Interessanter Streifzug und kritische Auseinandersetzung
Online-Kongress zum Deutschen Zahnärztetag konnte über 800 Teilnehmende verzeichnen / Abschied von Prof. Frankenberger
17. November - Düsseldorf. Das Spektrum reichte weit beim Online-Kongress zum Deutschen Zahnärztetag 2022, der unter dem Motto „Kritisch hinterfragt: Biologie – Ethik – Sport“ stand: Den Auftakt lieferte eine ethische „Aufwieglerin“ zum Thema Digitalisierung, den Abschluss bildete das prothetische Geneva-Konzept einer modernen festsitzenden Rehabilitation. Und dazwischen gab es interessante und praxisrelevante Einblicke in verschiedene Felder der Zahnmedizin – und auch darüber hinaus. Der von der DGZMK (Deutsche Gesellschaft für Zahn,- Mund- und Kieferheilkunde), der BZÄK (Bundeszahnärztekammer), der LZKH (Landeszahnärztekammer Hessen) und dem Quintessenz-Verlag gemeinsam organisierte Kongress konnte über 800 Teilnehmende verzeichnen und darf damit erneut als Erfolg gewertet werden. „Der Corona-Kapitän geht von Bord“ - für den scheidenden DGZMK-Präsidenten Prof. Dr. Roland Frankenberger war der Kongress als Wissenschaftlicher Leiter ein versöhnlicher Abschluss seiner dreijährigen Amtszeit, in der die Corona-Pandemie nur die Digital-Version solcher Veranstaltungen erlaubt hatte.
Prof. Dr. Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats und Keynote-Speaker, ging der Frage nach, ob die Pandemie als Digitalisierungsbeschleuniger gewirkt habe und deckte im Zusammenspiel von „Ethik, Digitalisierung, Datenschutz“ große nationale Defizite in Gestalt von fehlender Datenerhebung und -zusammenführung auf. Schon die Infrastruktur, die Verwaltung und die Regulierung der Digitalisierung in Deutschland seien im internationalen Vergleich ein „reines Desaster“. Während die elektronische Patientenakte in Nachbarländern teils schon seit einem Vierteljahrhundert etabliert sei, fehle sie hierzulande noch immer. Sie kritisierte die vorhandenen Datenschutzhemmnisse als „Rohrkrepierer“, die u.a. dazu geführt hätten, dass etwa das Einladungsmanagement zur Impfstrategie versagt habe (was Tausende das Leben kostete) oder die für Eltern wuttreibende Situation an den Schulen. Zwar würden Daten gern wirtschaftlich genutzt, im Gesundheitssystem dagegen kaum zur Verfügung stehen. Ihre klare Botschaft in diesem Zusammenhang: „Ich möchte Sie aufwiegeln, nein zu sagen!“ Besonders wenn juristische Experten ihre Bedenken erhöben. In Deutschland werde bei der Digitalisierung nur auf die Risiken und nicht auf die Chancen geschaut, statt Fort- gebe es einen beständigen Rückschritt.
Ähnlich engagiert zeigte sich Referent Prof. Frankenberger in seinem Vortrag zum Thema „Ernährung für Zahnmediziner“. Bis zum Jahr 2010 habe er selbst an Übergewicht gelitten. Viele machen bei der Nahrung unbewusst vieles falsch, etwa bei der Zuckeraufnahme durch Fertigprodukte, in denen man den Süßstoff nicht unbedingt vermutet oder die als grundsätzlich gesund gelten. Dass Fruchtzucker eine gleiche Gefahr bedeutet wie der industriell hergestellte, dürfte nicht allgemein bekannt sein. Frankenberger wies darauf hin, dass 33 Prozent der Weltbevölkerung inzwischen unter einer Fettleber leiden und 25 Prozent eine Insulinresistenz aufweisen. Er warnte vor Crash-Diäten, sondern riet zu einer dauerhaften Umstellung der Ernährung, in der möglichst buntes Gemüse, wenig Alkohol und Zucker sowie die richtigen Fette wie Omega-3-Fettsäuren in Fisch oder Öl bedeutsam seien. Hinzu kämen regelmäßige Bewegung (dreimal pro Woche mindestens eine halbe Stunde bis hin zum Schwitzen) sowie das Trinken von 50 mg Wasser pro Tag und Kilogramm Körpergewicht. Auch ausreichender Schlaf und bestimmte Nahrungsergänzungsmittel wie die Vitaminkombination D3/K2 seien wichtig.
