Studie: 20 Monate bis Menschen mit Depression sich Hilfe suchen
Hinzu kommen lange Wartezeiten bei Fachärzten & Psychotherapeuten – verzögerte Behandlung erhöht Suizidgefahr – Digitale Angebote bisher nur von jedem 15. Patienten genutzt
Es vergehen im Schnitt 20 Monate, bis sich Menschen mit einer depressiven Erkrankung Hilfe suchen. Das zeigt das heute veröffentlichte 6. Deutschland-Barometer Depression der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention. Die Befragung untersucht jährlich Einstellungen und Erfahrungen zur Depression in der erwachsenen Bevölkerung, in diesem Jahr insbesondere die Behandlungssituation. Befragt wurde im September 2022 ein repräsentativer Bevölkerungsquerschnitt aus 5.050 Personen zwischen 18 und 69 Jahren. Die Studie wird gefördert von der Deutsche Bahn Stiftung gGmbH.
Gründe: krankheitsbedingte Antriebslosigkeit, Stigma und Versorgungsengpässe
„Die Depression ist eine schwere, oft auch lebensbedrohliche Erkrankung. Dass ein großer Teil der Betroffenen Monate oder sogar Jahre braucht, um sich Hilfe zu suchen, ist besorgniserregend. Gründe dafür sind die für eine Depression typische Hoffnungslosigkeit und Antriebslosigkeit, aber auch Versorgungsengpässe und die immer noch bestehende Stigmatisierung psychischer Erkrankungen“, erklärt Prof. Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention / Senckenberg-Professur an der Universität Frankfurt/Main.
Wochenlange Wartezeit auf Termin beim Facharzt und Psychotherapeuten
Über alle befragten Betroffenen hinweg dauert es durchschnittlich 20 Monate, bis sich Menschen mit Depression Hilfe suchen. Dabei gibt es große Unterschiede: Ein Drittel aller Betroffenen sucht sich sofort Hilfe. Bei 65% hat es hingegen länger gedauert, bis sie professionelle Unterstützung in Anspruch genommen haben – im Schnitt 30 Monate.
Wenn sich die Betroffenen Hilfe suchen, wenden sie sich mehrheitlich zunächst an den Hausarzt (51%). Jeder vierte Patient (25%) geht direkt zum Facharzt und 19% als erstes zum Psychotherapeuten. Heilpraktiker geben nur 0,7% der Befragten mit Depression als erste Anlaufstelle an. In der Befragung berichten die Betroffenen rückblickend jedoch von wochenlangen Wartezeiten, ehe eine Behandlung beginnen konnte. So gaben die Betroffenen an, im Schnitt 10 Wochen auf ein Erstgespräch beim Psychotherapeuten gewartet zu haben, bei Fachärzten im Schnitt 8 Wochen. Durchschnittlich fünf Therapeuten mussten die Betroffenen nach eigener Erinnerung kontaktieren, ehe sie einen Termin bekamen. „Bei einer so leidvollen Erkrankung wie der Depression, die zudem mit hoher Suizidgefährdung einhergeht, sind so lange Wartezeiten nicht akzeptabel“, sagt Hegerl.
Mehrheit der Patienten kann mit Psychotherapie und Medikamenten geholfen werden
Gemäß der Nationalen Versorgungsleitlinie sind Medikamente und/oder Psychotherapie die beiden wichtigsten Behandlungssäulen bei Depression. Von den Befragten, die aktuell erkrankt sind, bekommen 62% Medikamente und 48% Psychotherapie, 35% erhalten eine Kombination aus beidem. Dabei erleben die Betroffenen beides als wirksam: Psychotherapie empfinden 85% der befragten Depressionspatienten als hilfreich oder eher hilfreich, bei Medikamenten sind es 80%.
Was Betroffene unterstützend tun können: Selbsthilfe und Online-Angebote
Selbsthilfegruppen werden von 8% der Betroffenen besucht. Digitale Gesundheitsangebote nutzen bisher nur 7% der an Depression erkrankten Menschen, 26% hatten dagegen noch nichts von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) gehört. Insgesamt empfanden über zwei Drittel der befragten Menschen mit einer Depression (68%) die leitlinienkonformen und vielen alternativen Behandlungsangebote als „Dschungel“, in dem es schwer sei, einen Überblick zu bekommen. Weitere Aufklärungsarbeit ist deshalb nötig.
