26. Heidelberger Ernährungsforum, 25. und 26. März 2022: Ernährungsumgebungen – Essen, Ernährung, Praktiken
Ziel des 26. Heidelberger Ernährungsforums war eine dezidierte und interdisziplinär-wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Ernährungsumgebungen, denen, mit Blick auf die Transformation der Ernährungssysteme, ein wesentliches Potenzial für ein Fortkommen zugeschrieben werden kann.
Das vielseitige Programm bot zwölf Vorträge, die in diesem Jahr erstmalig durch eine „Flaniermeile“ abgerundet wurden.
Dort konnten die Teilnehmenden in drei Ausstellungsbereichen in Erfahrung bringen, wie eindrucksvoll und umfassend Künstler*innen, angehende Wissenschaftler*innen und Einrichtungen der Hochschulgastronomie das Thema Ernährungsumgebungen umsetzen.
Früher im Jahr als gewohnt lockte am 25. und 26. März 2022 die Dr. Rainer Wild-Stiftung ihr Fachpublikum zum 26. Heidelberger Ernährungsforum vor die Bildschirme, um online über die sogenannten „Ernährungsumgebungen“ zu diskutieren. Als Neuheit wurde eine „Flaniermeile“ geboten, in der es zu erfahren gab, wie sich Kunst, Wissenschaft und Gemeinschaftsgastronomie mit dem Thema auseinandersetzen. Mit mehr als 430 Teilnehmenden zollten nochmals mehr Gäste dem Programm, an dem insgesamt zwölf Referierende mitwirkten, ihren Zuspruch, als im Vorjahr. Und das, „obwohl zu den Ernährungsumgebungen“, die vor allem aus dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) heraus Eingang in die fachlichen Debatten gefunden hatten, „doch alles gesagt zu sein scheint – eigentlich…“, wie die Geschäftsführerin der Dr. Rainer Wild-Stiftung, Dr. Silke Lichtenstein die Teilnehmenden begrüßte. Dass es sich aber lohne, dezidiert und aus verschiedenen Blickwinkeln darüber zu diskutieren, daran ließ Lichtenstein mit Verweis auf den Handlungsdruck, den der neueste Weltklimabericht wieder unterstrich, keinen Zweifel.
Interdisziplinärer Dialog über das Drumherum linearer Konsumprozesse
Lichtenstein hob ferner die Parallele zwischen dem wissenschaftlich definierten Begriff „Ernährungsumgebungen“ und den „6 Ws der gesunden Ernährung“ im Leitbild der Dr. Rainer Wild-Stiftung hervor. Mit dem „Was, Wo, Wie, Wann, Warum und mit Wem wir essen“, blicke dieses weiter als die „5 Ws der Ernährung“, die seitens der Wissenschaft konstatiert wurden. Die einfache Logik linearer Entscheidungsprozesse sowie eine auf Markt, Konsumhandlungen und Gesundheitsrisiken fokussierte Auseinandersetzung sind geeignet, um politisches Eingreifen zu legitimieren. Doch mit Blick auf zunehmend diverse Lebensentwürfe und eine wachsende soziale Ungleichheit, verfehlt die theoretische Engstellung die sehr variable und komplexe Realität der Alltagspraktiken deutscher Haushalte. Lichtenstein schloss damit, dass es ein umfassenderes und auf die Wirklichkeit ausgerichtetes Verständnis von fairen und gesunden Ernährungsumgebungen brauche, das an den richtigen Stellen zu vereinfachen sei. Dafür sind der interdisziplinäre Dialog sowie der transdisziplinäre Transfer gefragt, beides möchte die Dr. Rainer Wild-Stiftung unterstützen.
Faire und gesunde Ernährungsumgebungen: eine Chimäre?
Ob Verbrauchende die fairen Ernährungsumgebungen überhaupt durchdringen könnten, diese Frage stellte Prof. Dr. Gunther Hirschfelder in seinem Einführungsvortrag aus kulturwissenschaftlicher Perspektive. Darin verwies er auf die parallel existierenden analogen Räume und virtuellen Umgebungen, die sich besonders Jüngere durch digital und „ungefiltert“ vermittelte Informationen selbst kreieren. Dort entstehen imaginäre Räume, oft „Wohlfühlräume“, die einfache Lösungen versprechen – die aber mit der Realität wenig zu tun haben. Tatsächlich gibt es weder die Ernährungsumgebung entlang linear verlaufender Handlungen noch die eine Logik, die über fair und gesund entscheide. Ernährungspraktiken verlaufen zirkulär und sind verwoben mit Praktiken anderer Lebensbereiche. Auch existieren viele Logiken bezüglich fair oder gesund, weil die sich aus eigens gebildeten Wahrheiten ergeben. Problematisch wird es, wenn durch Vereinfachung Widersprüche und Feindbilder geschürt werden, weil „die in den westlichen Ländern zu beobachtende, gefährliche Tendenz Elitenfeindlichkeit weiterbefördern kann“ so Hirschfelder.
