SVR-Integrationsbarometer: Integrationsklima weiter verbessert trotz einzelner Eintrübungen
Der vom Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) im Rahmen einer repräsentativen Befragung ermittelte Integrationsklima-Index erreicht ungeachtet des erneut starken Zuzugs von Flüchtlingen insbesondere aus der Ukraine und den damit verbundenen Herausforderungen seinen höchsten Wert seit Erhebungsbeginn. Eintrübungen ergeben sich durch die Erfahrung von Diskriminierung und wahrgenommene Gleichstellungshindernisse. Bei der politischen Partizipation besteht weiter eine Teilhabelücke; zentrale Elemente des demokratischen Systems finden breite Unterstützung.
„Das Integrationsklima in Deutschland zeigt sich als außerordentlich stabil“, sagt die SVR-Vorsitzende Prof. Petra Bendel anlässlich der Vorstellung der Ergebnisse des SVR-Integrationsbarometers 2022. „Vor dem Hintergrund der jüngsten Herausforderungen war diese positive Entwicklung nicht unbedingt absehbar: Die Corona-Pandemie, aber auch die Folgen des Ukraine-Kriegs mit erneuten Fluchtbewegungen sowie die Energieversorgungs- und -preiskrise haben den Daten zufolge keinen erkennbaren negativen Einfluss auf das Zusammenleben im Einwanderungsland Deutschland.“
Im Vergleich zur vorherigen Erhebung im Jahr 2019/20 lässt sich über alle Herkunftsgruppen hinweg sogar eine weitere positive Entwicklung feststellen: Der Integrationsklima-Index (IKI) steigt von 66,3 auf 68,5 Punkte. Besonders unter Personen ohne Migrationshintergrund verbesserte sich das Integrationsklima in den vergangenen zwei Jahren um 2,5 Punkte auf 68,1 IKI-Punkte. Unter Personen mit Migrationshintergrund erhöht sich der Integrationsklima-Index um 1,3 Punkte auf insgesamt 70,1 IKI-Punkte.
„Beim Integrationsklima-Index geht es um Erfahrungen und Beziehungen von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Er erfasst alltagsnahe Situationen und reflektiert damit persönliche Perspektiven. Hier zeigt sich erneut, wie wichtig Kontakte für das Zusammenleben in Vielfalt sind: Über 90 Prozent der Befragten bewerten ihren persönlichen Kontakt zu Menschen unterschiedlicher Herkunft im aktuellen Integrationsbarometer als außerordentlich positiv“, ergänzt Prof. Bendel.
Wie die jüngsten Daten zeigen, gibt es jedoch auch Schattenseiten. „Während der persönliche Kontakt in der diversen Bevölkerung als Bereicherung empfunden wird, verschlechtern Diskriminierungswahrnehmungen die Einschätzung des Integrationsklimas. Hiervon sind Türkeistämmige besonders betroffen, von denen jede bzw. jeder Fünfte über sehr starke oder eher starke Benachteiligungserfahrungen berichtet. Gleichbehandlung bei der Arbeit und in der Schule sehen viele Menschen in Deutschland unabhängig von ihrer Herkunft nicht als gegeben: Ein knappes Drittel der Befragten sieht im Bildungswesen Gleichstellungshindernisse für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte; auf dem Arbeitsmarkt ist es mehr als die Hälfte“, erläutert SVR-Mitglied Prof. Dr. Marc Helbling.
Unterschiede in der Wahrnehmung des Integrationsklimas ergeben sich aufgrund sozialer Merkmale der Befragten wie Alter, Geschlecht und Bildungsniveau. „Generell können wir sagen: Junge Menschen, Frauen und Personen mit einem hohen Bildungsstand schätzen das Integrationsklima positiver ein als ältere Personen, Männer und Menschen mit einem niedrigen Bildungsstand“, sagt Prof. Helbling. Mit Blick auf Wahrnehmungsunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, die stark mit den vorhandenen interethnischen Kontakten zusammenhängen, zeigt das aktuelle SVR-Integrationsbarometer positive Trends. So bewerten etwa junge Menschen in den ostdeutschen Bundesländern das Integrationsklima nun positiver. „Vor allem die Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen äußerte sich 2015 noch besonders kritisch zum Integrationsklima. Inzwischen ist im Vergleich zu ihrer Altersgruppe im Westen kaum noch ein Unterschied feststellbar. Gleichzeitig konnten wir auch bei älteren Menschen einen positiven Trend erkennen, so dass die Differenz im Integrationsklima-Index zwischen Ost und West insgesamt inzwischen nur noch 6 Punkte beträgt. 2017/18 waren es 11 Punkte.“
In der aktuellen Befragung zum SVR-Integrationsbarometer wurden auch Einstellungen zur Demokratie erhoben. Hier zeigt sich ein breiter gesellschaftlicher Konsens: Unabhängig von ihrer Herkunft halten neun von zehn Befragten grundlegende Prinzipien des demokratischen Systems wie Rechtsstaatlichkeit und Minderheitenschutz für wichtig. Hinsichtlich der politischen Teilhabe zeigt das SVR-Integrationsbarometer jedoch erneut: Deutsche Staatsangehörige mit Zuwanderungsgeschichte nehmen ihr Wahlrecht deutlich seltener wahr, auch wenn sie freie und faire Wahlen grundsätzlich als genauso wichtig erachten wie Personen ohne Migrationshintergrund. Zugewanderte der ersten Generation engagieren sich auch sonst in geringerem Maße politisch als ihre in Deutschland geborenen Nachkommen oder als Personen ohne Migrationshintergrund.
