Das Forum Transregionale Studien begrüßt 60 Fellows aus 22 Ländern
Im akademischen Jahr 2022/23 begrüßt das Forum Transregionale Studien 60 Postdoc-Wissenschaftler:innen aus 22 Ländern, die in Berlin und an verschiedenen Orten in Europa forschen. Als Fellows erhalten sie die Möglichkeit, an ihren eigenen Projekten zu arbeiten und sich im Rahmen der Forschungsprogramme des Forums mit Kolleg:innen in Deutschland und andernorts auszutauschen und zu vernetzen. Sie beschäftigen sich mit Fragen von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, autoritären Regimen und Bewegungen, den gesellschaftlichen und kulturellen Folgen von Struktur- und Technologiewandel, Migration und Flucht sowie mit Narrativen und Strategien politischer Emanzipation in Zeiten von Krisen und Krieg.
Die Leitidee von »Europa im Nahen Osten – Der Nahe Osten in Europa« (EUME) ist die Erforschung der Verflechtungen und Grenzziehungen in und zwischen Europa und dem Nahen Osten. EUME bietet Wissenschaftler:innen aus den Ländern des Nahen Ostens einen Freiraum zur Diskussion grundlegender Fragen von Politik, Gesellschaft und Kultur in Zeiten des Umbruchs. Die Literaturwissenschaftlerin Alexandra Chreiteh begibt sich auf die Suche nach dem Fantastischen und Übernatürlichen in der arabischen Literatur und versucht so ein vergessenes Archiv der Vorstellungen von einem besseren Leben in Gegenwart und Zukunft sichtbar zu machen. Am Beispiel der türkischen Frauenbewegung untersucht die Sozialwissenschaftlerin İnan Özdemir Taştan, wie feministische Organisationen Emotionen durch Trauer und Gerechtigkeitssuche als politische Strategie zur Bekämpfung von Femiziden und Gewalt gegen Frauen einsetzen. An der Schnittstelle von akademischer Forschung und darstellender Kunst greift die Kulturjournalistin und Dramatikerin Zainab Qadiri im Rahmen eines forschungsbasierten Theater- und Romanprojekts die Frage des Völkermords an der ethnischen Minderheit der Hazara in Afghanistan auf. Der Anthropologe Saphe Shamoun beschäftigt sich mit den politischen Projekten der syrischen Aufstände im Jahr 2011, insbesondere mit dem Konzept der Forderung nach Würde, und verfolgt ihre Spuren im heutigen Exil. Im Rahmen des ERC-Forschungsprojektes »Beyond Restitution: Heritage, (Dis)Possession and the Politics of Knowledge (BEYONDREST)«, untersucht Banu Karaca vor dem Hintergrund laufender Debatten zur Dekolonialisierung von Museen, die Frage ob Enteignung nicht in erster Linie als Verlust, den es zu ersetzen bzw. zu heilen gilt, sondern als eine gewaltsame Voraussetzung für die Zirkulation von Kunst- und Kulturgütern, die Rückgabe von Beutekunst als Schließung historischer Wunden betrachtet werden kann und Restitution insofern nicht am Ende sondern am Anfang eines Prozesses steht. Enteignung wäre somit nicht nur eine Folge kolonialer Vergangenheiten, sondern fortwährende Praxis, die für die Verwaltung von kulturellem Erbe und die Produktion von Wissen in nationalen und transnationalen Denkstrukturen und Institutionen konstitutiv ist.
»re:constitution – Exchange and Analysis on Democracy and the Rule of Law in Europe« ist ein dezentrales, europaweites Programm. Es ermöglicht den Fellows sich an Einrichtungen rechtswissenschaftlicher Forschung oder Praxis in verschiedenen Ländern der Europäischen Union mit Fragen ihrer Verfassung(en) und mit unterschiedlichen Deutungen von Demokratie und Rechtstaatlichkeit auseinanderzusetzen: Ivo Gruev, ein Verfassungswissenschaftler an der Hertie School of Governance in Berlin, geht am European University Institute in Florenz der Frage nach, ob die Gegenbewegung zur Gleichstellung der Geschlechter mit unterschiedlichem Erfolg vor verschiedenen Verfassungsgerichten in Osteuropa eine Herausforderung für die Rechtsstaatlichkeit in dieser Region gewertet werden kann. Der Rechtspraktiker Satyajit Sarna beobachtet und analysiert in Straßbourg und Oxford die Ausarbeitung der EU-Richtlinie zu Strategischen Klagen gegen die Beteiligung der Öffentlichkeit (SLAPPs), insbesondere vor dem Hintergrund der Frage des Umgangs mit Missbräuchen der Rechtsprechung. Die Rechtswissenschaftlerin Silvia Steininger vom Max-Planck Institut für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, untersucht in Luxemburg und Kopenhagen wie die Rechtsstaatlichkeit von und un-ter europäischen Gerichten in ihrer Kommunikation mit der Öffentlichkeit diskutiert wird. Am Beispiel des Pegasus-Skandals befasst sich die Rechtswissenschaftlerin vom CEU Democracy Institute Budapest in Brünn, Tschechien, mit der Rechtsstaatlichkeitskrise mit Überwachung und Illiberalismus in Mittelosteuropa.
