Symposium: Das Herz schützen mit allen Mitteln
Nicht nur in der Onkologie und Pandemiebekämpfung, auch in der Kardiologie werden die neuesten Technologien intensiv dafür genutzt, immer wirksamere Therapien zu entwickeln. „Deshalb können wir beispielsweise für Patientinnen und Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz immer mehr tun. Deren kontinuierliche ärztliche Betreuung sollte deshalb im Gesundheitswesen einen höheren Stellenwert erhalten.“ Das erklärte Prof. Dr. Lars Maier vom Universitätsklinikum Regensburg beim Symposium ‚Herzerkrankungen: Todesursache Nr. 1 – Neue Perspektiven der Arzneimitteltherapie‘ am 18./19. November in Berlin.
Er leitete die Veranstaltung zusammen mit Prof. Dr. Stefan Endres vom Klinikum der LMU München. Veranstalter war die Paul-Martini-Stiftung (PMS) in Verbindung mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
Chronische Herzinsuffizienz bildete den Schwerpunkt des Symposiums. Ihre Prävalenz nimmt zu, weil die Lebenserwartung steigt und weil immer mehr Menschen einen Herzinfarkt (die häufigste Ursache) überleben. Sie beträgt derzeit 1-2% in der Gesamtbevölkerung und bis zu 10% in der Altersgruppe der über 75-Jährigen. Die 5-Jahres-Mortalität ist mit ca. 50% erheblich, aber die Krankheit greift auch schon vorher stark ins Leben der Betroffenen ein. Charakteristisch dafür: Einer dänischen Studie zufolge kehrt rund ein Drittel der zuvor erwerbstätigen Patientinnen und Patienten nach der Diagnose nicht mehr an den Arbeitsplatz zurück. So bewirkt die Krankheit neben persönlichem Leid auch Probleme für die Ökonomie.
Bis heute lässt sich das Fortschreiten einer chronischen Herzinsuffizienz nicht vollständig aufhalten. Doch verlangsamen lässt es sich, wie sich auch die Möglichkeiten zur Linderung der körperlichen Folgeerscheinungen immer weiter verbessert haben. Dazu beigetragen haben Medikamente und Medizintechnik (wie Defibrillatoren), aber auch eine genauere Unterscheidung verschiedener Krankheitsformen. So wird die Herzinsuffizienz mittlerweile danach unterteilt, ob die Auswurffraktion (ein Maß der Pumpleistung des Herzens) entweder erhalten oder aber vermindert ist; und beispielsweise wird die Kardiomyopathie im Rahmen einer Transthyretin-Amyloidose inzwischen als eigenständige Krankheit geführt. Die Konsequenzen für die Therapieentscheidungen wurden auf dem Symposium eingehend besprochen. Weitere Fortschritte für die Therapiewahl und -entwicklung erhofft man sich durch eine noch genauere Patientencharakterisierung, in die neben klinischen Merkmalen auch Daten aus hochdimensionalen Multi-Omics-Auswertungen einfließen. Dafür lassen sich mittlerweile Sequenzierungstechniken, wenn erforderlich, auch auf einzelne Zellen des Herzgewebes anwenden.
Pharmakotherapeutisch haben sich die Möglichkeiten zuletzt durch einen gefäßweitenden Guanylatzyklase-Stimulator und durch die ursprünglich gegen Typ-2-Diabetes entwickelten SGLT-2-Hemmer erweitert. Doch auch die Medikamente mit der längsten Tradition bei Herzinsuffizienz – die Digitalis-Präparate – haben weiterhin einen Stellenwert, wie auf dem Symposium deutlich wurde.
Noch ein ganz anderer Ansatzpunkt für die Therapie kam zur Sprache: der Eisenmangel, an dem in Europa 40 bis 60 % der Herzinsuffizienz-Patient:innen leiden, verursacht durch Entzündungsprozesse. Intravenös applizierbare Eisenpräparate haben sich als wirksam erwiesen.
Auch den Entzündungsprozessen selbst wird vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Möglicherweise könnten dämpfende Immunmodulatoren zumindest bei manchen Betroffenen zur Therapie beitragen. Entsprechende Studien sind angelaufen.