Nachhaltig-er, nicht nachhaltig, Multikomponentenansatz als Kompass
Den Durchblick über die wissenschaftlichen Grundlagen zur Diskussion verschaffte Prof. Ulrike Arens-Azevêdo den Teilnehmenden. Verständlich und präzise fasste sie die wissenschaftlichen Grundlagen zur Transformation des Ernährungssystems zusammen. Ausgehend von den 17 Sustainable Development Goals erläuterte Arens-Azevêdo daraus abgeleitete Indikatoren und schließlich die Handlungsempfehlungen für die „Big Four“ fairer und gesunder Umgebungen, Gesundheit, Soziales, Umwelt, Tierwohl. Dabei ist die soziale Dimension oft schwerer zu fassen. Zudem sind bei der Fülle an Zielgrößen Zielkonflikte unvermeidlich. Deshalb gibt es kein nachhaltig, und nachhaltig-er ist die klügere Bezeichnung. Bezogen auf Gesundheit erinnerte Arens-Azevêdo an salutogene Aspekte wie Wohlergehen und verbesserte Lebensqualität, beides gilt es auch zu berücksichtigen. Zudem betonte sie, dass Ernährungsumgebungen auch mit konkreten Räumen zu tun haben, die entsprechend zu gestalten seien. Vor allem die Kita- und Schulverpflegung kann so „ein Motor des Wandels in eine nachhaltigere Welt“ sein, weshalb die Vorbildfunktion von Pädagog*innen und der kostenfreie Zugang so wichtig sind.
Kalorie und Reformulierung passé? Hochverarbeitete Lebensmittel im Fokus
Dass es im Hinblick auf die gesundheitlichen Folgen durch Fehlernährung nicht nur um Inhaltsstoffe wie Salz, Zucker oder Fett gehen sollte, sondern auch um den Verarbeitungsgrad von industriell produzierten Lebensmitteln („ultra-processed food“), darüber berichtete Prof. Dr. Dr. Anja Bosy-Westphal mit einem eindrucksvollen Überblick über die aktuelle Studienlage. Anfangs stellte sie Klassifikationssysteme vor und erläuterte anhand von Studien bekannte Zusammenhänge zwischen einem hohen Konsum solcher Produkte und einem erhöhten Krankheits- bzw. Sterblichkeitsrisiko. Bosy-Westphal verwies zudem darauf, dass statistisch die Hälfte aller in Deutschland konsumierten Lebensmittel diesen Kategorien zugeordnet werden können. Als krankheitsauslösende Mechanismen werden beispielsweise die Matrix, eine weiche Textur, oder attraktive Verpackungen und Zusatzstoffe, die womöglich zu schnellerem Essen und somit zum Überverzehr beitragen könnten, diskutiert, wie auch Auswirkungen auf den Stoffwechsel.
Transformation durch gemeinschaftliches Handeln, Living Labs als Ansatz
Dr. Eleonore Heil nahm das Globale in den Blick. „Aktuell ist die planetare Gesundheit durch das bestehende Ernährungssystem massiv gefährdet“, stellte sie fest. Mithilfe des „One Health“-Ansatzes verdeutlichte Heil, dass eng gestellte Sichtweisen etwa nur auf ökologische Auswirkungen, z.B. Klimawandel, nicht zum Ziel führen. Etwa berücksichtige die „Planetary Health Diet“ der EAT-Lancet Commission relevante soziale Aspekte und Phänomene nicht angemessen. Die Ernährungsversorgung muss jedoch auf allen Ebenen des Alltags betrachtet werden. Sie verdeutlichte dies am Beispiel des veränderten Gemüseverzehrs während der Covid-19-Pandemie, in der sich eine reduzierte Vielfalt und vermehrter Konsum tiefgekühlter Produkte messen ließ. Als erfolgsversprechenden Ansatz zur Arbeit mit Verbrauchenden für nachhaltigeres Handeln stellte Heil das Konzept „Living Labs“ vor. Hier hob sie die Relevanz der Reflexion von individuellen Werthaltungen bezüglich Ernährung hervor. Ebenso erwies sich ein sicherer Umgang mit Zielkonflikten als wichtig, genau wie die Neuorganisation von Handlungen, wie z.B. der eigene Obst- und Gemüseanbau, samt Aushandlungsprozessen. Alles das brauche Zeit, trage aber zur Stärkung des Selbstwirksamkeitsempfindens und somit zur ernährungsbezogenen Resilienz bei.
