr. Martin Oldenburg vom Fachbereich Umweltingenieurwesen und Angewandte Informatik der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe. Im Rahmen des internationalen Projektes „Digitalisation of Water Industry by Innovative Graduate Water Education“, kurz DIGIWATER, hat er gemeinsam mit Katharina Pilar von Pilchau vom Fachbereich Umweltingenieurwesen und Angewandte Informatik der TH OWL so eine digitale Anwendung für die Hochschullehre entwickelt. Ergänzt wird dies durch das Projekt CURRICULUM 4.0 „Living Lab Wasser und Umwelt“, in dem die Aufbereitung und Visualisierung von Daten intensiviert wird. Studierenden des Fachbereichs ist es dadurch möglich, die Kläranlage des Projektpartners Stadtentwässerungsbetrieb Paderborn (STEB) vom heimischen Rechner aus zu besichtigen und interaktiv zu erforschen.
Doch was sind Augmented und Virtual Reality? Bei Augmented Reality (dt. Erweiterte Realität) wird die analoge Umgebung durch digitale Einblendungen erweitert. Professor Oldenburg: „Ich weiß, dass die Betreiber von Anlagen wie Kläranlagen die Mitarbeitenden mit Datenbrillen ausstatten. Die kriegen dann bei Wartungen direkt Schaltpläne von Anlagenteilen eingeblendet.“ Im Gegensatz dazu findet die Virtual Reality (dt. Virtuelle Realität) vollständig in einer digitalen Welt statt. „So kann ich vom Büro fremde Orte erkunden. Die sind dann digital, aber können echten Orten nachempfunden sein“, ergänzt Katharina Pilar von Pilchau.
360° Klärwerk interaktiv
Oldenburgs und Pilar von Pilchaus Anwendung kombiniert die Vorteile sowohl von Virtual als auch Augmented Reality. Mithilfe einer speziellen Kamera haben sie 360°-Ansichten der Kläranlage in Paderborn aufgenommen. „Wir haben aus diesen Ansichten einzelne thematische Touren zusammengestellt, die mit Annotationen versehen sind“, erklärt Katharina Pilar von Pilchau. Unter einer Tour verstehen sie, dass die Studierenden beispielsweise ein Areal oder Bauteil genauer unter die Lupe nehmen können. „Hier sind Annotationen in Form von zum Beispiel Videos eingebaut oder Grafiken mit allgemeinen Informationen über die Bauteile. Wir haben auch Dashboards eingebaut, um die Daten von dieser Kläranlage zu visualisieren und somit besser in die Lehre einbinden zu können“, fügt sie an.
Die Ergänzung der reinen Ansehenssoftware durch Daten, Videos und Grafiken macht die Anwendung laut Professor Oldenburg so attraktiv für die Lehre und Forschung an Hochschulen. Dieses sogenannte Virtual Lab ermöglicht eine Anbindung an die Daten der Kläranlage, also zum Beispiel an Energiedaten, Wetterdaten und Wassermengendaten. „In den Vorlesungen fehlt den Studierenden manchmal die praktische Anschauung. Also wie sieht das aus, was ich in der Übung dimensioniere. Sie können das im Rundgang selbst erleben, und das vom Rechner aus“, so Oldenburg. „Das wollen wir auch mit Lehrinhalten bestücken, in die Lehre aktiv einbinden und daraus Prüfungen und Übungsaufgaben generieren.“ Mit der Erweiterung durch das Projekt „Living Lab Wasser und Umwelt“ werden die Inhalte auch anderen Kolleginnen und Kollegen zur Einbindung und Weiterentwicklung in deren Lehrveranstaltungen zur Verfügung gestellt.
Im kommenden Semester wollen dann Professor Martin Oldenburg und Katharina Pilar von Pilchau Studierende in die Fertigstellung der Anwendung einbinden. „Die Anwendung ist schon weit, aber es gibt noch einige Bereiche auf der Kläranlage, für die noch keine Inhalte aufbereitet wurden. Die Studierenden sollen sich Konzeptionen überlegen und diese umsetzen“, erklärt Pilar von Pilchau.
