Erste Hilfe für Kulturgut in Krisensituationen: RGZM entwickelt Spezialtische zur Erstversorgung nach Katastrophen
Ein multifunktionales, modulares, skalierbares und transportfähiges System zur Rettung von Kulturgut nach Katastrophen wird derzeit am Römisch-Germanischen Zentralmuseum (RGZM), Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie entwickelt und erprobt. Die flexiblen Modultische gewähren mit spezialisierten Funktionen die nötige Erstversorgung von mobilem Kulturgut in Krisensituationen. Die Entwicklung dieser Spezialtische ist wesentlicher Bestandteil des Kooperationsprojektes „KulturGutRetter (KGR) – Ein Mechanismus zur schnellen Hilfe für Kulturerbe in Krisensituationen“, das auf Initiative des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) ins Leben gerufen wurde.
Seit 2019 arbeiten DAI, RGZM, das Technische Hilfswerk (THW) und weitere Partner daran, einen international vernetzten Mechanismus zur Rettung und zum Schutz akut bedrohter Kulturgüter zu entwickeln. Das Projekt wird vom Auswärtigen Amt und dem Deutschen Bundestag unterstützt.
„Katastrophen wie Überschwemmungen, Feuer, Explosionen und Erdbeben treffen neben Menschen und Umwelt fast immer auch kulturelles Erbe. Durchnässung, Bruch und die Ablagerung von Schlämmen, Ruß oder aggressiven Stäuben ziehen eine fortschreitende Verschlechterung des Zustandes wertvoller Kulturgüter nach sich,“ so fasst es Projektleiter Christian Eckmann (RGZM) zusammen und fährt fort: „Um dies zu verhindern und das bedrohte kulturelle Erbe nach solchen Katastrophen so gut wie möglich zu schützen, arbeiten wir akribisch an einer schnellen und nachhaltigen Erstversorgung. Unsere „First Aid“-Konservierung dient also immer dazu, dem weiteren Zerfall der Objekte vorzubeugen und Zeit für eine nachhaltige Konservierung zu gewinnen.“
Spezialtische in Krisensituationen: Kaum Gewicht und effizient in der Erstversorgung
Die universell einsetzbaren Tische sind mit wenigen Handgriffen zusammengebaut. Im Zuge des von den „KulturGutRettern“ entwickelten Mechanismus werden die betroffenen Kulturgüter vor Ort in einem festgelegten Prozess zunächst registriert und auf der Grundlage forschungsbasierter Notfallkonzepte gereinigt und für Transport und Lagerung vorbereitet. Knappe Notizen zur Art der Behandlung und Lagerempfehlungen werden in einer App digital erfasst und als Barcode den Objekten mitgegeben.
Anselm Großkreutz, einer der Entwickler am RGZM, erklärt die priorisierten Aspekte bei der Entwicklung der Spezialtische: „Bei Konzeption und Bau der Tische haben wir besonders auf Gewicht und Zerlegbarkeit geachtet. Dieser Aspekt garantiert einen möglichst schnellen Transport zum Schadensort. Auch haben wir Aufbau und Handhabung einfach gehalten. In einem Notfallszenario sollen neben Expertinnen und Experten auch Ungeübte in die Notversorgung integriert werden, so kann die Erstversorgung effizient und schnell ablaufen.“
Spezialtische: digitale Dokumentation, Trocknungsreinigung, Nassreinigung
Durch das Platzieren unterschiedlicher Geräte auf der Arbeitsfläche, wie z.B. Laptop mit Barcode-Drucker oder Vakuumiergerät für das Verpacken, bleiben die jeweiligen Tische flexibel im Einsatz. Ausgestattet mit Kamera und Leuchttisch dient ein Spezialtisch dem Festhalten des Ein- und Ausgangszustand der jeweiligen Objekte. An der als Waschtisch konzipierten Nassreinigung können Objekte von Schmutz befreit werden, die durch Flutkatastrophen von Schlammablagerungen überzogen sind oder bei einem Brand durch Löschwasser beschmutzt und beschädigt wurden. Das Trockenreinigungsmodul ist eine weitere Spezialvorrichtung, die verwendet wird, wenn Objekte durch aggressive Stäube oder Rußpartikel Verunreinigungen aufweisen. „Besonders empfindliche Objekte werden mit leichter Druckluft abgeblasen und mit weichen Ziegenhaarbürsten oder Schwämmchen gesäubert. Das integrierte Sandstrahlgerät kann hingegen zur Entfernung festsitzender Verkrustungen verwendet werden“, ergänzt Eckmann. Die bisher entwickelten drei Modultische bilden einen minimalen und notwenigen Grundstock der angedachten Erstversorgung ab. Die Entwicklung der Modultische ist noch nicht abgeschlossen und wird zukünftig auf Kulturgut jenseits archäologischer Objekte ausgerichtet. Dies setzt eine Fortsetzung und dauerhafte Implementierung des KulturGutRetter-Mechanismus voraus.
Römisch-Germanisches Zentralmuseum | Leibniz-Institut für Archäologie
Das Römisch-Germanische-Zentralmuseum (RGZM) erforscht als Leibniz-Forschungsinstitut und -museum für Archäologie die materiellen Hinterlassenschaften aus 2,6 Mio. Jahren Menschheitsgeschichte. Ziel ist es, anhand archäologischer Funde und Befunde menschliches Verhalten und Handeln, menschliches Wirken und Denken sowie die Entwicklung und Veränderung von Gesellschaften aufzuzeigen und zu verstehen. Als eines von acht Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft verbindet das RGZM exzellente Wissenschaft mit Ausstellungen und ist mit seinem Bildungsauftrag gleichzeitig ein Ort des Dialoges mit der Öffentlichkeit. Das RGZM ist weltweit tätig und betreibt bislang erfolgreich und umfassend Forschungen in verschiedenen Regionen Afrikas, Asiens und Europas, wobei ein geographischer Schwerpunkt auf Mittel- und Südeuropa sowie dem mediterranen Raum liegt. Die einzigartige Konzentration archäologischer, naturwissenschaftlicher, restauratorischer und informationstechnologischer Kompetenzen verbunden mit bedeutenden Werkstätten, Laboren und Archiven, erlaubt es dabei, objektorientierte Forschung zur Archäologie der Alten Welt (Asien, Afrika, Europa) von den Anfängen der Menschheitsgeschichte bis in die Neuzeit zu betreiben
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Christiane Nowak-Lipps
Weitere Informationen:
https://www.kulturgutretter.org
https://www.dainst.org/projekt/-/project-display/4774556
https://www.dainst.org/
https://www.rgzm.de
https://www.archernet.org
https://www.thw.de/DE/Startseite/startseite_node.html