Der Tod von Queen Elisabeth II. als soziales Weltereignis – Interview mit Prof. Dr. Marcel Schütz
Der Tod von Queen Elisabeth II. hat enorme Resonanz nach sich gezogen. Wie wird so etwas überhaupt zum Weltereignis und wie erklärt sich die große Popularität der Königin in einer Zeit, die kaum mehr ihre gewesen ist? — Ein Gespräch mit dem Sozialforscher Prof. Dr. Marcel Schütz, der sich an der NBS Northern Business School u. a. mit der gesellschaftlichen Bedeutung von Organisations- und Führungsstrukturen befasst.
Herr Professor Schütz, können Sie sich erinnern, wo Sie waren, als der Tod der Königin bekannt wurde?
Ja, ich kam von unserer Dozentenkonferenz. Auf der Zugfahrt gab es Meldungen, es stehe um sie schlecht. Und kaum war ich die Tür reingekommen, hieß es, sie sei tot. Das fand ich auf eigentümliche Weise unglaublich, surreal sagten manche, und ich denke, ich werde das immer genau erinnern – wie vermutlich viele andere. So wie zwei vergleichbare Momente. Natürlich der 11. September. Und ebenso, vor 25 Jahren, morgens im Kinderfernsehen, die Eilmeldung vom Unfalltod der Lady Diana in der Nacht.
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Die Beerdigung von Lady Diana war ein bis dahin unerreichtes Medienereignis.
Ja, das war in der medialen Verfertigung und im ganzen Drama drumherum die größte Trauerveranstaltung um eine einzelne Person. Ein Weltmoment, ein Untergang der Titanic. Jeder hat noch Elton John vor Augen, diesen Song, die Kirche, den Trauermarsch der Familie. Dazu die Unfallbilder im Pariser Tunnel. Schon bemerkenswert, wie sich diese Geschichte eingebrannt hat. So ein „junger“ Tod, und nun so ein „alter“, was ein Kontrast bei im Grunde ähnlichen Wirkungen.
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Selbst mit dem Tod der Queen hat man offenbar nicht gerechnet?
Weil man fast vergisst, dass auch eine Jahrhundertfigur mal stirbt. Je älter sie wurde, desto beliebter wurde sie. Und halb im Scherz dachte man ja ein bisschen, sie würde uns alle überleben. Dass das unglaublich erscheint, hat mit einem Reiz, einer Ausstrahlung zu tun, was ein Redakteur die Tage treffend in Worte brachte: Omnipräsent und doch im Hintergrund. Das war die Queen. Und das weicht ab von dem, was man mit Stars und Promis, den lauten, reichen, protzig-schrillen Leuten, üblicherweise verbindet.
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Die Bezeichnung „Jahrhundertfigur“, so nannte sie der Bundeskanzler, passt also?
Passt perfekt. Aber da gibt es einen Gag. Es ist nicht mehr unser Jahrhundert. Die Queen war eher ein Relikt des 20. Jahrhunderts. Alle großen Frauen und Männer der Politik, mit denen sie zu tun hatte, sind längst tot. Vielleicht darf man es atmosphärisch sagen: So einer Figur gesteht man zu, noch was länger „zu bleiben“ und Respekt zu zollen. Kontinuitätssinn eben. Auch wenn die Welt sich weitergedreht hat. Außerdem war sie die ewige Großmutter. Da hat man quasi generelles Bleiberecht.
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Man kennt die Bilder mit ihren Hüten und dem strahlenden Gesicht bis zum Schluss. Geht es bei der Queen um Personenkult, der in so oberflächliche Dinge reicht?
Es geht sehr um Optik. Das gehört zum Stil der Monarchie. Das Auge „herrscht“ mit. Die große Faszination für die Königin lag in der Aura einer – wenn das zu sagen hier gestattet ist – Bilderbuchoma. Ihr Habitus wurde ikonisch. Das Lächeln, das schneeweiße Haar, der altersschwere Gang in den letzten Jahrzehnten. Kaum wer mag wissen, wer dieser Mensch wirklich war. Aber sie war eines sicher: eine absolute Marke.
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In die Richtung kann man einige Stimmen hören, die einem die Tage begegnen.
