Fund in 20 Millionen Jahre altem Bernstein: Neue Ameisengattung nach DESY benannt
In einem rund 20 Millionen Jahre alten Stück Bernstein hat ein internationales Forscherteam unter Leitung der Friedrich-Schiller-Universität Jena eine bislang unbekannte Ur-Ameise identifiziert. Das Team hatte mit DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III an der vom Helmholtz-Zentrum Hereon betriebenen Messstation P05 die gut erhaltenen fossilen Überreste von 13 individuellen Tieren untersucht. Die Entdeckung begründet eine neue Ameisengattung. Mit dem wissenschaftlichen Namen †Desyopone hereon gen. et sp. nov. ehren die Entdecker die beiden Forschungseinrichtungen DESY und Hereon, die mit modernen Bildgebungsverfahren erheblich zu diesem Fund beigetragen hätten.
In einem rund 20 Millionen Jahre alten Stück Bernstein hat ein internationales Forscherteam unter Leitung der Friedrich-Schiller-Universität Jena eine bislang unbekannte Ur-Ameise identifiziert. Das Team hatte mit DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III an der vom Helmholtz-Zentrum Hereon betriebenen Messstation P05 die gut erhaltenen fossilen Überreste von 13 individuellen Tieren untersucht und erkannt, dass sie keiner bekannten Art zugerechnet werden können. Die neue Art begründet sogar eine komplette neue Gattung der Ur-Ameisen, wie die Wissenschaftler der Universitäten Jena, Rennes (Frankreich) und Danzig (Polen) sowie des Hereon im Fachblatt „Insects“ berichten. Die neue Gattung wurde nach DESY benannt, die neue Art nach Hereon: Mit dem wissenschaftlichen Namen †Desyopone hereon gen. et sp. nov. honorieren die Entdecker die beiden Forschungseinrichtungen, die mit modernen Bildgebungsverfahren erheblich zu diesem Fund beigetragen hätten.
„Es ist eine große Ehre, dass DESY Namenspate der neuen Ur-Ameisengattung ist“, betont der wissenschaftliche Leiter von PETRA III, DESY-Forscher Christian Schroer, der nicht Mitglied des Entdeckerteams ist. „Und wir freuen uns, dass wir mit unserer Anlage das brillante Röntgenlicht für solche hochklassige Forschung liefern können.“ PETRA III ist ein Teilchenbeschleuniger, der schnelle Elektronen gezielt auf Schlingerbahnen schickt, wo sie stark gebündeltes Röntgenlicht aussenden, mit dem sich feinste Details verschiedenster Proben untersuchen lassen.
Erste anatomische Vergleiche der fossilen Ameisen hatten nahegelegt, dass es sich um eine Art der Aneuretinae handelt, einer fast ganz ausgestorbenen Unterfamilie der Ameisen, die bisher nur durch Fossilien und eine einzige lebende Art aus Sri Lanka bekannt ist. Doch dank der hochauflösenden 3D-Röntgenbilder, die an der Hereon-Messstation an PETRA III gewonnen wurden, mussten die Forscher diese These revidieren: „Das komplexe Taillensegment und die großen aber rudimentären Mandibeln, die Mundwerkzeuge, sind uns eher von den Ponerinae bekannt, einer dominanten Gruppe räuberischer Ameisen“, sagt Hauptautor Brendon Boudinot, der derzeit im Rahmen eines Humboldt-Forschungsstipendiums an der Universität Jena arbeitet. „Deshalb ordnen wir die neue Art und Gattung dieser Unterfamilie zu, auch wenn sie darin eine bisher einzigartige Gestalt aufweist, da die lange Taille und der ansonsten nicht eingeschnürte Hinterleib eher an die Aneuretinae erinnern.“
Auch die Datierung des Fundes stellte die Wissenschaftler vor einige Herausforderungen, denn der Bernstein aus Äthiopien ist ebenso einzigartig wie sein Innenleben. „Das Stück mit diesen Ameisen stammt aus dem bisher einzigen bekannten Bernsteinvorkommen aus Afrika, das fossile Organismen in Einschlüssen aufweist. Überhaupt gibt es nur wenige fossile Insekten von diesem Kontinent“, berichtet Ko-Autor Vincent Perrichot von der Universität Rennes. „Zwar wird der Bernstein in der Region schon seit langen von Einheimischen als Schmuck verwendet, seine wissenschaftliche Bedeutung offenbart sich den Forschern aber erst seit etwa zehn Jahren. Das Exemplar bietet deshalb den derzeit einmaligen Einblick in ein uraltes Waldökosystem in Afrika.“ Der Bernstein stammt demnach aus dem frühen Miozän und ist 16 bis 23 Millionen Jahre alt. Eine Datierung sei nur indirekt durch die Altersbestimmung der fossilen, im Bernstein eingeschlossenen Sporen und Pollen möglich gewesen.