Die re:constitution-Fellows des Jahrgangs 2022/23 sind bereits in der Netzwerkkonferenz „Distance & Convergence: re:constituting Democracy and the Rule of Law in Europe“ im September in Berlin zu ihrem ersten Fellow-Exchange-Meeting zusammengekommen, das zweite Treffen wird Anfang 2023 online stattfinden.
Im Rahmen des Forschungsprogramms »Prisma Ukraïna – Research Network Eastern Europe«, untersucht die neu konzipierte Forscher:innengruppe »War, Migration and Memory« unter der Leitung der ukrainischen Soziologin Viktoriya Sereda (Senior Fellow am Forum) die transformativen Auswirkungen von Krieg, Vertreibung und Flucht auf die Erinnerungen, Bindungen, Zugehörigkeiten und Fragen des Zusammenhalts pluraler Gesellschaften, in und außerhalb der Ukraine. Die Soziologin Lidia Kuzemska untersucht erzwungene Migration als ein Mittel der Kriegsführung im Russisch-Ukrainischen Krieg, sowie deren Folgen für vertriebene Ukrainer:innen in Russland. Der Historiker Denys Shatalov erforscht wie das vorhandene historische Wissen über den Zweiten Weltkrieg und seine Gedenkpraktiken die Bedeutung und Wahrnehmung von Krieg durch die Erfahrungen im aktuellen russischen Krieg in der Ukraine verändert werden. Die Dokumentation der Lebensgeschichten von krebskranken ukrainischen Frauen, die im Rahmen des Krieges nach Deutschland gekommen sind, steht im Mittelpunkt des Forschungsprojektes der Historikerin Olha Labur, das die Überlebenspraktiken einer der vulnerabelsten Gruppen des Krieges identifizieren soll. Die Soziologin und Psychologin Taisiia Ratushna fragt welche Rolle das Internet und die sozialen Medien in Migrationsprozessen spielen, was sie verändert haben, und welche Vorteile aber auch Gefahren sich aus ihrer Nutzung ergeben.
Unter den Fellows des akademischen Jahres 2022/23 sind acht Wissenschaftler:innen aus Ländern mit eingeschränkten bürgerlichen und wissenschaftlichen Freiheiten die durch mit Unterstützung der Philipp Schwartz-Initiative der Alexander von Humboldt-Stiftung sowie im Rahmen der »Akademie im Exil« und ihres Afghanistanprogramms dank der Förderung durch die VolkswagenStiftung berufen werden konnten.
Die Fellows des Forums sind – je nach fachlicher Spezialisierung – an Universitäten und Forschungsein-richtungen in Berlin und anderen europäischen Städten assoziiert. Sie präsentieren und diskutieren ihre Arbeiten regelmäßig in Seminaren, Konferenzen und Workshops. Über die Wissenschaftskommunikation des Forums stehen ihnen Formate, Ressourcen und Infrastrukturen der Vernetzung, Zusammenarbeit und Publikation zur Verfügung. Auf dem »TRAFO – Blog for Transregional Research« (tra-fo.hypotheses.org), werden die Debatten, Ideen und Forschungsergebnisse einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Termine und weitere Informationen entnehmen Sie bitte unserer Homepage www.forum-transregionale-studien.de sowie der Broschüre »Programm und Fellows 2022/2023«.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Georges Khalil
Koordinator Wissenschaftskommunikation
communication@trafo‐berlin.de
030‐89 001‐430
Weitere Informationen:
https://www.forum-transregionale-studien.de/