Spurensuche: BfG wirkte an der Aufklärung des Fischsterbens an der Oder mit
Heute veröffentlichten das BMUV und das UBA den Statusbericht einer vom BMUV eingerichteten nationalen Expert/-innengruppe zum Fischsterben in der Oder. In die Arbeitsgruppe brachten Fachleute der BfG ihre Erfahrungen und Fähigkeiten mit ein. Die Untersuchungen der Bundesanstalt liefern wichtige Informationen, um die Ursachen der Katastrophe nachvollziehen zu können.
Für die Aufklärung des Fischsterbens an der Oder erhielt die Bundesanstalt für Gewässerkunde zur Untersuchung von Wasser- und Schwebstoffproben seit dem 12. August mehrere Bitten um Amtshilfe des Landeslabors Berlin-Brandenburg (LLBB) und des Landesamtes für Umwelt (LU) Brandenburg. Das BMUV bat die BfG im Rahmen der aktuellen „Verwaltungsvereinbarung im Bereich der Wasserwirtschaft sowie zur grenzüberschreitenden und internationalen Wasserkooperation“ tätig zu werden. In den darauffolgenden Wochen führten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BfG chemische und ökotoxikologische Analysen zur Identifizierung möglicher Schadstoffe durch. Weiter wurden von der BfG taxonomische und molekularbiologische Untersuchungen zur Identifizierung der Algenzusammensetzung vorgenommen.
Parallel dazu konstituierte sich eine deutsche Expertengruppe mit Fachleuten aus den Landesbehörden in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern sowie dem THW, dem WSA Oder-Havel, dem BMUV, dem UBA und der BfG sowie eine polnisch-deutsche Expertengruppe. Gemeinsames Ziel war es, auf Basis der vorliegenden Informationen und der aktuellen Messergebnisse die möglichen Ursachen des Fischsterbens wissenschaftlich – soweit wie möglich – aufzuklären.
Dr. Birgit Esser, Leiterin der BfG: “In den vergangenen sechs Wochen haben meine Kolleginnen und Kollegen unter Hochdruck daran gearbeitet, um unseren Beitrag bei der Suche nach den Ursachen für das dramatische Fischsterben in der Oder zu liefern. Gemeinsam mit unseren Partnern haben wir eine breite und wissenschaftliche Datengrundlage geschaffen, die eine Bewertung der Hypothesen zu den Ursachen ermöglicht.“
Monitoringstationen bewähren sich
Bei Hohenwutzen, einem Ort im Landkreis Märkisch-Oderland, ist die BfG an einer automatisierten Messstation (Fluss-km 661,6) beteiligt. Die Station wird in Kooperation mit dem LfU Brandenburg und den Mitarbeitenden des WSA Oder-Havel betrieben. Mit Hilfe standardmäßig erhobener Tagesmischproben konnten u. a. die Zusammensetzung und der Eintrag der Salze, die zu einem Anstieg der elektrischen Leitfähigkeit des Oder-Wassers führten, identifiziert und im Vergleich mit Langzeitdaten eingeordnet werden.
Diese Informationen sind wichtige Indizien bei der Suche nach der Ursache der Katastrophe. Erhöhte Chloridkonzentrationen treten seit vielen Jahren in der Oder auf. Diese erhöhten Konzentrationen und die daraus resultierende hohe Leitfähigkeit sind nach Auffassung der BfG nicht unmittelbar ursächlich für das Sterben der Fische. Sie leisteten jedoch einen sehr deutlichen Beitrag, insbesondere als Sekundäreffekt in Bezug auf die Lebensbedingungen der Algen.
Giftige Toxine einer Brackwasser-Algenart in der Oder
Ein sprunghafter Anstieg der Sauerstoffkonzentration, des pH-Wertes und der Chlorophyllgehalte, sowie ein Absinken der Nitrat-Konzentration wiesen bereits früh auf eine massive Algenblüte in der Oder hin. Im Verdacht stand die Alge Prymnesium parvum, die eigentlich in salzhaltigen Gewässern beheimatet ist. Die Alge wurde durch molekularbiologische Analysen der BfG eindeutig identifiziert. In Hohenwutzen wurde am 16.08.2022 eine maximale Zellzahl von 141 Millionen Zellen P. parvum pro Liter festgestellt. Laut Literatur ist bereits ab einer Zellzahl von 20 Millionen Zellen pro Liter mit einem Fischsterben zu rechnen.
Es ist bekannt, dass P. parvum giftige Stoffwechselprodukte (Algentoxine) bilden kann. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BfG haben diese Toxine im Rahmen eines sogenannten Non-Target-Screening (NTS) in Gewässerproben der Oder identifiziert. Jedoch konnte die Konzentration der Toxine bislang nicht ermittelt werden, weil es keine allgemein zugänglichen Referenzstandards gibt. Weiter fehlen für diese Toxine abgesicherte Erkenntnisse, ab welchen Konzentrationen Fische und andere Organismen geschädigt oder getötet werden. Wissenschaftlich kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwar kein eindeutiger Nachweis geführt werden, dass die Toxine zum Fischsterben geführt haben. Unter Berücksichtigung der gesammelten Erkenntnisse spricht jedoch viel dafür.
Detektivarbeit mit Spurenanalytik
Die Expert/-innen der BfG analysierten die Tagesmischproben der Messstation bei Hohenwutzen auch auf die darin enthaltenen Schadstoffe. Dazu führten sie u. a. das NTS durch. Diese Methode liefert eine Momentaufnahme von über tausend bekannten und unbekannten Substanzen in einer Probe und damit eine Art umfassenden „Fingerabdruck“. Durch das NTS wurde neben den Algentoxinen im Ereigniszeitraum auch ein erhöhtes Vorkommen anderer Substanzen detektiert, darunter z. B. Nebenprodukte, die bei der Herstellung von Herbiziden entstehen. Inwieweit einzelne dieser Substanzen oder deren Summe direkt oder indirekt zum Fischsterben beigetragen haben, ist derzeit nicht bekannt.
Zusätzliche Untersuchungen
Über die im Statusbericht veröffentlichten Ergebnisse hinaus führte die BfG weitere Analysen durch. So wurden beispielweise Wasser- und Schwebstoffproben auf 86 Metalle und weitere Elemente sowie zahlreiche organische Schadstoffe untersucht. Diese und weitere Ergebnisse wird die BfG zu einem späteren Zeitpunkt in einem separaten Bericht veröffentlichen.
Ausblick
Die BfG will sich auch an der Bearbeitung der aus wissenschaftlicher Sicht offenen Fragen beteiligen, z. B. zum Vorkommen von der Alge P. parvum und zur Wirkung der Algentoxine auf Fische. Der hohe Nutzen der Non-Target-Analytik hat sich gezeigt. Die BfG wird diese Methodik gezielt ausbauen und einsetzen. Dr. Birgit Esser, Leiterin der BfG: „Es ist insgesamt unser Anspruch, anthropogene und natürliche Effekte zu differenzieren und so wirksame Maßnahmen für die Gewässerentwicklung aus ökosystemarer und funktioneller Sicht abzuleiten. Mit diesem Grundverständnis bringt die BfG gerne ihre fachliche Expertise in die von Bund und Ländern initiierten weiteren Aktivitäten rund um die Oder ein.“
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Thomas Ternes, Tel. 0261/1306-5560, Mail ternes@bafg.de
Dr. Franz Schöll, 0261/1306-5470, Mail schoell@bafg.de