Soziale Dilemma spielerisch erklären - Die Entwicklung von Moralvorstellungen fördert selbstloses Handeln
Die menschliche Entscheidungsfindung und das Zusammenspiel von individueller und Gruppendynamik ist außerordentlich vielschichtig. Leider kann unser Verhalten negative Konsequenzen, wie die Erschöpfung gemeinsamer Ressourcen auf Kosten der Umwelt, haben. Mohammad Salahshour, Forscher am MPI für Mathematik in den Naturwissenschaften, hat untersucht wie strategische Entscheidungen, soziale Normen und Moral Entscheidungen beeinflussen. Sein spieltheoretischer Ansatz zeigt, wie die Komplexität realer strategischer Zusammenhänge zur Entwicklung moralischer Normen führen kann, die Gesellschaften helfen, sich selbst besser zu steuern, indem sie Einzelentscheidungen im Interesse der Gruppe lenken.
Der Entscheidungsprozess ist nicht selten konfliktreich und kann zu sozialen Konfliktsituationen führen, in denen die Interessen des Einzelnen dem Nutzen für die Gruppe oder die Gesellschaft gegenüberstehen. Die Moral bietet einen Ausweg aus dieser Tragik der Allmende, indem sie altruistische Anreize fördert und den Einzelnen dazu motiviert, seinen Egoismus zu zügeln und zu kooperieren, selbst wenn es mit persönlichen Kosten verbunden ist. Die Entstehung von moralischen Werten ist immer noch ein evolutionäres Rätsel. Die Kernfrage ist, warum eine Person sich selbst aufopfern und ihre persönliche Stellung untergraben sollte, um zu kooperieren und der Gruppe zu helfen. Es zeigte sich, dass das individuelle Streben nach Ordnung und Organisation in der Gesellschaft diese Entwicklung vorantreibt. Nachdem also zunächst aus reinem Eigeninteresse eine Form der sozialen Ordnung erstrebt wurde, verlangt das daraus resultierende moralische System eine Form der aufopferungsvollen Zusammenarbeit.
Individuen in Gruppen stehen oft gleichzeitig vor unterschiedlichen strategischen Problemen, die es zu lösen gilt. Der Max-Planck-Forscher Mohammad Salahshour verwendete grundlegende strategische Spiele als eine Art Metapher für eine Vielzahl dieser Problemstellungen, einschließlich sozialer Dilemmas und Koordinations- und Kooperationsprobleme, wie etwa die Aufteilung von Ressourcen. Um zu ermitteln, ob diese einfachen spieltheoretischen Näherungen für die Darstellung komplexer Interaktionen in der realen Welt geeignet sind, entwickelte er ein neuartiges evolutionäres Modell gekoppelter interagierender Spiele. In einem ersten Schritt müssen die Akteure ein Gefangenendilemma lösen, gefolgt von einem zweiten Spiel, das verschiedenen Klassen angehören kann, die strategische Szenarien darstellen, mit denen Individuen in Gruppen konfrontiert werden können. Bei der Untersuchung der sich daraus ergebenden Nash-Gleichgewichte konnte Mohammad Salahshour nachweisen, dass das Resultat der Entscheidungen der Spieler im sozialen Dilemma, das ihnen im ersten Spiel präsentiert wurde, ihre strategischen Entscheidungen im zweiten Spiel beeinflusst und zur Lösung verschiedener strategischer Probleme wie Koordination, Ressourcenteilung und Wahl des Anführers beitragen kann.
Diese erhöhte Komplexität der interagierenden Spiele führt zu einer breiten Palette möglicher Szenarien, da ein kooperierender Spieler nun für seine Unterwerfung im sozialen Dilemma belohnt werden kann. Abhängig von dieser Entschädigung entstehen auf natürliche Weise moralische Normen wie "gutes" oder "schlechtes" Verhalten: Im Falle einer geringen Auszahlung aus dem Spiel mit dem nicht-sozialen Dilemma - und somit einer geringen Kopplung der Spiele und einer geringen Komplexität - gibt es keinen intrinsischen Nutzen in der Kooperation, und die Hinterlist bleibt die rationale Wahl. Wird die Kopplung jedoch stark genug, kommt es zu einem symmetriebrechenden Phasenübergang, bei dem die Symmetrie zwischen Kooperation und Verrat gebrochen wird und sich eine Reihe kooperationsfördernder sozialer Normen herausbildet, denen zufolge Kooperation eine wertvolle Eigenschaft ist, die es wert ist, übernommen zu werden.
Salashours Studie zur Entwicklung moralischer Normen zeigte, dass die Moral zwei ganz unterschiedliche Funktionen ausübt. Die bereits erwähnte Förderung von selbstaufopferndem oder altruistischem Verhalten und die Ermutigung zu gegenseitig vorteilhaftem Verhalten. Diese zweite Funktion setzt keine Selbstaufopferung voraus und könnte sich z. B. in gegenseitiger Kooperation oder Konfliktlösung manifestieren, also in Normen, die die soziale Ordnung und Organisation fördern können. Der Mathematiker sagt: "Ein Moralsystem verhält sich wie ein trojanisches Pferd: Sobald es aus dem Eigeninteresse der Individuen heraus zur Förderung von Ordnung und Organisation eingeführt wurde, bewirkt es auch eine selbstaufopfernde Zusammenarbeit und unterdrückt antisoziales Verhalten." Besonders faszinierend an seiner Theorie ist, dass allein die Kosten der Normen und nicht ihr tatsächlicher Nutzen für deren Etablierung ausschlaggebend sind. Diese Tatsache kann die überraschende Entwicklung schädlicher sozialer Normen wie destruktive kulturelle Praktiken, Ehrenmorde oder grausame Strafen erklären. Diese Normen sind für den Einzelnen kostspielig und haben oft keinen unmittelbaren sozialen Nutzen, was zu kollektiven Kosten führt; sie können jedoch ebenso wirksam zur Förderung der sozialen Ordnung und zur Stabilisierung von Gesellschaften beitragen, insbesondere wenn es keine staatlichen Organe zur Rechtsdurchsetzung gibt.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Mohammad Salahshour
Mail: msalahshour@ab.mpg.de
Originalpublikation:
Salahshour M (2022) Interaction between games give rise to the evolution of moral norms of cooperation. PLoS Comput Biol 18(9): e1010429
https://doi.org/10.1371/journal.pcbi.1010429