IfL-Forscherin untersucht Militarisierungstrends in Polen
Welche Folgen hat die russische Annexion der Krim 2014 und Putins gegenwärtiger Angriffskrieg gegen die Ukraine für das Verhältnis zwischen Militär und Zivilgesellschaft in Polen? Dieser Frage geht Dr. Bettina Bruns vom Leibniz-Institut für Länderkunde derzeit in einem von der Volkswagenstiftung geförderten Forschungsprojekt nach.
Leipzig. Die russische Aggression gegen die Ukraine schürt vielerorts Ängste. Besonders groß ist die Sorge vor einer Ausweitung des Kriegs in Polen. Dort wächst die Zahl derer, die Patriotismus mit der Bereitschaft zur militärischen Verteidigung ihres Landes verbinden, stellt Dr. Bettina Bruns vom Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) fest. In einem von der Volkswagenstiftung finanzierten Forschungsprojekt zur „Paramilitärischen Herstellung von Sicherheit in lokalen sozialen Kontexten in Polen“ untersucht die Wissenschaftlerin derzeit die aktuellen Militarisierungstrends in der polnischen Zivilgesellschaft. Ihre Forschungen konzentrieren sich auf zwei wichtige Akteure in diesem Feld: die zur polnischen Armee gehörende Territorialverteidigung und unabhängig agierende sogenannte Schießverbände.
Mit Mitgliedern solcher paramilitärischen Organisationen, polnisch związki strzeleckie, hat die Leipziger Forscherin bereits Interviews geführt. Die Zusammenschlüsse von Freiwilligen richten sich vor allem an Jugendliche und verbinden militärisches Training mit patriotischen Inhalten. „Sie sehen sich als eine Art Jugendklub, der die Heranwachsenden von der Straße, Alkohol und Drogen fernhält und ihnen stattdessen Werte wie Disziplin und Loyalität vermitteln“, so Bruns. Zusätzlich steht seit September für Schülerinnen und Schüler ab 13 Jahren Waffentraining auf dem Stundenplan, und es werden mehr und mehr „Klassen in Uniform“ eingerichtet.
Im privaten Sektor bieten Sicherheitsfirmen Schießtrainings und paramilitärische Übungen für zahlende Kunden an. Gleichzeitig beobachtet die Soziologin eine wachsende Wertschätzung der polnischen Streitkräfte. Insbesondere deren Armee zur Territorialverteidigung erhält derzeit so viele Bewerbungen wie nie. Erste Ergebnisse aus dem Projekt deuten darauf hin, dass die Popularität dieser Truppen auch mit der langen Tradition zu tun hat, die dieser Teil der polnischen Armee im öffentlichen Diskurs betont.
Zur nationalen Sicherheit tragen diese Einheiten nach Erkenntnissen von Bettina Bruns jedoch weniger durch ihre militärische Stärke bei. Für bedeutender hält sie die das Gefühl der Verbundenheit mit Heimatregion und Staat betonenden Narrative der Territorialverteidigung. Erkennbar seien darin auch historische Bezüge, etwa zur polnischen Heimatarmee, die im Zweiten Weltkrieg für die Befreiung Polens von der deutschen Besatzungsmacht gekämpft hatte. Solche Narrative dienten gewissermaßen als Vorbilder für die heutige Sicherheitsproduktion der Territorialverteidigung, so die Forscherin.
Weitere Feldstudien und Interviews sollen nun Aufschluss darüber geben, in welchem Verhältnis staatliche und nichtstaatliche militärische Akteure stehen und welche Rolle Emotionen bei der Gestaltung und Wahrnehmung ihrer Sicherheitspraktiken spielen.
Das Forschungsprojekt „‚Wir wollen vorbereitet sein‘ – Zur paramilitärischen Herstellung von Sicherheit in lokalen sozialen Kontexten in Polen“ wird von der Volkswagenstiftung im Rahmen eines Schumpeter-Fellowships mit rund 300.000 Euro für den Zeitraum 2020 bis 2024 gefördert. Erste Ergebnisse erscheinen demnächst in der Fachzeitschrift "Canadian Slavonic Papers".
Dr. Bettina Bruns ist Projektleiterin und stellvertretende Koordinatorin der Forschungsgruppe „Geographien der Zugehörigkeit und Differenz“ am Leibniz-Institut für Länderkunde. In ihrer Arbeit befasst sie sich mit kritischer Militärgeographie und forscht insbesondere zum Thema Sicherheit und Grenze, schwerpunktmäßig in Polen und Belarus.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Bettina Bruns
0341 600 55-131
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