Digital und nachhaltig in die Zukunft der Hochschullehre
Die Covid-19-Pandemie hat digitale Entwicklungen in vielen Bereichen beschleunigt, auch in der Hochschullehre. Augmented und Virtual Reality Anwendungen stellen in Phasen der Online-Lehre anschauliche und interaktive Lehrmöglichkeiten dar, die den Studierenden viele Vorteile bieten. Professor Oldenburg: „Wir haben in der Online-Lehre gemerkt, dass Studierende digitale Angebote gerne wahrnehmen, weil sie dadurch zeitunabhängiger werden. Sie müssen nicht von acht bis zehn in der Vorlesung sitzen, sondern können sich den Stoff auch mal nachts ansehen, wenn sie das wollen und können sich diesen auch mehrfach ansehen.“
Werden Augmented Reality und Virtual Reality also künftig Ausflüge und Exkursionen überflüssig machen? „Sowas kann eine Exkursion ersetzen, insbesondere zu Zielen, die sehr weit entfernt oder gar nicht physisch begehbar sind“, so Oldenburg. Das ist auch unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit und Sicherheit wünschenswert. In der Praxis zeigt sich aber auch, dass virtuelle Touren genau dann besonders gewinnbringend sind, wenn sie Exkursionen digital ergänzen. So konnten Oldenburgs und Pilar von Pilchaus Studierenden die virtuelle Tour durch die Kläranlage nutzen, um sich auf die tatsächliche Exkursion vorzubereiten. Das Ergebnis? „Ich habe den Eindruck, dass da eine enorme Wissensverdichtung stattgefunden hat“, betont Martin Oldenburg. „Die Studierenden konnten sich zum Teil sehr gut orientieren. Die Führung durch die Anlage hat vier Stunden gedauert, weil die Studierenden sich da sehr detailliert und intensiv mit den Details der Kläranlage auseinandergesetzt haben.“
DIGIWATER – Digitalisierung für die Wasserwirtschaft
Oldenburgs und Pilar von Pilchaus Arbeit geht aus dem Projekt DIGIWATER hervor. Bei DIGIWATER arbeiten sechs Universitäten und Hochschulen, darunter die TH OWL, mit sechs kleinen und mittleren Unternehmen, einer international agierenden Nichtregierungsorganisation (NGO) sowie dem Stadtentwässerungsbetrieb Paderborn (STEB) zusammen. Die Projektpartner stammen aus den Ländern Norwegen, Deutschland, Belgien, Türkei, Zypern und Rumänien.
Die Digitalisierung spielt schon jetzt eine entscheidende Rolle in der Wasserwirtschaft. Jedoch fehlen vielen Fachkräften im Wassersektor immer noch spezifische Kenntnisse im Bereich digitaler Technologien, wodurch viele Chancen und Potentiale digitaler Technologien im Verborgenen bleiben. Auf Seiten der Technologieunternehmen hingegen gibt es ein Wissensdefizit in Bezug auf komplexe Systeme und die zukünftigen Herausforderungen in der Wasserwirtschaft.
Das internationale Team möchte mit DIGIWATER langfristig digitale Innovationen im Wassersektor fördern. Um eine Grundlage für nachhaltige Innovation zu schaffen, haben die Forschenden das Ziel, neue, innovative und multidisziplinäre Lehr- und Lernansätze zu entwickeln. Dabei stehen digitale Lernwerkzeuge und virtuelle Einrichtungen im Vordergrund. Mit der Entwicklung von Kursinhalten soll der Wissensfluss gefördert werden.
Das Projekt wird gefördert durch das Erasmus+ Programm der Europäischen Union und durch Mittel des Landes Nordrhein-Westfalen im Rahmen des Programms Curriculum 4.0.