Seit langem verfolgt die Pharmaforschung zudem das Ziel, direkt in die pathophysiologischen Remodelling-Prozesse einzugreifen, durch die ein insuffizient gewordenes Herz sich allmählich selbst zugrunde richtet. Derzeit wird dafür erstmals ein Wirkstoff vom Typ Antisense-Oligonukleotid klinisch erprobt, der in den Herzmuskelzellen eine bestimmte regulatorisch aktive microRNA abfängt.
Auch Zelltherapien werden schon länger erprobt, etwa die Injektion von Herzmuskelzellen, die aus induzierten pluripotenten Stammzellen gewonnen wurden. Diese Intervention ist allerdings mit der Gefahr verbunden, dass es zu Herzrhythmusstörungen kommt. In einer Studie mit Patient:innen wird derzeit geprüft, ob sich das dadurch umgehen lässt, dass die Zellen in Form eines zusammenhängenden extrakorporal gezüchteten Gewebsstücks – Herzpflaster genannt – appliziert werden. Tierexperimentelle Daten lassen hoffen.
Die zur Herzinsuffizienz führende Transthyretin-Amyloidose – zu der es aufgrund eines fehlgefalteten Transportproteins kommt – lässt sich seit kurzem mit mehreren Medikamenten gezielt behandeln. Auf dem Symposium wurde aber auch eine in Erprobung befindliche Gentherapie vorgestellt, die die Ursache mit Hilfe der Genscherentechnologie CRISPR/Cas9 beseitigen soll. Erste Ergebnisse von neun Patienten sind positiv.
Eine breite Palette von Krankheiten
Das zweitägige Symposium bot auch Gelegenheit, andere kardiologische Krankheiten in den Blick zu nehmen, wie etwa die koronare Herzerkrankung, das Vorhofflimmern, den kardiogenen Schock und die Peripartum-Kardiomyopathie. „Wichtig ist uns, dass Erkenntnisse über die individuell besten Therapiemöglichkeiten auch aus einer geschlechtsspezifischen Betrachtung gewonnen werden und in die Praxis einfließen“, so Co-Symposiumsleiter Prof. Dr. Stefan Endres von der Universität München. Beim Symposium war diesem Thema ein eigener Vortrag gewidmet.
Paul-Martini-Stiftung
Die gemeinnützige Paul-Martini-Stiftung, Berlin, fördert die Arzneimittelforschung sowie die Forschung über Arzneimitteltherapie. Die Stiftung intensiviert den wissenschaftlichen Dialog zwischen medizinischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen in Universitäten, Krankenhäusern, der forschenden Pharmaindustrie und anderen Forschungseinrichtungen sowie Vertretern und Vertreterinnen der Gesundheitspolitik und der Behörden. Dazu dienen die jährlich ausgerichteten Symposien und Workshops und die Verleihung des Paul-Martini-Preises. Träger der Stiftung ist der vfa, Berlin, der als Verband derzeit 48 forschende Pharma-Unternehmen vertritt.
Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina
Als Nationale Akademie der Wissenschaften leistet die Leopoldina unabhängige wissenschaftsbasierte Politikberatung zu gesellschaftlich relevanten Fragen. Dazu erarbeitet die Akademie interdisziplinäre Stellungnahmen auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse. In diesen Veröffentlichungen werden Handlungsoptionen aufgezeigt, zu entscheiden ist Aufgabe der demokratisch legitimierten Politik. Die Expertinnen und Experten, die Stellungnahmen verfassen, arbeiten ehrenamtlich und ergebnisoffen. Die Leopoldina vertritt die deutsche Wissenschaft in internationalen Gremien, unter anderem bei der wissenschaftsbasierten Beratung der jährlichen G7- und G20-Gipfel. Sie hat 1.600 Mitglieder aus mehr als 30 Ländern und vereinigt Expertise aus nahezu allen Forschungsbereichen. Sie wurde 1652 gegründet und 2008 zur Nationalen Akademie der Wissenschaften Deutschlands ernannt. Die Leopoldina ist als unabhängige Wissenschaftsakademie dem Gemeinwohl verpflichtet.
Weitere Informationen:
https://www.paul-martini-stiftung.de/s22m - Programm des Symposiums und Abstracts der Vorträge