Ich habe oft ältere Menschen über die Königsfamilie reden hören. Wie sich das bei älteren Menschen gehört. Klatsch und Tratsch vom Hofe. Und irgendwie, in gewissem Sinne, sind ältere elegantere Leute aus dem einfachen Volk ein wenig wie diese Elisabeth – und sie wie sie. Zumindest kann man das vermuten. Und dahingehend eine Identifikation pflegen. Präsident Biden sagte, sie habe ihn an seine Mutter erinnert. Und mich erinnert sie seit frühester Kindheit an meine vor vielen Jahren verstorbene Uroma. Das zeigt schon, in der Frau sieht man offenbar schnell etwas sehr Persönliches.
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Dazu ihr Ruf, öffentlich immer die Fassung zu wahren, was nicht allen in ihrer Familie gelang. Es gibt die berühmte Szene mit Donald Trump im Garten. Er versteht das Protokoll nicht und sie navigiert ihn neben sich her.
Vielleicht war nichts so schrullig wie ihre vornehm-altmodische Art, diese Handtäschchen zu tragen. Und, wenn wer nicht spurte und wenn es wem an monarchischer Protokollfähigkeit mangelte, beherrscht mit Arm und Tasche rumzufuchteln. Ganz die alte Zeit – Form und Disziplin!
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Kommen wir auf die Resonanz, die aus all dem folgt. Wir sprachen von einer Jahrhundert- oder Weltfigur. So eine Weltfigur braucht eine Weltbühne…
Posthum übersteigt die Weltbühne dieser Frau alles, was man in 70 Jahren ihr zu Ehren veranstaltet hat. Mal abgesehen von der Krönung. Könige waren bzw. sind groß, wenn sie installiert werden und vielleicht noch größer, wenn sie sterben. Der Mythos wird jetzt nicht geboren, er wird vollendet, bekommt die letzte Würze. Das ist der sichere Platz im Geschichtsbuch des Jahrtausends – eine halbe Ewigkeit. Mehr Weltbühne geht nicht.
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Welche Rolle spielen da die Medien?
Medien lieben diese Momente. Es sind ihre Sternstunden. Sie verleihen dem Ereignis nämlich buchstäblich Flügel. Sie machen daraus das epochale Ereignis. Es gibt die Beisetzung. Aber alles, was da geschieht, ist durchgeplant und wird erst über Kameras und Kommentare durch die Welt gehen. Eigentlich müsste man sagen: auf die Welt kommen. Dass es live und an einem festen Ort geschieht, ist sehr wichtig. Man ist, wie es anderswo heißt, mittendrin statt nur dabei.
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Der Tod der Queen fällt in eine Zeit, die man permanent mit „Krise“ überschreibt. Die 20er Jahre dieses Jahrhunderts scheinen ihren Ruf schon weg zu haben. Hat das einen Einfluss darauf, wie so ein Ableben wahrgenommen wird?
Ich denke auf jeden Fall. Zufällig prägt das Wort „Zeitenwende“ unser Jahr. Erst Seuche, dann Krieg und jetzt stirbt noch die Queen – so denkt manch einer spontan. Diese Trauer bekäme sie auch ohne Pandemie und Krieg, die damit auf den ersten Blick gar nichts zu tun haben. Aber auf den zweiten Blick – das klingt vielleicht makaber – ist der Tod fast schon wieder eine Abwechslung, etwas Normales aus alten Zeiten, überhaupt was, das nichts mit Politik und Gaspreisen und Beschränkungen zu tun hat. Historiker können sowas an anderen Beispielen gut nachzeichnen, wie bestimmte Ereignisse der Vergangenheit sich mit anderen überlagerten, zwischen ihnen gewissermaßen hereinbrachen, und das dann Einfluss hatte auf das öffentliche Bewusstsein.
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Es gibt Berichte, dass wildfremde Leute in tiefe Trauer fielen und sich weinend anriefen. Ist das nicht übertrieben?
Das fragt man sich. Und es gab sogar Artikel, in denen Gründe genannt wurden, warum Trauer unangebracht sei. Die Verstrickung der Monarchie in den Kolonialismus. Inhumane Unterdrückung, Gräuel. Das lässt sich nicht wegreden, aber man kann Mitleid und Ergriffenheit schwer rational steuern, das Vergangene vor langer Zeit nicht einfach „objektiv“ über die starken Eindrücke jetzt legen. Wenn jemand heute um die Königin weint, nimmt er sich das nicht vor. Es passiert. Die Emotionen der Menschen sind unergründlich.