Ernährungspraktiken funktionieren, sind mit dem Alltag verwoben und resilient gegenüber Veränderungen
Frau Prof. Dr. Jana Rückert-John verwies darauf, dass Wissen in Bezug auf Ernährung überschätzt wird, wohingegen der Einfluss von Ernährungsumgebungen unterschätzt wird. Hinzu kommt, dass Essen zu oft aus dem komplexen Alltag herausgelöst betrachtet wird. Auch Rückert-John gab zu bedenken, dass nicht nur das beobachtete Verhalten, sondern die unterschiedlichen Konsummotive, die Werthaltungen der Menschen, stärker berücksichtigt werden müssen. Zur Begründung führte sie an, dass Ernährung in den Alltag eingebettet ist, stark der Gewohnheit unterliegt und meistens wenig reflektiert wird - vor allem aber würden Praktiken funktionieren. Diese Gründe machen diese Praktiken sehr resistent gegen Veränderungen. Entscheidend ist für den Wandel des Ernährungsalltags, dass Angebote und Strukturen alltagsadäquat sind und der soziokulturellen Vielfalt einer diversen Gesellschaft von heute gerecht werden. Rückert-John betonte: „Ernährung ist auch Genuss, Lust und Freude“. Weiterhin verwies sie auf die Gefahren von Vereinfachungsversuchen im Zusammenhang mit fairer und gesunder Ernährung, da sie „normative Bewertungen und Steuerung mit sich bringen“. Letztlich sei nicht nur der äußere, sondern auch ein innerer Wandel gefragt, dann könne die Neugestaltung von Ernährungsumgebungen eine Chance sein.
Auslagerung, Überlagerung und Verschränkung von Essensräumen: Von der Brotschmierstation und dem Traum von der Kücheninsel
Dr. Julia von Mende berichtete von ihrer empirischen Studie zur Verräumlichung von Essenspraktiken aus doppelter Perspektive: Ihre wissenschaftlich erhobenen Datensätze ergänzte sie mit expliziten Zeichnungen der untersuchten Essensräume. In den Blick nahm von Mende zehn Berliner Haushalte, in allen wurde Essen häufig außer Haus eingenommen und die Orte des Essens einer beschleunigten Lebensweise angepasst. In der Studie, die vor der Covid-19-Pandemie durchgeführt wurde, ließ sich außerdem eine Überlagerung von Privat- und Arbeitswelt feststellen. Küche stelle sich teilweise als Work-Life-Blending mit vielen Varianten dar, wie etwa die gut ausgestattete Büroküche als informeller Mittelpunkt, in der jedoch nie gekocht wird, zeigte. Die eigene Speisenzubereitung und genussvolles Essen sind laut ihrer Studie zur Sehnsuchtsvorstellung geworden, die allenfalls am Wochenende praktiziert werde, betonte von Mende. Vor allem aber spielte Zeit, bzw. das Gefühl des Zeitmangels, bei allen Handlungen rund ums Essen eine dominierende Rolle.
