Integrationsgesetze in den Ländern und was der Bund für sein Partizipationsgesetz daraus lernen kann
In ihrem Koalitionsvertrag haben sich SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP darauf geeinigt, ein Bundespartizipationsgesetz zu erarbeiten. Es soll Teilhabe stärken und die Bundesverwaltung an die Vielfalt in der Einwanderungsgesellschaft anpassen. Auf Landesebene gibt es bereits vergleichbare Gesetze. Eine vom wissenschaftlichen Stab des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR) vorgelegte Bestandsaufnahme zeigt: Integrationsgesetze können eine kohärente und zielgerechte Integrationspolitik fördern. Ihre Wirkung hängt dabei stark von ihrer praktischen Ausgestaltung und Umsetzung ab.
Seit 2010 haben insgesamt fünf Bundesländer Integrations- und Teilhabegesetze verabschiedet, in denen Rahmenbedingungen für Integrationspolitik auf Landesebene festgelegt werden. Berlin, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein gehen dabei vor allem auf die Verbesserung von Teilhabemöglichkeiten ein. „Die vier Länder bekennen sich zum Grundsatz, dass Integration eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Dabei geht es weniger um die individuelle Integration von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Stattdessen betonen sie die Verantwortung des Staates, Integration und Teilhabe zu ermöglichen und zu fördern“, erläutert Pia Schupp, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Co-Autorin der Studie. Anders verhält es sich bei der Zielsetzung des Bayerischen Integrationsgesetzes, welches sich stärker kulturellen und ordnungspolitischen Fragen widmet und eine Integrationspflicht der Zugewanderten betont.
„Für gelingende Integration sind immer auch individuelle Anstrengungen von Zugewanderten erforderlich. Entscheidend für Teilhabe sind aber außerdem die Strukturen, Institutionen und das Selbstverständnis der ganzen Gesellschaft“, sagt Dr. Jan Schneider, Leiter des Bereichs Forschung beim SVR. „Integrationsgesetze verbessern nicht automatisch die Integrationspolitik, aber sie können spürbare Wirkung entfalten – insbesondere wenn die darin festgeschriebenen Ziele mit passenden Instrumenten und Strukturen, partizipativen Verfahren und nicht zuletzt auch finanziellen Ressourcen hinterlegt werden. Integrationsgesetze entfalten oft auch eine starke symbolische Wirkung: Sie erhöhen den politischen Stellenwert der Thematik und helfen, Integration als Querschnittsaufgabe zu verankern – institutionell und strukturell“, so Dr. Schneider. Akteure aus verschiedenen Bereichen würden dadurch mobilisiert, Debatten versachlicht. Wie aktuell das Thema ist, zeigen Gesetzesvorhaben in weiteren Ländern; so hat etwa die hessische Landesregierung vor wenigen Wochen einen ersten Entwurf für ein Integrations- und Teilhabegesetz vorgelegt.
Diese Ländergesetze können für die Entwicklung des auf Bundesebene geplanten Bundespartizipationsgesetzes hilfreich sein. Hierzu hat außerdem die Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen (BKMO) 2021 einen Entwurf vorgelegt. Die Studie betrachtet die im Entwurf enthaltenen Vorschläge und vergleicht sie mit bestehenden Regelungen auf Länderebene. So schlägt der Entwurf unter anderem eine Quotenregelung vor, um die Repräsentanz von Menschen mit Migrationsgeschichte zu stärken. Zudem soll ein Bundespartizipationsrat mit weitreichenden Kompetenzen etabliert werden. „Der Vorschlag bietet Ansätze für eine Diskussion, auch wenn einige Elemente Fragen hinsichtlich ihrer Legitimität und Praktikabilität aufwerfen. Idealerweise bietet die Diskussion über mögliche Gesetzesinhalte Anlass und Rahmen für einen breiten gesellschaftlichen Diskurs über das Verständnis von Integration und Teilhabe. Das Gesetz müsste zumindest im Grundsatz von allen beteiligten Akteuren getragen werden, um Integrations- und Teilhabepolitik auch wirksam verbessern zu können“, so Dr. Schneider.
Dem Prozess zur Erarbeitung des Bundespartizipationsgesetzes kommt damit eine herausragende Rolle zu. Um Akteure und Akteurinnen aus Politik, Verwaltung und Gesellschaft für die Querschnittsaufgabe Integration zu mobilisieren, sollte eine Beteiligungsform in Erwägung gezogen werden, die über das ordentliche parlamentarische Mitwirkungsverfahren durch Stellungnahmen und Sachverständigenanhörungen hinausgeht. So könnte die Expertise aus der Zivilgesellschaft etwa von Migrantenorganisationen, Wohlfahrtsverbänden sowie Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden bereits vor Erarbeitung des ersten Gesetzentwurfs einbezogen werden, um die gesellschaftliche Akzeptanz zu stärken.
Die Studie warnt zugleich vor überzogenen Erwartungen an ein solches Gesetz. „Die Erarbeitung des Bundespartizipationsgesetzes darf die zentrale Aufgabe nicht in den Hintergrund rücken, dass die Regelsysteme weiter diversitätssensibel geöffnet werden“, betont Pia Schupp. „Es muss also ein chancengleicher Zugang für alle Menschen ermöglicht werden – etwa im Schulwesen und Gesundheitsbereich sowie dem Wohn- und Arbeitsmarkt und zwar unabhängig von Herkunft, Bildung und sozialem Stand. Ein Integrations- und Teilhabegesetz kann dabei allerdings als Kompass dienen, der allen Beteiligten verdeutlicht, wohin die Reise gehen soll.“
Die vorliegende Studie wurde im Auftrag des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) durch den wissenschaftlichen Stab des SVR erarbeitet. Grundlage für die aktuelle Bestandsaufnahme ist der Policy Brief des damaligen Forschungsbereichs beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration „Papiertiger oder Meilensteine? Die Integrationsgesetze der Bundesländer im Vergleich“ aus dem Jahr 2017.
Über den Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung. Mit seinen Gutachten soll das Gremium zur Urteilsbildung bei allen integrations- und migrationspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie der Öffentlichkeit beitragen. Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Petra Bendel (Vorsitzende), Prof. Dr. Daniel Thym (Stellvertretender Vorsitzender), Prof. Dr. Viola B. Georgi, Prof. Dr. Marc Helbling, Prof. Dr. Birgit Leyendecker, Prof. Dr. Steffen Mau, Prof. Panu Poutvaara, Ph.D., Prof. Dr. Sieglinde Rosenberger und Prof. Dr. Hans Vorländer.
Der wissenschaftliche Stab unterstützt den Sachverständigenrat bei der Erfüllung seiner Aufgaben und betreibt darüber hinaus eigenständige, anwendungsorientierte Forschung im Bereich Integration und Migration. Dabei folgt er unterschiedlichen disziplinären und methodischen Ansätzen. Die Forschungsergebnisse werden u. a. in Form von Studien, Expertisen und Policy Briefs veröffentlicht.
Weitere Informationen unter: www.svr-migration.de
Originalpublikation:
Integrationsgesetze auf Länderebene. Eine aktualisierte Bestandsaufnahme – und was der Bund daraus lernen kann: https://www.svr-migration.de/publikationen/integrationsgesetze-update-2022/