Post-COVID und Apherese – vielversprechende Therapie oder ein Geschäft mit der Verzweiflung?
Gute Wissenschaft braucht Zeit, während leidende Patientinnen und Patienten sofort wirksame Therapien benötigen. Ein Dilemma. Doch die Liste an Verfahren und Medikamenten, die nach ersten positiven Erfahrungsberichten in großen Studien enttäuschten, ist lang. Die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) mahnt, Registerauswertungen und erste Studienergebnisse zur Wirksamkeit von Apheresetherapie bei Long-COVID abzuwarten. Denn derzeit könne man nicht sagen, ob es sich dabei um eine vielversprechende Therapie handelt oder um ein Geschäft mit der Verzweiflung der Betroffenen.
Die DGfN wird immer wieder von verzweifelten Post-COVID-Betroffen adressiert und gefragt, wer im Lande Aphereseverfahren anbietet, um ihnen zu helfen. Oft herrscht Unverständnis darüber, dass Nephrologinnen und Nephrologen nicht ihren Wirkungskreis erweitern und Aphereseverfahren, die ansonsten nur bei seltenen Erkrankungen, z.B. seltenen Lipidstörungen oder seltenen Immunerkrankungen, zur Anwendung kommen, breiter anbieten. Der Fachgesellschaft wird dann oft Untätigkeit oder gar Ignoranz gegenüber dem Leiden der Betroffenen vorgeworfen.
In einer Stellungnahme vom 11.08.2022 (https://www.dgfn.eu/stellungnahmen-details/apheresetherapie-long-post-covid-syndrom.html ) hat sich die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) differenziert dazu geäußert, warum sie aus ihrer Sicht keine Empfehlung für den breiten Einsatz dieser Verfahren geben kann, solange keine ausreichende Datenbasis die Wirksamkeit und letztlich auch die Sicherheit belegen. Zwar gilt die Apherese wie die Dialyse als ein recht sicheres Verfahren, dennoch kann es zu Nebenwirkungen kommen. Das Blut wird über einen Schlauch aus den Körper in das Filtergerät geleitet. Dort werden Medikamente hinzugefüht, damit das Blut beim Aphereseprozess nicht gerinnt, anschließend wird es in den Körper zurückgeführt. Es handelt sich also um ein invasives Verfahren, das für den Körper auch nicht ganz unstrapaziös ist. Wie bei der Dialyse kann es zu Kreislaufproblemen kommen, viele Patientinnen und Patienten fühlen sich nach der Behandlung geschwächt. „Nutzen und Risiken müssen bei jeder Therapie gegeneinander abgewogen werden, was aber dann schwer möglich ist, wenn der Nutzen nicht wissenschaftlich belegt ist, wie das für Aphereseverfahren bei Long-COVID der Fall ist“, erklärt Prof. Julia Weinmann-Menke, DGfN-Pressesprecherin auf der Pressekonferenz der DGfN-Jahrestagung in Berlin. „Wir haben viele Fallberichte, aber zum einen sind sie eben genau das: Fallberichte und keine randomisierten Studien mit Beweiskraft. Hinzu kommt, dass auch nicht alle dieser Berichte einen ‚Lazerus-Effekt‘ beschreiben. Wir wissen auch von Patientinnen und Patienten, denen das Verfahren nicht geholfen hat oder nur vorübergehend.“
Die Aufgabe der Wissenschaft ist nun, die Evidenzlage zu verbessern und zu untersuchen, ob die Verfahren helfen, wenn ja, in welchem Schema und bei welchen Gruppen von Patientinnen und Patienten mit Post-COVID (z.B. jene, bei denen bestimmte Autoantikörper im Blut gefunden werden). Die ‚International Society for Apheresis‘ hat Anfang Oktober ein Post-COVID-Aphereseregister aufgelegt [1]. Das soll alle derzeit gebräuchlichen Behandlungsansätze dokumentieren und zugleich die Evaluation des klinischen Beschwerdebildes systematisieren. Die Initiatoren hoffen, dass damit für Patientinnen und Patienten wie behandelnden Ärzte in einem überschaubaren Zeitraum Informationen zusammengetragen werden, die im Idealfall in Empfehlungen für weiterführende, randomisierte Therapiestudien münden könnten.
„Doch angesichts des Leidensdrucks der Patientinnen und Patienten wollen wir die Register-Empfehlungen nicht abwarten. Stattdessen sind bereits an mehreren Universitätskliniken die Vorarbeiten zu Studien angelaufen, an denen Nephrologinnen und Nephrologen beteiligt sind. Die DGfN bemüht sich nun darum, die Studienprotokolle zu harmonisieren, damit die Daten perspektivisch gepoolt ausgewertet werden können und eine stärkere Evidenz erreicht wird.“
Die Studien, von denen hier die Rede ist, werden die Wirksamkeit der Immunadsorption untersuchen, ein Verfahren, das Antikörper bzw. Autoantikörper, von denen vermutet wird, dass sie ursächlich für das Post-COVID-Syndrom sind, aus dem Blut herausfiltern. „Allerdings ist das nur eine von mehreren Hypothesen zur Erklärung des Phänomens Post-COVID. Ebenso könnten beispielsweise subklinische Entzündungsreaktionen die Krankheit auslösen. Wäre das der Fall, würde die Immunadsorption z.B. gar keinen Effekt haben können.“
Das Problem, so betont die Wissenschaftlerin, sei, dass Betroffene hartnäckig eine Therapie einfordern, von der man nicht wisse, ob sie tatsächlich einen klinischen Nutzen bringt, weil man nicht einmal wisse, ob, das, was die Therapie im Körper bewirkt, überhaupt zur Krankheit beiträgt. Angesichts dieser Datenlage sei es grenzwertig, zum jetzigen Zeitpunkt diese Verfahren zu bewerben und außerhalb von wissenschaftlichen Studien durchzuführen. „Die Betroffenen zahlen z.T. viel Geld für eine Behandlung, von der sie nicht wissen, ob sie wirkt bzw. mit welcher Wahrscheinlichkeit sie wirkt, wie lange sie wirkt und warum sie überhaupt wirken könnte. Erweist sich die Therapie als unwirksam oder nur kurz wirksam, werden sich die Betroffen übervorteilt fühlen. Als medizinische Fachgesellschaft sehen wir uns daher in der Pflicht, zur Besonnenheit zu mahnen und zu raten, die Ergebnisse aus dem Register und den Studien abzuwarten. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir nicht einmal sagen, ob es sich bei der Apheresetherapie bei Post-COVID um eine vielversprechende Therapie handelt, und wir möchten uns keinesfalls am Geschäft mit der Verzweiflung der Betroffenen beteiligen“, erklärt Prof. Weinmann-Menke.
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