Was passiert, wenn in der Wissenschaft einmal etwas schief geht?
Am Leibniz-Zentrum Moderner Orient (ZMO) wird vom 30. November bis zum 15. Dezember 2022 die Ausstellung „Verpasste Begegnungen: Geschichten aus dem Notizbuch des Forschenden“ zu sehen sein, die sich mit der Sammlung von Daten während der Feldforschung und deren Nutzung auseinandersetzt. Dabei geht es nicht nur um schief gelaufene Audioaufnahmen, sondern auch um Fragen der politischen Sensibilität oder die Verzerrung von Ergebnissen. Die Ausstellung wird mit einem Empfang am 29. November von 17 bis 20 Uhr eröffnet.
Informationen, die während der sozialwissenschaftlichen Feldforschung gesammelt werden, sind keine stabile Quelle, sondern hängen von allerhand Variablen ab: vom Charme und der Diskretion des Forschenden über die Sensibilität des erforschten Themas bis hin zur politischen Situation im erforschten Land. Die Ausstellung „Verpasste Begegnungen: Geschichten aus dem Notizbuch des Forschenden“ präsentiert mündliche Berichte über die Erfahrungen von Forschenden im Feld, wobei Geschichten hervorgehoben werden, in denen Mitglieder der Forschungsgruppe „Lebensalter und Generation“ am Leibniz-Zentrum Moderner Orient auf Schwierigkeiten stießen. Diese erschwerten es ihnen, die Ergebnisse in ihre Arbeit einfließen zu lassen, oder es gelang den Forschenden nicht, das zu artikulieren, was über Generationen und geografische Distanzen hinweg verloren geht – beispielsweise zwischen Migrant*innen und ihren Heimatgesellschaften. Es kann sich um banale Schwierigkeiten handeln, wie das Versäumnis, etwas auf Band aufzunehmen, über Material, das politisch zu sensibel ist, um es zu veröffentlichen, bis hin zur Verzerrung von Ergebnissen, wenn diese für die Präsentation vor Publikum geglättet werden.
Die Ausstellung bezieht sich indirekt auch auf allgemeinere Fragen der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von Forschungsquellen, auf Hörensagen und auch auf Wissen, das nicht von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird, das geheim bleibt oder in entstellter Form weitergegeben wird. Letzteres betrifft insbesondere die Frage, wie persönliche und kollektive Geschichten im Laufe der Zeit in Mythen, Traditionen oder soziopolitische Machtstrukturen umgewandelt werden. Sie bezieht sich aber ebenso auf die imaginäre Dimension der Feldforschung mit Menschen, bei der jedes Interview und jede Begegnung doppelt fiktiv ist – durch die anfängliche Erfahrung des*der Interviewenden und die spätere Erinnerung daran.
„Verpasste Begegnungen: Geschichten aus dem Notizbuch des Forschenden“ besteht aus zwei Teilen. Aufgezeichnete Berichte über die Feldforschung einzelner Forschender werden neben „Forschungsartefakten“ präsentiert, die im Laufe der Feldforschung gesammelt wurden. Den Blick auf den Forschenden zu richten bedeutet, eine Art Verfremdungseffekt auf die wissenschaftliche Objektivität und den Habitus des Forschenden herzustellen, aber auch mit der fiktiven Gegensätzlichkeit zwischen Fakt und Fiktion zu spielen oder mit dem Unterschied zwischen dem Wunsch des Forschenden, etwas zu lernen, und dem des Forschungssubjekts, etwas mitzuteilen.
Die Ausstellung ist kuratiert von Michael Baers und zeigt Beiträge von Katrin Bromber, Sana Chavoshian, Aksana Ismailbekova, Jasmin Mahazi, Samuli Schielke und Magdalena Suerbaum. Gäste können die Ausstellung im Lichthof des ZMO während der regulären Bürozeiten (Montag bis Donnerstag von 9 bis 17 Uhr, Freitag von 9 bis 15 Uhr) besuchen. Presseanfragen richten Sie bitte an Lena Herzog unter presse@zmo.de.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
PD Dr. Katrin Bromber: katrin.bromber@zmo.de
Weitere Informationen:
https://www.zmo.de/veranstaltungen/verpasste-begegnungen-geschichten-aus-dem-notizbuch-des-forschenden