Eine undogmatische Theologie
Die Gründe für die Gleichgültigkeit christlich geprägter Gesellschaften gegenüber der Judenverfolgung unter den Nazis reichen bis zu den Anfängen des Christentums zurück. Die Exklusivität, die das Christentum von Beginn an für sich beanspruchte, richtete sich bald nicht nur gegen das Judentum, sondern blieb Markenkern christlichen Glaubens: Opfer kirchlicher, insbesondere römisch-katholischer Absolutheitsansprüche wurden im Verlauf der Geschichte Andersgläubige, sogenannte „Ketzer“, indigene Völker sowie Frauen, Homosexuelle, Transgender, Intersexuelle und überhaupt als „anders“ bewertete Menschen.
Bis heute hat sich die römisch-katholische Kirche als Kirche nicht zu dieser Schuld bekannt. Dies belegen Quellenstudien, die Prof. Dr. Andreas Benk im Rahmen seines Forschungssemesters im Sommersemester 2021 durchführte. Benk kommt zu dem Ergebnis, dass die radikal inklusive und leidempfindsame Botschaft Jesu von Theologie und Kirche von Beginn an verkehrt wurde in eine christliche Lehre, für die Exklusivitätsanspruch und Ausgrenzung konstitutiv waren und geblieben sind. Vor diesem Hintergrund entwickelte er drei zentrale Prinzipien für die Neubestimmung des christlichen Glaubens: Exklusivitätsverzicht, Humanisierung und Entdogmatisierung. Auf der Basis dieser Prinzipien formuliert Benk vier konkretisierende Thesen bzw. Forderungen zu einer undogmatischen Theologie, die kirchliches Versagen anerkennt, auf Exklusivitätsansprüche verzichtet und sich neu an der Botschaft Jesu orientiert: Depotenzierung der Dogmatik statt implizite Christologie; Reich-Gottes-Vision statt Sühnopfertheologie; Diesseitsorientierung statt Jenseitsvertröstung; politisch engagiert statt seelenheilfixiert. „Christlicher Glaube bleibt möglich – aber nur in ausdrücklicher Übernahme der Verantwortung für seine Geschichte“, so Benk, „und diese Verantwortungsübernahme muss verbunden sein mit Konsequenzen“.
Andreas Benk ist Professor für Katholische Theologie/Religionspädagogik am Ökumenischen Institut für Theologie und Religionspädagogik der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. Er wurde in Theologischer Ethik promoviert und habilitierte sich an der Universität Tübingen für das Fach Philosophische Grundfragen der Theologie. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse seines Forschungssemesters publizierte er jetzt im Matthias Grünewald Verlag unter dem Titel „Christentum, Antisemitismus und Schoah. Warum der christliche Glaube sich ändern muss“.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Andreas Benk, andreas.benk@ph-gmuend.de