Der Himmel benötigt Schutz genau wie die Erde
Einer aktuellen Studie zufolge benötigt der Weltraum zum Schutz seiner empfindlichen Umwelt dringend einen ähnlichen rechtlichen Schutz wie die Erde, das Meer und die Atmosphäre.
Die Zunahme von Weltraummüll im erdnahen Orbit - etwa 100 Kilometer über der Erdoberfläche -, der durch das rasche Ansteigen von so genannten Mega-Satelliten-Konstellationen verursacht wird, gefährdet dieses wertvolle Ökosystem, so die Forscherinnen und Forscher.
Die Installation dieser riesigen Hardware-Cluster umfasst bis zu Zehntausende einzelner Satelliten, die Breitbandverbindungen für die Erde liefern. Das führt zu einer Überlastung des Weltraums, und die Raketenstarts verschmutzen darüber hinaus die Atmosphäre.
Bruchstücke von zerbrochenen Satelliten, die mit enormer Geschwindigkeit durch den Weltraum fliegen, bedrohen laut der Studie auch andere Satelliten in ihrer Umlaufbahn.
Ebenso stören die Satelliten, die Lichtstreifen am Himmel und damit eine signifikante Lichtverschmutzung verursachen, in zunehmendem Maße die Forschung im optischen Wellenlängenbereich. Das Vera-C.-Rubin-Observatorium in Chile, das über einen Zeitraum von 10 Jahren den Himmel vermessen soll, ist beispielsweise schon stark beeinträchtigt.
Die Zeitschrift „Nature Astronomy“ veröffentlichte nun eine Studie, in der gezeigt wird, dass der Weltraum ein wichtiges Umfeld für die professionelle Astronomie, Amateurastronomie und indigene Völker darstellt und dass der wissenschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Nutzen des Weltraums sorgfältig gegen diese schädlichen Umweltauswirkungen abgewogen werden sollten.
Die unter Leitung der Universität Edinburgh entstandene Forschungsarbeit steht im Zusammenhang mit einem Rechtsfall, der derzeit vor dem US-Berufungsgericht verhandelt wird und einen wichtigen Präzedenzfall in der wachsenden Kampagne für die Ausdehnung des Umweltschutzes auf den Weltraum darstellen wird.
Die Lösung des Problems erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der den Weltraum als Teil der Umwelt und als schützenswertes Gut auf nationaler und internationaler Ebene betrachtet, so die Experten.
Die Forscherinnen und Forscher fordern die politischen Entscheidungsträger auf, die Umweltauswirkungen aller Aspekte von Satellitenkonstellationen - einschließlich ihres Starts, ihres Betriebs und ihres Wiedereintritts aus dem Orbit - zu berücksichtigen und zusammen an einem gemeinsamen, ethischen und nachhaltigen Ansatz für den Weltraum zu arbeiten.
Andy Lawrence, Professor für Astronomie am Institut für Astronomie der Universität Edinburgh und Hauptautor der Studie, sagt: "Wir stehen an einem Wendepunkt in der Geschichte. Wir können eine große Anzahl von Satelliten kostengünstig starten und sie zum Nutzen des Lebens auf der Erde einsetzen - aber das hat seinen Preis. Die Raumfahrtindustrie schadet nicht nur der Sternbeobachtung, sondern könnte sich so auch selbst ins Bein schießen."
Professor Lawrence machte die Öffentlichkeit mit seinem Buch „Losing The Sky“ auf diese Probleme aufmerksam. Die Veröffentlichung führte dazu, dass er eine Expertenaussage für einen Rechtsfall verfasste, der derzeit vor dem US-Berufungsgericht verhandelt wird und in dem argumentiert wird, dass die US-Umweltvorschriften auch für die Genehmigung von Weltraumstarts gelten sollten.
Professor Michael Kramer, Präsident der Astronomischen Gesellschaft, weist darauf hin, dass die Vielzahl von Satelliten nicht nur optische sondern auch radioastronomische Beobachtungen stören. Insbesondere aber sagt er, "Wir brauchen Regeln, die sicherstellen, dass unsere Kinder und Enkel immer noch in der Lage sein werden, das Wunder Sternenhimmel zu bestaunen. Schon jetzt ist es in Deutschland schwierig, diese Erfahrung zu machen. Mit den Mega-Konstellationen besteht die Gefahr, dass es überall auf der Welt unmöglich sein wird.”
Professor Moriba Jah, Mitautor der Studie und außerordentlicher Professor für Luft- und Raumfahrttechnik und technische Mechanik an der University of Texas in Austin, sagt: "Wir glauben, dass alle Dinge miteinander verbunden sind und dass wir Verantwortung übernehmen müssen, als ob unser Leben davon abhinge. Traditionelles ökologisches Wissen ist der Schlüssel zur Lösung dieses schwierigen Problems.“
"Die größte Herausforderung besteht darin, Empathie und Mitgefühl für die Lösung dieser Umweltkrisen zu wecken. Wenn es uns gelingt, innovative Wege zu finden, die es der breiten Öffentlichkeit ermöglichen, sich in diese katastrophale Situation hineinzuversetzen und dagegen angehen zu müssen, dann wird die Erde und alles Leben, das sie erhält, dadurch gewinnen", ergänzt er.
Professor Jah hat kürzlich zusammen mit dem Apple-Mitbegründer Steve Wozniak und dem CEO von Ripcord, Alex Fielding, das Start-up-Unternehmen „Privateer Space“ gegründet. Das Unternehmen verfolgt einen neuartigen Ansatz zur genauen Kartierung von Objekten in der Erdumlaufbahn in nahezu Echtzeit, um die nachhaltige Nutzung des Weltraums durch eine wachsende Zahl von Betreibern zu ermöglichen.
Dr. Meredith Rawls, Mitautorin und Forscherin an der Universität von Washington, sagt: "Das Rubin-Observatorium wird aufgrund seines großen Spiegels und seines weiten Sichtfeldes eine der am stärksten von einer großen Anzahl heller Satelliten betroffenen astronomischen Einrichtungen sein – das sind dieselben Eigenschaften, die es zu einem so bemerkenswerten Motor für Entdeckungen machen. Ich mache mir viele Gedanken darüber, wie sich Satellitenstreifen auf die Wissenschaft auswirken, aber das Anliegen eines dunklen und ruhigen Himmels ist sehr viel umfangreicher.“
"Wir müssen alle an einem Strang ziehen, um die sich rasch verändernde Satellitensituation zu bewältigen, wenn wir hoffen wollen, eine Zukunft mit einem dunklen und ruhigen Himmel für alle zu schaffen", schließt sie.
Dr. Rawls ist eine Hauptakteurin des neuen Zentrums der Internationalen Astronomischen Union (IAU) für den Schutz des dunklen und ruhigen Himmels vor Störungen durch Satellitenkonstellationen, das die Interessengruppen für Himmelsbeobachtungen zusammenbringen soll, um gemeinsam die Auswirkungen von Satelliten zu quantifizieren und zu deren Abschwächung beizutragen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Michael Kramer
Präsident, Astronomische Gesellschaft
Telefon: +49 228 525 278
praesident@astronomische-gesellschaft.de
Originalpublikation:
Nature Astronomy Artikel: https://www.nature.com/articles/s41550-022-01655-6
Weitere Informationen:
https://www.iau.org/science/scientific_bodies/centres/CPS/
https://mission.privateer.com/