Facetten der Fairness von Ernährungsumgebungen im Prisma von Ernährungsarmut und Ernährungsunsicherheit, oder: wenn Empfehlungen zu Barrieren werden
Dr. Hanna Augustin bekräftigte, dass zwischen materieller und sozialer Ernährungsarmut unterschieden werden muss. Treffender ist nach Augustin der Begriff Ernährungsunsicherheit. Laut der noch unzureichenden Datenlage waren davon im Jahr 2020 rund 4,3% der Bevölkerung betroffen, zudem waren rund 13,4 Millionen Bürger*innen als armutsgefährdet einzustufen. Augustin verdeutlichte, dass der limitierte physische bzw. ökonomische Zugang zu nahrhafter, gesundheitlich sicherer Nahrung für die Betroffenen auch mangelnde alimentäre Teilhabe nach sich zieht. Dass dadurch etwa Mahlzeiten als Mittel zur Pflege sozialer Beziehungen entfallen, wie der Besuch im Café oder Restaurant mit Freunden, belastet von Armut Betroffene oft noch stärker als der Hunger. Augustin bekräftigte, dass im Zusammenhang mit der sozialökologischen Ernährungstransformation nicht nur die Bereitstellung finanzieller Mittel von Nöten ist, denn oft würden die Ressourcen fehlen, die eine kosteneffiziente Ernährung ermöglichen. Deswegen braucht es nicht nur den gesicherten Zugang zu sozialökologisch hochwertigen Lebensmitteln, sondern auch Bildung bzw. Beratung, um mit knappen Budgets „haushalten zu können“.
Verpflegung in Kita und Schule kann mehr als Lernort: Essen ist Kommunikation und schafft soziale Räume
Prof. Dr. Ines Heindl nahm die Teilnehmenden mit in die Lebenswelt Schule. Anhand verschiedener Bottom-up und Top-down-Modelle zeigte sie auf, wie die Stärkung von Ernährungskompetenzen auch zum Aufbau der Kommunikation im sozialen Raum Schule genutzt werden kann. Heindl betonte die Bedeutung einer integrierten Bildungs- und Ernährungspolitik, die die „Allianz zwischen Lern- und Bildungsraum Schule“ berücksichtigt. Eine oft in den Debatten wahrzunehmende Bildungsautorität, wie etwa die herausgelöst geforderte Ernährungskunde im Lehrplan, ist dafür aber keine Option. Denn „das Produkt auf dem Teller verwandelt sich in ein Kulturprodukt“. so bekräftigte Heindl. Mit den Fragen: „Was, Wie, Wann, Wo, mit Wem“ lässt sich Ernährung innerhalb eines geschützten Bildungsraumes verhandeln, und die Schüler*innen getreu der Devise „Mach‘ die gesunde Wahl zu einer leichten Wahl!“ zu nachhaltigeren, gesundheitlich günstigeren Ernährungsweisen befähigen.
Eine Frage der Suffizienz: Gelungene Transformation der Konsummuster ist richtungssicher, einfach und partizipativ
Prof. Dr. Melanie Speck zeigte auf, wie die Ernährungstransformation gelingen kann. Ausgehend von den „planetaren Grenzen“ als Zielgrößen startete sie damit, dass das Reduktionspotenzial durch veränderte Essgewohnheiten in Deutschland bei ca. 49% liegt. Der Wandel ist laut Speck unumgänglich, weil Ernährung - verglichen mit z.B. Wohnen - einfacher und schneller veränderbar ist und als einkommensstarke Nation können Deutsche mehr reduzieren als andere. Laut Speck, die fortwährend aus ihrer Forschungsarbeit berichtete, zeichnet erfolgreiche Ansätze aus, dass sie „richtungssicher, einfach, partizipativ und an der gesamten Wertschöpfungskette orientiert“ sind. Immer muss die ganze Kette, von Produktion bis Konsum, betrachtet und die Effekte auf die Zielgrößen laufend abgeglichen werden. Die Gemeinschaftsgastronomie nannte Speck als besonders „wirksamen Hebel“. Wiederholt hob sie hervor, wie wichtig die Zielsicherheit der Maßnahmen und die Partizipation aller Akteure ist. Speck warnte davor, eine „Wohlfühlnachhaltigkeit“ zu suggerieren. Beim Beispiel Regionalität, die vielleicht sozial, aber ökologisch kein „wirksamer Hebel“ sei, zeigt sich dieser Klärungsbedarf. Genauso kontraproduktiv seien Angriffe auf Akteure wie Produzenten, so Speck, weil die desolate Lage auch durch falsche politische Anreize hervorgerufen worden sei. Dies gilt es nun gezielt und partizipativ anzugehen. Preisliche Steuerung eignet sich ihrer Einschätzung nach als „erster Schritt“, weil sie nur eingeschränkt richtungssicher und nicht partizipativ wirkt.