„Die Legitimität des demokratischen Systems misst sich auch an der politischen Teilhabe der Bevölkerung. Wenn manche Gruppen von ihren Rechten weniger Gebrauch machen, entsteht eine Partizipationslücke und es besteht die Gefahr, dass den Interessen dieser Bevölkerungsgruppen in den Parlamenten weniger Raum gegeben wird. Wir können daher erneut nur ermuntern: Politische Bildung und eine gezielte Ansprache potenzieller Wählerinnen und Wähler durch die Politik sowie die Einbindung von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in politische Entscheidungsprozesse über Parteien, Verbände oder andere organisierte Interessenvertretungen können hier einen wichtigen Beitrag leisten“, so die SVR-Vorsitzende Prof. Bendel.
Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern und für Heimat Juliane Seifert hebt hervor: „Das Integrationsbarometer misst wissenschaftlich fundiert die Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger von Integration. Sein erneut positiver Trend zeigt, dass die Mehrheit der Gesellschaft Integration positiv gegenübersteht und das Miteinander in unserer vielfältigen Gesellschaft auch positiv erlebt wird. Das ist eine gute Nachricht und bestärkt uns in unserer Politik: Mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht geben wir künftig gut integrierten Menschen endlich auch gute Chancen in Deutschland. Mit einem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, der Modernisierung des Staatsbürgerschaftsrechts, genauso wie mit unseren Integrationsmaßnahmen wollen wir den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und die Integration in unseren Arbeitsmarkt weiter verbessern. Damit machen wir unser Land stärker. Das Integrationsbarometer zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“
Für die Länderseite betont der Vorsitzende der 18. Integrationsministerkonferenz, Hessens Minister für Soziales und Integration, Kai Klose: „Wir freuen uns, dass mit der durch einen Beschluss der Integrationsministerkonferenz ermöglichten Förderung die Stichprobe des SVR-Integrationsbarometers deutlich vergrößert werden konnte. Integration findet nicht nur strukturell statt, also z. B. auf dem Arbeitsmarkt oder im Bildungswesen, sondern auch kulturell, sozial und emotional. Das Integrationsbarometer liefert uns zu diesen wichtigen Aspekten subjektive Indikatoren, die wir ins gemeinsame Integrationsmonitoring der Länder integriert haben. Derzeit werten wir die Daten auf Länderebene aus und sind gespannt, wie sich die individuelle Wahrnehmung des Integrationsprozesses seit 2020 entwickelt hat. Diese Auswertung auf Ebene aller Bundesländer erfolgt zum zweiten Mal und macht so auch einen Zeitvergleich der subjektiven Integrationsindikatoren für alle Länder möglich. Die Ergebnisse werden wir zur Integrationsministerkonferenz Ende April nächsten Jahres veröffentlichen.“
Das SVR-Integrationsbarometer 2022 ist die vierte bundesweite repräsentative Befragung von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund über Einschätzungen und Einstellungen zu integrations- und migrationsspezifischen Themen. Für die Studie wurden zwischen Ende November 2021 und Anfang Juli 2022 insgesamt 15.005 Personen interviewt. Davon waren 8.005 Menschen ohne Migrationshintergrund, 1.204 (Spät )Aussiedlerinnen und (Spät )Aussiedler, 980 Türkeistämmige, 1.987 Zuwanderinnen und Zuwanderer aus EU-Ländern und 2.829 Personen der Herkunftsgruppe „übrige Welt“. Um Aussagen auf Bundeslandebene treffen zu können, hat der SVR in jedem Bundesland mindestens 500 Menschen ohne und weitere 500 mit Migrationshintergrund befragt. In den ostdeutschen Flächenländern wurden aufgrund des geringeren Anteils an der Gesamtbevölkerung neben 500 Befragten ohne Migrationshintergrund lediglich 300 Personen mit Migrationshintergrund interviewt.
Das SVR-Integrationsbarometer 2022 wird gefördert durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) sowie durch die Länder aufgrund eines Beschlusses der Konferenz der für Integration zuständigen Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren der Länder (IntMK).
Über den Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung. Mit seinen Gutachten soll das Gremium zur Urteilsbildung bei allen integrations- und migrationspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie der Öffentlichkeit beitragen. Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Petra Bendel (Vorsitzende), Prof. Dr. Daniel Thym (Stellvertretender Vorsitzender), Prof. Dr. Viola B. Georgi, Prof. Dr. Marc Helbling, Prof. Dr. Birgit Leyendecker, Prof. Dr. Steffen Mau, Prof. Panu Poutvaara, Ph.D., Prof. Dr. Sieglinde Rosenberger und Prof. Dr. Hans Vorländer.
Weitere Informationen unter: www.svr-migration.de
Originalpublikation:
https://www.svr-migration.de/publikationen/ib2022/