Alternative Medizin selten von Depressionspatienten genutzt
9% nutzen alternative, nicht-evidenzbasierte Verfahren wie Homöopathie, Heilsteine oder Darmreinigung und geben dafür jährlich im Schnitt 227 Euro aus. Als Hauptgrund wird genannt, selbst etwas zu der Behandlung beitragen zu wollen (57%), aber auch lange Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz oder Zweifel an der Schulmedizin spielen eine Rolle (je 19%).
Insgesamt ist den Befragten wichtig, dass es für den gewählten Behandlungsweg wissenschaftliche Wirksamkeitsbelege (Evidenz) gibt. So gaben 78% der Befragten mit Depression an, dass ihnen wissenschaftliche Wirksamkeitsbelege bei der Wahl der Behandlung wichtig seien. „Es gibt einen großen Markt an Verfahren, die große Versprechen zur Genesung machen und viel Geld kosten. Ich kann Patienten nur empfehlen, sich in den Nationalen Versorgungsleitlinien Depression zu informieren. Dort sind alle Verfahren, die ausreichende wissenschaftliche Wirksamkeitsbelege haben, aufgeführt. Die Behandlung mit diesen Verfahren wird in den allermeisten Fällen von den Krankenkassen getragen“ so Ulrich Hegerl. Mehr zur Nationalen Versorgungsleitlinie Depression unter: www.leitlinien.de/themen/depression
Informations- und Hilfsangebote für Menschen mit Depression
• Wissen, Selbsttest und Adressen zu Depression unter www.deutsche-depressionshilfe.de
• deutschlandweites Info-Telefon Depression 0800 33 44 5 33 (kostenfrei)
• kostenfreies Online-Programm für Menschen mit leichteren Depressionsformen in 15 Sprachen (u.a. Ukrainisch und Arabisch): https://tool.ifightdepression.com
• fachlich moderierte Online-Foren zum Erfahrungsaustausch für Erwachsene www.diskussionsforum-depression.de und junge Menschen ab 14 Jahren www.fideo.de
Presseservice: Die gesamte Studie sowie Infografiken zur freien Verwendung stehen unter www.deutsche-depressionshilfe.de/pressematerial-barometer-depression zur Verfügung. Zudem bieten wir persönlich oder digital die Möglichkeit, in Einzelterminen O-Töne aufzunehmen bzw. Interviews zu führen.
Pressekontakt:
Stiftung Deutsche Depressionshilfe
Heike Friedewald
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Goerdelerring 9, 04109 Leipzig
Tel: 0341/22 38 74 12
presse@deutsche-depressionshilfe.de
Über die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention
Ziel der 2008 gegründeten Stiftung Deutsche Depressionshilfe ist es, einen wesentlichen Beitrag zur besseren Versorgung depressiv erkrankter Menschen und zur Reduktion der Zahl der Suizide in Deutschland zu leisten. Vorstandsvorsitzender ist Prof. Dr. Ulrich Hegerl, der auch die Senckenberg-Professur an der Goethe Universität Frankfurt innehat. Die Schirmherrschaft hat der Entertainer und Schauspieler Harald Schmidt übernommen. Neben Forschungsaktivitäten bietet die Stiftung Betroffenen und Angehörigen vielfältige Informations- und Hilfsangebote wie das deutschlandweite Info-Telefon Depression (0800 33 44 5 33). Unter dem Dach der Stiftung Deutsche Depressionshilfe koordiniert das Deutsche Bündnis gegen Depression zahlreiche lokale Maßnahmen: In 90 Städten und Kommunen haben sich Bündnisse gebildet, die auf lokaler Ebene Aufklärung über die Erkrankung leisten. www.deutsche-depressionshilfe.de
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Stiftung Deutsche Depressionshilfe
Dr. Andreas Czaplicki
andreas.czaplicki@deutsche-depressionshilfe.de
Originalpublikation:
https://www.deutsche-depressionshilfe.de/forschungszentrum/deutschland-barometer-depression
Weitere Informationen:
https://www.deutsche-depressionshilfe.de/pressematerial-barometer-depression