Long /Post Covid aus Sicht der Schlafmedizin – mehr als nur Insomnie
Schlafmedizin und Long /Post Covid – wie passt das zusammen? Viele fortdauernde Beschwerden nach einer Covid-Erkrankung liegen im neuropsychiatrischen Bereich, zum Beispiel Fatigue, kognitive Beeinträchtigungen, Kopfschmerzen, Geruchs- und Geschmacksstörungen – aber auch Schlafstörungen. Es gibt viele Post Covid-Ambulanzen, die die Expertise von Schlafmedizinern nutzen, weil die schlafmedizinischen Symptome der Beschwerden einen wichtigen Stellenwert einnehmen.
„Das Thema Long Covid ist nach wie vor relevant für die Versorgungsrealität, weil einfach sehr viele Menschen von fortdauernden Beschwerden nach einer überstandenen Corona-Infektion betroffen sind“, sagt Dr. med. Claudia Schilling. Sie ist die Leiterin des Schlaflabors und der AG Neuropsychiatrische Schlafstörungen am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim. Dort wurde im Rahmen der Post Covid-Ambulanz sogar ein Forschungsprojekt zu schlafmedizinischen Auswirkungen gestartet.
Sie plädiert dafür, dass man sich dringend neben der klinischen Versorgung auch wissenschaftlich mit dem Thema befassen muss, um geeignete Therapien zu definieren, die es aktuell noch nicht gibt. „Es gibt einige Studien, die derzeit laufen, um die Mechanismen besser zu verstehen und kausale Therapien zu etablieren. Aber einen geeigneten Ansatz haben wir derzeit noch nicht.“ Das Kernsymptom, was 80% der von Long Covid Betroffenen haben, ist Müdigkeit und Erschöpfung (Fatigue). Gehen damit Schlafstörungen einher, so verstärkt sich dieses Grundsymptom noch einmal. „Wir haben gute Behandlungsmöglichkeiten für Ein- und Durchschlafstörungen (Insomnie) und schlafbezogene Atmungsstörungen, die man hier unbedingt einsetzen sollte“, rät Claudia Schilling.
Eine Annahme, die ebenfalls medizinisch untersucht wird, ist, dass das Post Covid-Syndrom eine Autoimmunreaktion ist. Umso wichtiger ist es, das Immunsystem zu stärken. Auch hierbei spielen schlafmedizinische Aspekte eine entscheidende Rolle, wie Tanja Lange, Professorin mit dem Forschungsschwerpunkt Psychoneuroimmunologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, erklärt: „Schlaf lässt uns wachsen, hält uns gesund und macht uns schlau. Vermittelt wird das über eine besondere Konstellation von Hormonen und Neurotransmittern, die sich im 24-Stunden-Verlauf nur im nächtlichen Schlaf findet. Im Zusammenspiel fördern sie das Zellwachstum und stärken unsere Immunzellen in der Abwehr gegen Krankheitserreger. Ähnlich wie im Gehirn wird dabei vor allen Dingen die Gedächtnisbildung im Immunsystem durch Tiefschlaf unterstützt. Schlaf unterstützt daher auch den Impferfolg. Wenn wir mit der Umwelt interagieren und psychosozialen oder immunologischen Reizen ausgesetzt sind, werden andererseits immunologische Botenstoffe freigesetzt, die Müdigkeit, Schläfrigkeit und schließlich Tiefschlaf hervorrufen. Der Tiefschlaf kommt daher in genau der richtigen Dauer und Intensität, um diese Reize zu verarbeiten und die Gedächtnisbildung im Gehirn und im Immunsystem zu unterstützen.“ Ein erholsamer Schlaf unterstützt also nachweislich den Erfolg einer Impfung. Und bei Covid 19 ist mittlerweile bekannt, dass impfen sowohl vor schweren Verläufen der Erkrankung als auch vor dem Post Covid-Syndrom schützt, bei welchem die Risikoreduktion immerhin bei 50% liegt. Eine große Studie aus Baden-Württemberg zeigte außerdem, dass Menschen, die vor Corona bereits an einer Schlafstörung gelitten haben, auch ein erhöhtes Risiko haben, Long Covid zu entwickeln.
Dr. med. Anna Heidbreder, Oberärztin in der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Innsbruck, verweist noch auf einen anderen Aspekt, der eine gezielte Behandlung bzw. zunächst deren Erforschung erschwert: „Wir stehen noch am Anfang unserer Erkenntnisse, haben es aber schon mit multiplen Varianten zu tun. Das heißt, dass sich die Beschwerden von Long Covid aus der Alpha-Variante komplett unterscheiden von denen aus der Beta-, Delta- und Omikron-Variante. Die Erfahrungen, die wir aus der ersten Welle haben, sind also nicht unbedingt übertragbar auf die Fälle, die wir jetzt sehen.“ Die Mediziner haben immer noch keine Erklärung, warum und ob überhaupt das Virus im Gehirn eine Schädigung hinterlässt, die dazu führt, dass Betroffene z.B. eine Insomnie bekommen. Eine Studie aus der Klinik von Frau Dr. Heidbreder zeigte in Schlaflabormessungen, dass bei Patienten nach Covid-Infektionen Muskelbewegungen im REM-Schlaf stattfanden, wo normalerweise keinerlei Bewegung stattfindet. Dies könnte darauf hindeuten, dass das Gehirn möglicherweise zumindest vorübergehend betroffen war. Daraus kann man jedoch nicht schließen, dass diese Schädigungen irreversibel sind. „Schlaf und Schlafstörungen spielen aus vielfältigen Gründen eine Rolle, aber die eine lokalisierte Attacke des Gehirns, die uns erklärt, warum Schlafstörungen häufiger werden, haben wir noch nicht gefunden“, fasst Anna Heidbreder zusammen. Und die gute Nachricht zum Schluss: Vorsichtig optimistisch prognostiziert sie, dass gute Chancen bestehen, dass die Schlafbeschwerden im Zusammenhang von Covid ohne Folgen abklingen.
Auf dem Jahreskongress der DGSM vom 10.-12.11. 2022 im RheinMain CongressCenter in Wiesbaden befasst sich ein Symposium mit genau diesem Thema. Medienvertreter sind herzlich zur Teilnahme am Kongress sowie bei Interesse an einem bestimmten Thema zu Hintergrundgesprächen und Interviews eingeladen! Zur Expertenvermittlung und zur Akkreditierung senden Sie bitte eine Mail an romy.held@conventus.de!
Im Rahmen der Jahrestagung wird zudem ein öffentliches Patientenforum am Samstag, den 12. November 2022 von 14-16 Uhr im Foyer des Schlafmedizinischen Zentrums der DKD HELIOS Klinik Wiesbaden (Aukammallee 33) stattfinden. Schlafmedizinische Experten informieren dort die interessierte Öffentlichkeit u.a. auch zum Thema „(Long) Covid und die Auswirkungen auf den Schlaf“. Auch hierzu sind Medienvertreter sehr herzlich eingeladen!
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