Wenn Menschen gestikulieren, aktivieren sie eine uralte Verbindung zwischen Bewegung und Atmung
Forscher:innen der Radboud Universität und des ZAS Berlin haben eine neue Perspektive entwickelt, warum Menschen ihre Hände beim Sprechen oft rhythmisch bewegen. Die in der Fachzeitschrift Neuroscience and Biobehavioral Reviews veröffentlichte Sichtweise basiert auf der Beobachtung, dass es auffällige Beziehungen zwischen dem Verhalten von Tieren und Menschen gibt, wenn man das Zusammenspiel von Lauten und Bewegung betrachtet. So synchronisieren beispielsweise fliegende Fledermäuse ihre Echo ortenden Laute und ihre Flügelschläge, was Parallelen dazu aufweist, wie Menschen die akustischen Merkmale ihrer Stimme und Bewegungen ihrer oberen Gliedmaßen synchronisieren.
"Wenn eine Fledermaus beim Fliegen eine Echoortung vornimmt, führen die Muskelkontraktionen zur Erzeugung der Flügelschläge auch zu einer geringen Kompression der Lungen. Es wird für die Fledermaus ökonomischer, ihre Laute in bestimmten Momenten des Flügelschlags zu erzeugen, was zu einer Synchronisierung führt", sagt der Forscher Wim Pouw vom Donders Center for Brain, Cognition, and Behaviour. Dr. Pouw und seine Kollegin Dr. Susanne Fuchs vom Leibniz-Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS) vermuten, dass dies vergleichbar ist mit dem, was passiert, wenn Menschen rhythmische Handgesten produzieren. Frühere Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass diese Handgesten Bewegungen des Brustkorbs beeinflussen, das Volumen der Lungen leicht verändern und somit auch Aspekte der Stimme prägen.
"Als wir anfingen verschiedene Forschungsarbeiten zu studieren, waren wir erstaunt, wie häufig Tiere ihre Lautäußerungen mit Bewegungen koordinieren. Wir kamen zu der Vermutung, dass die Kopplung von Bewegung und Lautäußerung für die Entwicklung Letzterer sehr wichtig sein könnte", sagt Susanne Fuchs. Bei einer bestimmten Vogelart haben zum Beispiel noch flugunfähige Küken eine sehr typische Lautäußerung. Die Qualität der Lautäußerungen ändert sich jedoch drastisch, wenn die Küken beginnen, ihre Flügel im Nest zu benutzen, um das Fliegen zu üben. Ab dem Zeitpunkt, wo sie ihre Flügel zum Fliegen benutzen, ähnelt ihr Gesang dem der erwachsenen Vögel." Das ist genau das, was man bei Säuglingen im Alter von etwa 9 Monaten findet!”, sagt Dr. Pouw. "Wenn Säuglinge beginnen, rhythmisch mit ihren Händen zu "plappern", um ihre Welt zu erkunden, beginnen sie auch in Form von Silbenwiederholungen wie Mama oder Papa zu "plappern". Rhythmische Bewegungen könnten also schon sehr früh mit der Stimme verbunden sein, was erklärt, warum Bewegung und Laute so grundlegend miteinander verbunden sind.
Diese neue Sichtweise, wie Gesten über die Wechselwirkung mit der Atmung und Stimme zusammenhängen, liefert eine Antwort auf die Frage, warum die Menschen begannen, beim Sprechen ihre Hände zu bewegen: Diese Systeme haben im Laufe der Evolution physisch interagiert. Die Entwicklung spiegelt sich in gewisser Weise in Säuglingen wider, die lernen, sich zu bewegen und gleichzeitig zu sprechen. "Viele Kommunikationsforscher:innen glauben, dass manuelle Gesten dazu dienten, Dinge zu zeigen", sagt Dr. Pouw, "aber wir glauben, dass dies nicht die ganze Geschichte ist – in gewisser Weise sind Gesten auch Teil dessen, was es für den Menschen bedeutet zu sprechen, nämlich, dass Sprechen keine passive Angelegenheit ist, sondern ein Orchester von Bewegungen, um Bedeutung zu erzeugen".
Das Donders Institute for Brain, Cognition and Behaviour an der Radboud Universität ist ein Forschungszentrum von Weltrang, das sich dem Verständnis der mechanistischen Grundlagen der menschlichen Kognition und des Verhaltens bei Gesundheit und Krankheit widmet. Das Institut beherbergt mehr als 600 Forscher aus 35 Ländern, die das gemeinsame Ziel verfolgen, durch forschungsorientierte Forschung einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Gehirn-, Kognitions- und Verhaltenswissenschaften zu leisten und durch die Anwendung von Fortschritten in diesem Bereich Gesundheit, Bildung und Technologie zu verbessern.
Das Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS) ist ein außeruniversitäres Forschungsinstitut des Landes Berlin. Aufgabe des Zentrums ist die Erforschung der menschlichen Sprachfähigkeit im Allgemeinen und deren Ausprägung in Einzelsprachen. Ziel ist, diese zentrale Fähigkeit des Menschen und ihre biologischen, kognitiven und sozialen Faktoren besser zu verstehen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Wim Pouw: wim.pouw@donders.ru.nl, Tel: 0031630030071
Dr. Susanne Fuchs: fuchs@leibniz-zas.de, Tel: 004917646184175
Originalpublikation:
Pouw, W. & Fuchs, S. "Origins of vocal-entangled gesture." In: Neuroscience & Biobehavioral Reviews. https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2022.104836