Allergien auf dentale Materialien standen im Mittelpunkt des Vortrags Prof. Randolf Brehler, Dermatologe an der Universität Münster. Es ging dabei hauptsächlich um Typ-IV-Allergien. Zwar seien Allergien auf Dentalmaterialien selten. Besonders Metalllegierungen, bei denen Nickel und Palladium, aber auch Gold als Auslöser eine Rolle spielen, stünden hier im Fokus.
Weitere Themen am ersten Kongresstag waren die kritische Auseinandersetzung mit der Homöopathie, die Dr. Christian Weymayr als Esotherik klassifizierte und mit der Dr. Daniel Friedrich sich unter ethischen Aspekten auseinandersetzte. Setze man die Homöopathie nach Aufklärung als Placebo ein, könne aber der mögliche psychogene Effekt genutzt werden. Regelrecht zerpflückt wurde der im Internet beliebte Film „Root Cause“ des australischen Filmemachers Frazer Bailey. Die darin aufgestellte Behauptung, Wurzelkanalbehandlungen könnten in Folge Müdigkeit, koronare Herzerkrankungen, Angst, Depressionen und Krebs auslösen, sei wissenschaftlich nicht haltbar, stellte Prof. Dr. Edgar Schäfer klar. Die im Film zitierten Wissenschaftler, so zeigte Schäfers Recherche, besäßen nicht die behauptete Kompetenz.
Den Abschluss des ersten Tages bildete der Beitrag von Prof. Dr. Stephan Ruhl zum Thema Speicheldiagnostik. Der aus Buffalo (USA) zugeschaltete Experte wies gleich zu Anfang darauf hin, dass hier für die Zahnmedizin selbst kaum Möglichkeiten bestünden. In der Corona-Pandemie sei das aber erfolgreich genutzt worden. Speichel könne in Epidemien als Frühwarnsystem dienen und die Forschung an dieser interessanten Flüssigkeit laufe weiter.
„Ist Nachhaltigkeit utopisch?“ - Prof. Christian Berg, Universalgelehrter und Autor des gleichnamigen Buches und u.a. auch beim Club of Rome engagiert, stellte fest: „Leider sind wir auf einem mühsamen Weg.“ Doch anstatt Nachhaltigkeit einfach aufzugeben, sollten gesellschaftliche Veränderungen auf allen Ebenen deren Umsetzung ermöglichen. Die komplexe Analyse solle zu einfachem Handeln führen, postulierte er.
Anschließend empfahl Parodontologe Prof. Peter Eickholz die Testung über PSI anstelle einer a-MMP-8-Testung. Prof. Christian Dörfer widmete sich dem Mikrobiom und stellte aus parodontologischer Sicht Schwierigkeiten heraus, das individuell zu ändern. Die Entfernung des Biofilms oder auch die häusliche Mundhygiene spielten dabei eine wichtige Rolle.
Und dann wurde es sportlich. Zunächst stellte Dr. Stavros Avgerinos das One4all-Mundschutzkonzept der Deutschen Gesellschaft für Sportzahnmedizin (DGSZM) vor. Avgerinos konnte nach einigen Anlaufschwierigkeiten inzwischen in seinem Eishockeyverein Duisburger Füchse erreichen, dass dieser Mundschutz von allen Spielerinnen und Spielern getragen werde. Und wie sehr die Zahngesundheit helfen kann, sportliche Erfolge zu erzielen, stellte Dr. Siegfried Marquardt, der u.a. auch die Deutsche Fußballnationalmannschaft betreut, in seinem Vortrag heraus. Wenn die Mundgesundheit hergestellt sei, könnten allein über diesen Faktor Verletzungen vermieden und Leistungssteigerungen verzeichnet werden.
Den Abschluss des Programms bildete das „Geneva Concept“ zur modernen, festsitzenden prothetischen Rehabilitation, das von Prof. Irena Sailer und ZTM Vincent Fehmer präsentierte wurde. Ihre eigenen Arbeiten von vor über einer Dekade sahen sie im Hinblick auf die minimal-Invasivität inzwischen kritisch und betonten, dass in Kombination mit neuen digitalen Verfahren und vollkeramischen Materialien das mit neuen Adhäsivtechniken mögliche „Kleben können“ zu deutlich weniger invasiven und vorhersagbaren komplexen Rehabilitationen führe.
Ins Programm integriert waren auch Beiträge der Hauptsponsoren des Kongresses, die ebenfalls wertvolle Informationen für die Teilnehmer*innen präsentierten.
Schöne Geste für das Ende einer Amtszeit: Ganz konkret reichte der scheidende DGZMK-Präsident Prof. Frankenberger einen Staffelstab an seinen Nachfolger, Prof. Dr. Dr. Jörg Wiltfang, weiter.