Forschungsinstitut Point Alpha e.V.: Kalter Krieg, Grenzen, Demokratie und globale Ordnung
Im jüngst eröffneten Forschungsinstitut Point Alpha e.V. wollen Forschende der Hochschule Fulda und der Universität Erfurt durch einen disziplinübergreifenden Ansatz neue Erkenntnisse zum Kalten Krieg, dem Leben im Schatten der Grenze und der Demokratie in der globalen Ordnung gewinnen. Dabei geht es nicht nur um die historischen Prozesse, sondern auch um deren gesellschaftliche, politische und kulturelle Folgen für Gegenwart und Zukunft. Wie aktuell die Themen sind, zeigt der Ukrainekrieg.
Der ehemalige US-Stützpunkt Point Alpha an der heutigen hessisch-thüringischen Landesgrenze galt einst als „heißester Punkt“ des Kalten Krieges. Hier standen sich die liberalen Demokratien des Westens und der real existierende Sozialismus in Osteuropa gegenüber; hier war Deutschland geteilt; hier wurde beiderseits das Grenzregime durchgesetzt. An Point Alpha liefen politische und gesellschaftliche Konfliktlinien zusammen. Die Folgen sind noch heute spürbar.
Wie prägt der Kalte Krieg die deutsche und europäische Gegenwart? Welche Spuren haben die unterschiedlichen „Besatzungsgeschichten“ im kollektiven Gedächtnis hinterlassen? Was bedeutete es, an einer mit einem globalen Konflikt verknüpften Grenze zu leben? Und was bleibt von einer Grenze, wenn sie ihre Bedeutung und Macht verliert? Wie beeinflussen die Spaltungslinien des Kalten Krieges heute europäische und globale Konflikte? Und wie lässt sich die demokratische Praxis stärken?
Auf solche Fragen will das Forschungsinstitut Point Alpha e.V. ausgehend vom Geschichts- und Erinnerungsort Point Alpha Antworten geben. Drei Forschungsfelder sind definiert. Sie werden von den Mitgliedern des Geschäftsführenden Direktoriums verantwortet:
- Prof. Dr. Philipp Gassert, Universität Mannheim. Stiftung Point Alpha: Kalter Krieg in Geschichte und Gegenwart
- Prof. Dr. Christiane Kuller, Universität Erfurt: Border Studies
- Prof. Dr. Claudia Wiesner, Hochschule Fulda: Demokratie in der Globalen Ordnung
Systemkonkurrenz – unerwartet aktuell
„Das Institut ist hoch relevant, weil es an einem früheren Konfrontationspunkt des Kalten Kriegs die aktuell brennenden Fragen zur globalen Ordnung und Demokratie interdisziplinär erforscht und diskutiert“, sagt Institutssprecherin Professorin Dr. Claudia Wiesner, die an der Hochschule Fulda einen Jean Monnet Chair innehat und zur europäischen Integration forscht. „Der Ukrainekrieg macht die Forschungsthemen des Instituts – Kalter Krieg, Grenzen, Demokratie und Globale Ordnung – unmittelbar wissenschaftlich und gesellschaftlich relevant.“ Er zeige, dass sich die Folgen der Systemkonkurrenz, die das 20. Jahrhundert prägten, bis heute fortschrieben. In Europa würden wieder Grenzen verschoben und Ideologien gegeneinandergestellt.
Deutsche Teilung – noch immer spürbar
An Point Alpha manifestierte sich zudem die deutsche Teilung mit allen Implikationen, dem autoritären Grenzregime der DDR und dem problematischen Verhältnis beider deutscher Staaten mit unmittelbaren Folgen für die Menschen in Deutschland. „In der Gegenwart schreibt sich diese Teilung fort, wie die Ergebnisse der letzten Bundestagswahl gerade in Thüringen eindrücklich belegen“, sagt Professorin Wiesner. Die Empirie zeige, dass Ostdeutsche kritischer gegenüber der historisch vom Westen geprägten aktuellen Gestalt der repräsentativen Demokratie eingestellt seien als Westdeutsche, und dass sie in höherem Ausmaß nichtdemokratische Parteien wählen.
Grenzsituationen – neue, gewaltvolle Realität
Sichtbar sind an Point Alpha auch noch die Spuren, die das Leben in der Grenzregion hinterlassen hat. Zeitzeugen verdeutlichen eindrücklich, wie die Grenzsituation das Leben der Menschen in der Region geprägt hat. „Bis heute bleibt hier die Geschichte der Teilung sichtbar und gemahnt uns an die Aktualität dieser historischen Erfahrung“, so Professorin Wieser. „Denn bis heute sind Teilung und Grenzen an vielen Orten auf der Welt immer noch die tragische und gegenwärtige Realität.“ Auch diese Realität erhalte mit dem Ukrainekrieg eine konkrete, gewaltvolle Aktualität.
Über Grenzen hinweg und im Dialog mit der Öffentlichkeit
Aufgrund seiner landesgrenzen- und hochschulübergreifenden Ausrichtung ist das Forschungsinstitut Point Alpha e.V. ein Pilotprojekt. Es will aber auch Maßstäbe bei der disziplinübergreifenden Zusammenarbeit setzen: „Wir wollen einen systematischen Austausch zwischen Vertreter*innen aus verschiedenen Fachdisziplinen vorantreiben und vor allem das eingeschlafene Gespräch zwischen historischen Wissenschaften und den politik- und sozialwissenschaftlichen Fächern programmatisch erneuern“, so Professorin Wiesner.
Die Wissenschaftler*innen gehen zudem ins Gespräch mit der Gesellschaft. Forschungsfragen und innovative Perspektiven zu Demokratie, Kaltem Krieg, und Grenzerfahrungen sowie zur Erinnerung an das SED-Unrecht werden sie im Austausch mit politischen Vertreter*innen wie der interessierten Öffentlichkeit entwickeln. Neben verschiedenen Fachveranstaltungen stehen daher auch Bürgergespräche und Citizen-Science-Formate auf dem Programm.
Das Forschungsinstitut Point Alpha e.V. wurde von der Point Alpha Stiftung, der Hochschule Fulda, Wissenschaftlerinnen der Universität Erfurt sowie der Stadt Geisa im Sommer 2021 gegründet. Anfang Mai 2022 hat es offiziell seine Arbeit aufgenommen. Gefördert wird es aus Mitteln des Landes Thüringen und der Hochschule Fulda.
Mehr Informationen: https://www.hs-fulda.de/sozial-kulturwissenschaften/forschung-und-projekte/forschungsinstitut-point-alpha-ev
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Claudia Wiesner, Hochschule Fulda
Sprecherin des Geschäftsführenden Direktoriums des Forschungsinstituts Point Alpha e.V.
Kontakt: claudia.wiesner@sk.hs-fulda.de
Weitere Informationen:
https://www.hs-fulda.de/unsere-hochschule/alle-meldungen/meldungsvorschau?no_cache=1&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Bnews_preview%5D=5246&cHash=1c62bf69a0feb948b0e7aed44fa364c0 - Zur Auftaktveranstaltung
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