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Und um was weint man da? Vielleicht doch um den Verlust einer Verbindung in die Vergangenheit, die symbolisch was hermachte?
Auf jeden Fall. Das sind Empfindungen, die man nicht ausdiskutieren kann. Markant ist sicher, dass so intime, fast schon familiäre Trauergefühle durch so ein dem eigenen Leben fernes Ereignis ausgelöst werden. Aber so funktioniert die Identifikation mit großen Persönlichkeiten. Mitunter gerade weil man sie nur geglättet dargestellt kennt, darin ein Vorbild sah. Und davon muss man nun Abschied nehmen. Schade. Und es könnte ja die eigene Familie sein, die eigene Großmutter. Ein derart langes Leben, und dann ist auf einen Schlag alles vorbei. Das stimmt nachdenklich. So schnell geht das also.
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Monarchien stehen in der Kritik. Ist das nicht eine aus der Zeit gefallene Institution, die eigentlich nur noch zu solchen Zeremonien gebraucht wird?
Ich glaube, hier gibt es keine einfache Antwort. Institutionen leben ein Stück weit vom Zauber, immer aus der Zeit gefallen zu sein, selbstverständlich zu gelten, auch wenn man gute Gründe kennt, sie anzuzweifeln oder abzuschaffen. Ähnlich ist es mit der Kirche. Die mit der Monarchie viel Austausch an Formen und Prunk hatte. Moderne Monarchien, wie wir sie in Großbritannien, Skandinavien oder Spanien kennen, sind heute ein repräsentatives Mittelding aus Staat im Staat und Familienbetrieb. Natürlich ein sehr besonderer. „Soft Power“ sozusagen. Ihre Mitglieder haben sich in der breiteren Gesellschaft niedergelassen. Sie sind ein Stück verbürgerlicht.
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Und pflegen dort mit klangvollen Namen ihre Netzwerke?
Sicher. Das wird wiederum von anderen Institutionen, Politik und Wirtschaft auch geschätzt, da geschichtsträchtige Traditionen für Seriosität stehen und die Familien ein kulturelles Kapital einbringen. Ob das sein muss, ist eine normative Frage. In Deutschland hat man dazu nicht viel zu sagen. Andere Länder, andere Sitten. Unsere Monarchie ist in den Wirren von 1918 Knall auf Fall untergegangen. Allerdings haben wir ein Staatsoberhaupt, das als „Ersatzmonarch“ geschaffen wurde. Vorläufer war letztlich der Kaiser. Man vergisst, dass alle entmonarchisierten Staaten sich ein gewisses altes Zeremoniell erhalten. Selbst die USA, deren Präsident die ehemals britische Krone ersetzte. Jedes noch so fortschrittliche Land will seinen Stolz kontinuieren, auch waschechte Demokraten sind für ein wenig Glamour und Pathos empfänglich. Gehört dazu.
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Wird die Monarchie denn jetzt eher geschwächt oder gestärkt?
Ich bin kein Adelsexperte, aber wenn nicht alles täuscht, könnte der neue König schlechtere Presse haben. Die Anteilnahme der Briten ist stark. Sicher nicht überall auf der Insel. Schon gar nicht im ganzen Commonwealth. Aber ich würde nicht darauf setzen, dass im Mutterland irgendwer Wichtiges absehbar die Monarchie beseitigen will. Neuer König, neuer Stil, frischer Wind. Da kriegt man erstmal Kredit. Und die nächste Generation steht bereit. Bei uns mag man sich fragen, ob die Briten momentan keine anderen Sorgen haben. Aber dort ist das eben ein Thema nationaler Identität.
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Werden Sie sich die Beisetzung anschauen?
Ich denke, um Ausschnitte wird man kaum herumkommen. Man ist doch neugierig auf die Bilder, die Choreografie, die Inszenierung. Und da sind wir bei dem Punkt von vorhin: Man stellt sich nicht groß die Frage, wie man das alles finden soll. Bei einem Weltereignis muss man im Zweifel einfach hinsehen. Die majestätische Szenerie ist nicht der Ort und Zeitpunkt für langes Nachdenken, sondern des kurzen Rauschs.
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Prof. Dr. Marcel Schütz bekleidet die Stiftungsprofessur Organisation und Management an der NBS Northern Business School: https://www.nbs.de/forschung/professorinnen-und-professoren/forschungsprofessur-orgman
E-Mail: schuetz@nbs.de