Das Unbewusste beforschbar machen – Wilhelm-Bitter-Forschungspreis 2022 für zwei psychoanalytische Arbeiten
Innere Konflikte, Abwehrmechanismen, Projektion – psychoanalytische Konstrukte sind schwer messbar. Mit dem Wilhelm-Bitter-Forschungspreis 2022 wurden gestern auf dem „Tag der Forschung“ zwei Arbeiten prämiert, die psychoanalytische Phänomene ein Stückweit objektivierbarer machen. Der „Tag der Forschung“ wird einmal im Jahr von der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V. veranstaltet.
Was tut sich gerade in der Psychoanalyse-Forschung? Einen Einblick gab der „Tag der Forschung“ der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V., der gestern am Nachmittag online stattfand. Zwei Nachwuchs-Wissenschaftlerinnen sind für ihre Arbeiten zur Psychoanalyse im Rahmen der Veranstaltung mit dem Wilhelm-Bitter-Forschungspreis 2022 ausgezeichnet worden. „Wir sind sehr froh um die Preisgelder, weil die psychoanalytische und psychodynamische Forschung vor besonderen Herausforderungen steht“, betont Prof. Silke Wiegand-Grefe vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Vorsitzende der Jury und Professorin für klinische Psychologie. „Unbewusste Prozesse sind schwer abzubilden im Vergleich zur kognitiven Verhaltenstherapie, die an der Symptomebene ansetzt.“ Der Forschungspreis wird von der Wilhelm-Bitter-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Verein zur Förderung der Psychoanalyse und Tiefenpsychologie in Deutschland (VFPT) vergeben.
Preisträgerin der Kategorie Post-Doc – für bereits promovierte Forschende – ist Dr. Leonie Kampe, Junior-Professorin an der International Psychoanalytic University Berlin (IPU). Die junge Wissenschaftlerin befasste sich in ihrer Arbeit mit den Zusammenhängen zwischen grandiosem und vulnerablem Narzissmus in Verbindung mit Abwehrstrukturen. „Narzissmus mit seinen verschiedenen Facetten ist in der Forschung noch wenig verstanden, auch weil Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung schwer zu erreichen und schwer zu behandeln sind“, sagt die Psychotherapie-Forscherin Wiegand-Grefe. In der Kategorie Doc – für Forschende, die eine Promotion anstreben – erhielt Larissa Vierl vom Institut für Psychologie an der Universität Kassel den Preis. In ihrer Arbeit untersuchte sie, inwieweit die psychoanalytischen Konstrukte im Diagnoseinstrument OPD, wie etwa innere Konfliktkonstellationen oder Organisation des Selbst, mit Symptomen wie Depression oder somatischen Beschwerden zusammenhängen. „Beide Arbeiten sind methodisch sehr anspruchsvoll und hochrangig publiziert“, betont Prof. Wiegand-Grefe.
Auf dem „Tag der Forschung“ der DGPT wurde zudem der aktuelle Stand der seit 2011 laufenden Angst- und Persönlichkeitsstörungen-Studie, kurz: APS-Studie, vorgestellt. In der APS-Studie vergleichen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem randomisiert-kontrollierten Studiendesign die analytische Psychotherapie mit der kognitiven Verhaltenstherapie. „Es gibt zum Beispiel in der Münchner Therapiestudie erste Hinweise darauf, dass die psychoanalytische Therapie im Vergleich zur Tiefenpsychologie und Verhaltenstherapie bei Depressionen nachhaltiger und langfristiger wirkt. Dies wird nun auch bei Angststörungen, die von Persönlichkeitsstörungen begleitet sind, untersucht“, berichtet Prof. Wiegand-Grefe, die an der APS-Studie für Hamburg beteiligt ist.
Über die DGPT:
Die Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V. vertritt die Standes- und Berufsinteressen ihrer ca. 3.500 psychologischen und ärztlichen Mitglieder gegenüber der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen und gegenüber der Politik auf Bundesebene. Die DGPT versteht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft und Berufsverband zugleich. Sie stellt Grundanforderungen für die Weiterbildung an 60 staatlich anerkannten Aus- und Weiterbildungsinstituten auf. Die DGPT ist der Spitzenverband der psychoanalytischen Fachgesellschaften Deutsche Gesellschaft für Analytische Psychologie (DGAP), Deutsche Gesellschaft für Individualpsychologie e.V. (DGIP), Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft (DPG), Deutsche Psychoanalytische Vereinigung (DPV) sowie des Netzwerks Freier Institute (NFIP).
Weitere Informationen:
Dr. rer. pol. Felix Hoffmann, DGPT, Tel. 030 887163930, info@dgpt.de
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Silke Wiegand-Grefe, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Psychosoziale Medizin, s.wiegand-grefe@uke.de
Originalpublikation:
- Kampe L, Bohn J, Remmers C, Hörz-Sagstetter S. It’s not that great anymore: The central role of defense mechanisms in grandiose and vulnerable narcissism, Frontiers in Psychiatry, June 2021, Volume 12, DOI: 10.3389/fpsyt.2021.661948.
- Vierl L, Juen F, Benecke C, Hörz-Sagstetter S. Exploring the associations between psychodynamic constructs and psychopathology: A network approach, Personality and Mental Health 2022, DOI: 10.1002/pmh.1559.