Wie geht es dem „wirksamen Hebel“ Gemeinschaftsgastronomie? In der Rolle vielfach glänzend, aber durch Fachkräftemangel perspektivisch gefährdet
Auch Prof. Dr. Stephanie Hagspihl verwies auf die zunehmend wichtigere Rolle der Gemeinschaftsgastronomie hinsichtlich fairer und gesunder Ernährungsumgebungen, weil ihre Reichweite sich über alle Lebenswelten erstreckt, oft sogar mit mehreren Mahlzeiten täglich. Aus den unterschiedlichen Anforderungen seitens der Zielgruppen ergibt sich zwar variabler Handlungsspielraum für nachhaltigere Versorgung, doch die größte Herausforderung, und somit potenzielle Barriere des Wandels, ist allen gemein: die gestiegene Nachfrage und ein immer stärkerer Kostendruck für Wareneinsatz und Personal; Problem Nr.1 seien Beschaffung und Entwicklung von Personal. Bezüglich Nachhaltigkeitsaspekten ist viel erreicht, weil die Branche bereits seit Jahren auf den hohen Veränderungsdruck reagiert und Ressourcenschutz auch Einsparpotenzial bedeutet. Allerdings habe sich der Personalmangel infolge der Pandemie nochmals gravierend zugespitzt. Mit Blick auf die Zukunft des „Hebels“ bringen nach Hagspihl aber nicht höhere Entgelte die Lösung. Dringend gebraucht sind die Neuordnung der beruflichen Aus- und Weiterbildung und geeignete Maßnahmen, um Fachkräfte zu gewinnen, im Beruf zu halten bzw. zurückzuholen.
Wie fair und gesund wir heute und in Zukunft essen, zeigt eine umfassende Betrachtung der Essumgebungen im D-A-CH-Raum
Mögliche Ansatzpunkte für eine Ernährungstransformation identifizierte Prof. Dr. Christine Brombach in der EssZuk Studie, die die Ernährungsmuster im D-A-CH-Raum zwischen 2019 und 2021 mit Interviews, Social Media-Analysen und Umfragen umfassend durchleuchtete. Im Hinblick auf die Rolle der Politik als Kontrollinstanz zeigten sich Unterschiede, denn nur die Deutschen verlangten mehr staatliche Regulative. Vor dem Hintergrund einer zu großen Auswahl an Lebensmitteln bestand der einheitliche Wunsch nach einer länderübergreifenden Kennzeichnung. Ähnlich verhielt es sich mit dem Überfluss an Informationen und widersprüchlichen Ernährungsformen, gerade in den Sozialen Medien gebe es Handlungsbedarf. Den kann und sollte man nutzen, so Brombach. Im Hinblick auf Ernährungs- und Bildungspolitik bekräftigte sie wiederholt die Wichtigkeit integrierter Strategien. Mit ihrer Botschaft „wir brauchen alle, alle müssen mitgenommen werden“ betonte sie zudem ebenfalls die Wichtigkeit des Zusammenspiels aller Beteiligten in Bildung, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Fair und gesund geht anders! Die Familie als Ernährungsumgebung, oder: Gender Care Gap meets Gender Pay Gap
Für die Daseinsfürsorge in Deutschland sind nach wie vor überwiegend Frauen zuständig. Damit liegt bei Ihnen auch der Hauptanteil der Ernährungsverantwortung in privaten Haushalten, stellte Prof. Dr. Angela Häußler fest. Die sogenannte Gender Care Gap, die von Frauen immer noch als Ausdruck der Geschlechteridentität gesehen wird, hatte die Pandemie nochmals verschärft. Dazu ergänzte Häußler, dass Frauen durch die Verantwortlichkeit den höheren „Mental Load“ haben und auch die höheren ernährungsbezogenen Normativitätsansprüche von Frauen wirken sich als zusätzliche Belastung aus. Häußler verwies auf die Notwendigkeit, unbezahlte Care-Arbeit gesellschaftlich anzuerkennen: „Hausarbeit wird erst bemerkt, wenn sie nicht gemacht wird“. Aus der Alltagsperspektive kann man Ernährungsumgebungen nicht gesamtgesellschaftlich verallgemeinern. Um fair und gesund realistisch abzubilden müssen auch die wissenschaftlichen Empfehlungen die Positionen aller sozialen Gruppen berücksichtigen. Dem Publikum gab Häußler mit: „Faire Ernährungsumgebungen bewerten bezahlte und unbezahlte Arbeit gleich und schaffen keine neuen Ungleichheiten“.
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