Forschungsergebnisse wie diese sind nur durch den Einsatz modernster Technik möglich. Da Fossilien in der Regel kein intaktes Erbgut für eine Genanalyse mehr enthalten, werden sie oft anhand der Details von Körperform und -merkmalen klassifiziert. Die untersuchten Ameisen sind allerdings nur 3 bis 3,5 Millimeter lang. Daher nutzte das Team die Technik der Mikro-Computertomographie (µCT) an der Hereon-Messstation, um mit dem extrem brillanten Röntgenlicht von PETRA III hochaufgelöste 3D-Röntgenbilder der einzelnen Ameisen zu gewinnen. Auf den Bildern lassen sich noch Details von der Größe eines tausendstel Millimeters erkennen.
„Da die zu untersuchenden im Bernstein eingeschlossenen Ameisen sehr klein sind und bei der klassischen CT nur einen sehr schwachen Kontrast zeigen, haben wir die CT an unserer Messstation durchgeführt, die auf solche Mikro-Tomographie spezialisiert ist“, erklärt Ko-Autor Jörg Hammel vom Helmholtz-Zentrum Hereon. „So erhielten die Forschenden einen Stapel von Bildern, die im Prinzip die untersuchte Probe scheibchenweise abbilden.“ Zusammengesetzt ergaben diese dann detaillierte dreidimensionale Abbildungen der inneren Struktur der Tiere, anhand derer sich die Anatomie genau nachvollziehen lässt. Nur so ließen sich die Details genau erkennen, die schließlich zur Bestimmung der neuen Art und Gattung führten.
Ameisen gibt es nach aktuellem Wissen seit rund 140 Millionen Jahren. Bis heute sind etwa 14 000 lebende und 763 ausgestorbene Arten beschrieben worden. Sie gehören zu rund 350 lebenden und 167 ausgestorbenen Gattungen. Desyopone hereon ist die 764. ausgestorbene Art und die bislang einzige der neuen (168.) ausgestorbenen Gattung. Es sei jedoch denkbar, dass eine noch existierende Art der neuen Gattung Desyopone einmal irgendwo in Afrika entdeckt werde, schreiben die Forscher. Ein entsprechendes Beispiel gebe es von einer südamerikanischen Ameisengattung. „Desyopone könnte also noch irgendwo dort draußen sein“, sagt Boudinot.
DESY zählt zu den weltweit führenden Teilchenbeschleuniger-Zentren und erforscht die Struktur und Funktion von Materie – vom Wechselspiel kleinster Elementarteilchen, dem Verhalten neuartiger Nanowerkstoffe und lebenswichtiger Biomoleküle bis hin zu den großen Rätseln des Universums. Die Teilchenbeschleuniger und die Nachweisinstrumente, die DESY an seinen Standorten in Hamburg und Zeuthen entwickelt und baut, sind einzigartige Werkzeuge für die Forschung: Sie erzeugen das stärkste Röntgenlicht der Welt, bringen Teilchen auf Rekordenergien und öffnen neue Fenster ins Universum. DESY ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands, und wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent von den Ländern Hamburg und Brandenburg finanziert.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Brendon E. Boudinot
Friedrich-Schiller-Universität Jena
+49 3641 9-49181
boudinotb@gmail.com
Dr. Jörg U. Hammel
Helmholtz-Zentrum Hereon
+49 40 8998-5303
joerg.hammel@hereon.de
Originalpublikation:
Originalveröffentlichung:
Genomic-phenomic reciprocal illumination: †Desyopone hereon gen. et sp. nov., an exceptional aneuretine-like fossil ant from Ethiopian amber (Hymenoptera: Formicidae: Ponerinae); Brendon E. Boudinot, Adrian K. Richter, Jörg U. Hammel, Jacek Szwedo, Błażej Bojarski, Vincent Perrichot; „Insects“, 2022; DOI: https://dx.doi.org/10.3390/insects13090796
Weitere Informationen:
https://www.desy.de/aktuelles/news_suche/index_ger.html?openDirectAnchor=2365&two_columns=1 - Pressemitteilung mit Bildmaterial im Web