Studie an australischem „ant-slayer“: Spinne fängt gefährliche Beute mithilfe akrobatischer Jagdstrategie
Erstmalig hat ein Forschungsteam unter Beteiligung des Fachbereichs Biologie der Universität Hamburg mithilfe detaillierter Verhaltensanalysen gezeigt, wie die australische Spinne Euryopis umbilicata (ant-slayer) wesentlich größere und wehrhafte Beute erlegt: Die Jagdtechnik besteht aus einem akrobatischen Angriff gefolgt von einer Sequenz, in der die Beute eingesponnen wird. Der Fang läuft innerhalb von Sekundenbruchteilen ab. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)“ erschienen.
Die Australische Kugelspinne Euryopis umbilicata lebt auf den Stämmen von Eukalyptusbäumen und versteckt sich tagsüber unter der Rinde. In der Abenddämmerung taucht sie auf, um am Stamm des Baumes zu jagen. Verhaltensanalysen von Forschenden aus Deutschland und Australien zeigen nun detailliert, wie diese Spinnenart mithilfe ihrer Jagdtechnik viel größere und sehr wehrhafte Camponotus-Ameisen erbeuten kann, ohne selbst zum Opfer zu werden.
Dazu beobachtete das Team viele Nächte lang Spinnen an mehreren Bäumen und fand, dass bis zu neun Individuen aktiv auf einem einzigen Baum jagten. „Erstaunlicherweise bestanden fast alle Beutestücke ausschließlich aus Ameisen der Art, Camponotus consobrinus. Eine solch extreme Beutespezialisierung wie bei dieser Spinne ist ungewöhnlich, da sich Raubtiere in der Regel von verschiedenen Beutetieren ernähren“, sagt Alfonso Aceves-Aparicio, Erstautor der Studie, der die Forschungsarbeit im Rahmen seiner Promotion in der Arbeitsgruppe Verhaltensbiologie von Prof. Dr. Jutta Schneider am Fachbereich Biologie der Universität Hamburg und der Macquarie Universität in Sydney (Australien) durchführte. „Außerdem ernähren sich die meisten Raubtiere von Beutetieren, die kleiner sind als sie selbst. Dies war hier nicht der Fall, denn die Ameisen sind etwa doppelt so groß wie die Spinnen.“ Nur etwa 0,3 Prozent der bekannten Spinnenarten ernähren sich von Ameisen, vermutlich, weil sie aufgrund kräftiger Mundwerkzeuge (Mandibeln), Abwehrsäure und ihrer schieren Anzahl sehr gefährlich und wehrhaft sind.
Um herauszufinden, wie diese kleinen Baumspinnen so große Beute erlegen, sammelten die Forschenden C. consobrinus-Ameisen und ließen sie einzeln auf dem Baum in einigen Zentimetern Entfernung von den Spinnen frei. Anschließend filmte das Team die Spinnenangriffe mit 25 oder 250 Bildern pro Sekunde und führten Einzelbildanalysen durch. Insgesamt 60 Jagdsequenzen wurden aufgenommen.
Die Analysen zeigten, dass die Jagd in zwei Phasen erfolgt: Die erste Phase ist eine Art akrobatischer Angriff, bei dem die Spinnen aus ihrer ruhenden Jagdposition über die Ameise stürzen, während sie selbst durch Fangseide am Stamm gesichert sind. Diese Fangseide ziehen sie mit ihren Hinterbeinen aus ihren Spinnwarzen und fixieren so die Ameise. In der zweiten Jagdphase umkreist die Spinne die Ameise, um sie in weiterer Klebseide zu verstricken, und führt dann den tödlichen Giftbiss aus. Schließlich wird die Ameise zur Nahrungsaufnahme weggeschleift, wobei sie oft an einem Seidenfaden baumelt.
Während die akrobatischen Angriffe weniger als eine Sekunde dauern, brauchen die Spinnen in der zweiten Phase viel Zeit mit der Immobilisierung und Tötung der Beute. „Wir gehen davon aus, dass die akrobatische, sehr schnelle Immobilisierung und das folgende Einwickeln der Beute mit Seide es den Spinnen ermöglicht hat, diese reichlich vorhandene, aber gefährliche Beute als Nahrungsquelle zu erschließen“, sagt Aceves-Aparicio.
Alle Ameisen, die während des anfänglichen akrobatischen Sturzes erfolgreich mit der Seide auf dem Stamm fixiert wurden, konnten auch erlegt werden. Nur in fünf Fällen waren die Spinnenangriffe erfolglos. Diese Fälle traten typischerweise auf, wenn die Ameisen von den Bäumen fielen, bevor die viskose Seide ihren Körper berührte. Damit hat die Spinne eine außerordentlich hohe Erfolgsquote beim Beutefang und übertrifft bei weitem Spitzenraubtiere wie Geparden und in Gruppen jagende Löwen und Wölfe, die in der Regel in weniger als 50 Prozent ihrer Jagdmanöver erfolgreich sind.
„Nun sind weitere Forschungsarbeiten erforderlich, um die Mechanismen im Detail zu ergründen, die es den Spinnen ermöglichen, derart gefährliche Beutetypen zu erlegen: Was befähigt sie zu einer derart präzisen Bewegung in Hochgeschwindigkeit und wie erreichen sie eine schnelle und effiziente Haftung der viskosen Seide an den Ameisenkörper?“, sagt Prof. Schneider. „Interessant ist, dass zwei verwandte Arten auf anderen Kontinenten mit ganz ähnlichen Strategien ebenfalls recht große Ameisen jagen. Vergleichende Detailuntersuchungen wären sehr spannend, so könnte man herausfinden, ob die Evolution unterschiedliche Wege gefunden hat, um das gleiche Zeil zu erreichen oder ob es jeweils die gleichen Methoden sind, die es den Spinnen erlauben, eine neue Nahrungsnische durch die Spezialisierung auf große, wehrhafte Ameisen zu erschließen.“
Es sind Videoaufnahmen der Spinnen verfügbar (Englisch): https://lecture2go.uni-hamburg.de/iframe/?obj=48957
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Jutta Schneider
Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften
Fachbereich Biologie
Tel.: +49 40 42838-3878
E-Mail: jutta.schneider@uni-hamburg.de
Alfonso Aceves-Aparicio
Max-Planck-Institut für chemische Ökologie
Max-Planck-Forschungsgruppe Räuber und Giftige Beute
Tel.: +49 3641 57-1804
E-Mail: aaparicio@ice.mpg.de
Originalpublikation:
Alfonso Aceves-Aparicio, Ajay Narendra, Donald James McLean, Elizabeth C. Lowe, Marcelo Christian, Jonas O. Wolff, Jutta M. Schneider and Marie E. Herberstein (2022): Fast acrobatic manoeuvres enable arboreal spiders to hunt dangerous prey, https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2205942119